1. Juli, Saint-Leu-d’Esserent

Natürlich benötigte ich ein neues Zelt.
Normal.

Da der diesjährige Ausflug mehr auf Reisen, denn auf Verweilen ausgelegt war machte ein Salewa-Trekking das Rennen. Ein Micra II, für eine Person oder zwei die sich gerne haben, und glaubt mir, der Name ist Programm.

Ich will nicht sagen, dass es klein war, aber mit gutem Willen hätte ich es als ganzes, aufgebaut und in voller Pracht im Handschuhfach verstauen können. Alternativ gefaltet auch als Einstecktuch zu tragen. Es war ja nicht micra, aber wollte ich mich am Po kratzen, musste ich zwei Reissverschlüsse öffnen und das Zelt kurz verlassen.
Mein Zelt war also in etwa dreimal kleiner als die üblicherweise gekauften, dafür jedoch auch drei mal teurer. Aber wir wollen es nicht zerpflücken, es war eine feine Sache, ihr werdet mir im Verlauf der Geschichte beipflichten.
Die Anschaffung eines kleineren Zeltes zog natürlich weitere Investitionen mit sich. Eine kleinere, selbstaufblasbare Matte, ein neuer Rucksack, neues Kochgeschirr, weitere Gaspatronen, eine Umhängetasche… Spätestens bei den neuen Sommerreifen musste ich wohl eingestehen, dass nicht alles dem neuen Zelt zuzuschieben war, aber was muss, das muss eben.
Alles hübsch verpackt, der Gedanke war eigentlich – ganz dem Vorbild meines Bruders folgend – alles im und am neuen Salewa-Rucksack zu verstauen, respektive befestigen. Aber wozu einen Kombi fahren, wenn man sowieso zu 90 Prozent der Gebrauchszeit nur den Fahrersitz und die kleine, linke Ecke des Kofferraums nutzt. Also errichtete ich eine Art Mat-Mag im Wagen und sieh an, ich schaffte es – nicht nur dank des mitgeführten Campingstuhls – den Wagen zu füllen. Es ist meine Eigenart, dass ich stets zehn Gaspatronen, dreissig Ersatzheringe, fünfzehn Kilometer Abspannschnüre und drei Sätze Ersatzbatterien für jedwelche elektronischen Geräte mitführe. Mit- und ungenutzt wieder nach Hause führe. Nicht zuletzt auch eine Unmenge an Kleidern, aber wir wollen nicht vorgreifen.
Im Gepäck drei Mini-Sandwiches, drei Liter Wasser und ein paar St.Galler-Biber rollte ich also morgens um fünf los in Richtung Saint-Leu-d’Esserent. Nein, ich kann es auch nicht aussprechen.

Mein erster Eindruck von Frankreich, eher versifft. Die Autobahn-Klos unterscheiden sich nicht von den Deutschen. Nur, dass “Hommes en dessous feminin – 235 125 456″ an der Klowand ein Tick feiner klingt als “Alles kann, nichts muss, Alter egal – 455 885 666″. Bei jedem Besuch einer solchen Pinkelstation danke ich dem Herren, dass ich ein Mann bin. Nicht wegen der Angebote an der Klo-Wand, aber man kann sich in die Räumlichkeiten bewegen und erleichtern, ohne etwas mehr als mich selbst zu ber… ich meine; Man muss keine Klinken, Wände oder Klobrillen anfassen und die kontaminierten Schuhsohlen reinigt man durch Schlurfen im nassen Gras.
Die Autobahn war praktisch leer und ich kam ganz hübsch voran. Unterbrochen nur von den – aus Sicht des Touristen – wahl und planlos platzierten Mautstellen. Die Erste war unbesetzt, ich fuhr an die Schranke, zog ein Ticket und zuckelte weiter. An der zweiten, ähnlich der Coop-Kassenzeile um fünf-vor-zwölf, standen zehn Kassenhäuschen zur Abzocke bereit, davon waren drei geöffnet. Ich fuhr an das Erste, hinter mir platzierte sich auch gleich ein Wohnmobilziehender Franzose. Vor meinem linken Fenster türmte sich ein gelber Schrank, jede Menge Schlitze und französisch betitelte Knöpfe; Ich war leicht überfordert. Zaghaft klopfe ich, tippe, drücke, bis aus einem Lautsprecher ein ” ‘allo?” erklingt. Mince alors, ich spreche ja schon französisch. So ich mir fünf Minuten einen Satz zusammenschustern kann. Solange wollte die Krächzstimme nicht warten, verstanden hätte ich sie auch nicht, aufgrund der Buh-Rufe das Wohnmobilziehenden Automobilisten. Gewiss sagte er nicht Buh, aber in meinen Ohren klang es wie das Gebrabbel einer Diskussionssendung auf Arte, Donnerstag Abend um 0.34 Uhr.
Seinen wilden Gesten entnahm ich, dass es hier eine Schranke für Bürger, mit entsprechenden Karten, und eine Schranke für Touristen, mit entsprechendem Kleingeld, gab.
Etwas umständlicher als notwendig – aufgrund der frühen Stunde war hinter ihm ein gewiss tausend Quadratmeter freier Platz zum manövrieren vorhanden – setzte er seinen Wohnwagen Marke Comtesse unter heftigem Gefluche – und es klingt wirklich als ob man sich den Po mit Seide abwischt – zurück.
Ich setzte ebenfalls zurück, wechselte zur nächsten freien Schranke und konnte das Ticket entwerten. Da ich irgendwann aufgehört habe zu rechnen, kann ich nicht mehr sagen, was ich löhnte, aber bis ich in Saint-Leu-etc. eintraf, waren lustig schon 60 Euro futsch. Ich würde sagen für nichts, aber ich will nicht vorgreifen.

Parlez vous allemand?
Jupp, hatte Glück, beim ersten Platz welchen ich über dubiose Zufahrtsstrassen in einer Kiesgrube erreichte, konnte ich auf deutsch buchen.
Nur eine Nacht? Aber es ist sehr schön hier, sprachs und klatschte mir einen leicht zerfledderten Prospekt vors Gesicht.
‘ier, dreissig Minuten bis Paris (eiskalt gelogen), dieses Schloss, jenes Schloss  und dieser Park sowie jene Abtei. Alles sehr sehr schön!
Ja, trotzdem, ich sei auf der Durchreise.
Aber, nur 20 Minuten bis in den Asterixpark!
Ob er irgendwelche Kinder an meiner Hand sähe?
Auch für Erwachsene… bon bon bon, sprachs und schmiss den Katalog in eine Ecke.
Nicht sonderlich erbost, sein ganzes Büro wirkte so, als würde er jegliche Dokumente mit viel Schwung ablegen.
Ich löhnte den Betrag, die sanitären Anlagen seien direkt unten, ich könne mir einen Platz aussuchen, nur nicht ‘ier, ‘ier, ‘ier auch nicht und dort ebenfalls nicht.

Während ich mich so umguckte, rückte der Film Hostel aus der Erinnerung ganz nach vorne und zog eine leichte Gänsehaut mit sich.

Einen Shop gab es nicht, es war Sonntag und ich hatte Hunger. Bei der Fütterung der Mastschweine auf der Autobahn wollte ich nicht anstehen.

Muss Spass machen, so zu reisen und mit labberigen Sandwichs und lauer Cola aus Pappbechern verköstigt zu werden.

Also bewegte ich mich ins Dorf. Ganz hübsch, französische Dörfchen gefallen mir sehr. Direkt dem Etudes-Francaises entsprungen.

Die Sek-Schüler meines Jahrgangs mögen sich noch entsinnen. Rustikal Verfallend trifft rustikale Moderne, sehr hübsch. Weniger angenehm fand ich die krassen Gangster-Gruppen.
Ich möchte mich nicht als sonderlich ängstlicher Mensch bezeichnen. Aber wenn ich schlendere, in meinen Meindl-Trekking-Schuhen, den Touri-Shorts und einer touristisch anmutenden Umhängetasche, mich irgendwo in einer der unzähligen Seitengasse verlaufen habe und plötzlich eine Reihe von fünfzehn Halberwachsene auf mich zusteuert, die Hosen in der Kniekehle, die Mützen schräg auf dem Kopf, Kapuzen darüber, die Hände in den Taschen und den Touristen musternd wie einen bereits halb geöffneten Bankomat mit defektem Schloss; Da fühlt man sich als Fremder, welcher sich nicht einmal vernünftig verständigen kann etwas fehl am Platz.
Im Prinzip kann man nichts anderes machen, als mindestens so grossspurig – die Hosen liess ich dann doch oben – und ebenfalls den Händen in den Taschen mitten in die Gruppe hinein zu gehen. Zwei leichte Schulter-Schubser links und rechts und da war ich auch schon durch. Sogar die Umhängetasche hatte ich noch.

Vom Hunger getrieben fand ich eine Boulangerie.

Jupp, die Sonne scheint. Weit und breit kein Strand, logisch scheint die Sonne.

Un (oder heisst es une?) Baguette s’il vous plait.
Vous voulez…
Und dann begann sie etwa 20 Baguette beim Namen zu nennen. Ich hätte gerne mit dem Finger gezeigt, aber alle steckten in einer Art Schirmständer hinter dem Tresen, dies wäre ein längeres Prozedere geworden.
Rustico verstand ich als einziges und als hätte ich genau dieses gesucht, sprach ich es im Brustton der Überzeugung aus.

Mit einem halben Meter Baguette aus der Umhängetasche guckend, wandelte ich zurück zum Camping. Mehr Nahrung fand ich nicht, aber Kaffee hatte ich dabei. Instant. Uncool ich weiss, aber ich hatte den klassischen Camping-Kaffee-Kocher versucht. Ist lecker, ist stylisch, aber 30 Minuten Abwasch steht in keinem Verhältnis zu einer Tasse Kaffee. Also rühre ich Nescafe in heisses Wasser ein.
An alle Bear-Grylls-Anhänger; Vergisst die Sache mit der blechernen Tasse. Die mag in der Armee, wo die Getränke bestenfalls lauwarm sind, bestens funktionieren. Im normalen Einsatz verbrühst du dir noch die Lippen an dem heissen Blech, während das Getränk bereits eiskalt ist.
Da musste ich durch, eine heisse Tasse würde noch das kleinste Problem sein.

Der Platz selber war toll. Gut, der Boden ein wenig steinig und die Büsche etwas Zeckenlastig, die sanitären Anlagen etwas weit weg, was aber angesichts der vielen Büsche – ihr versteht – ein kleineres Problem war; Alles in allem ein feiner Platz!

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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