Apocalypse Now am Rheinfall

Einst gab es da diese alte Dame in G. im St. Galler Rheintal. Nani wurde sie genannt, weil Kinder ihre Grossmütter da Nani nannten.
Stets sehr beschäftigt, kaum Zeit aus dem Fenster zu gucken. Aber jedesmal, wenn sie guckte, schaute die Nachbarin von gegenüber – Köstezeri oder so, war wohl die erste eingewanderte – ebenfalls aus dem Fenster.
Daher musste sie nun immer gucken, zur Kontrolle, ob die andere wirklich immer aus dem Fenster schaute. Mit aller Verachtung für die Köstezeri brachte sie diese Geschichte zu Gehör. Bevor sie wieder gucken musste.
Und wenn sie noch nicht, so starren sie noch heute über die Spitalstrasse.

Schiesst mir stets durch den Kopf, wenn ich auf einer gewissen facebook-Seite vorbei gucke.
Sie sind ja nicht sensationslüstern, sie wollen nur ihr Mitgefühl ausdrücken. Und vielleicht helfen. So sie dazu nicht die Ellbogen von der Fensterbank nehmen müssen.

Neuhausen, Auffahrt, 21.29
Susi sah einen Hubschrauber und die Polizei bei der Burgundwiese.
Drama!
Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Man verlässt das Haus und erkundigt sich, oder hat irgendwas besseres zu tun.
Sich erkundigen… Na ja… man ist ja eigentlich weder sensationslüstern noch ein Gaffer, man würde einfach gerne, mit Fug und Recht, wissen was ums Haus so läuft, Herrgott nochmal.Also fragt man die Social Community.

Gegenüber guckt die Laura ebenfalls aus dem Fenster und vermutet das Schlimmste.
Auch sie, in keiner Weise sensationslüstern, aber wollte wohl eben auch die Gruppe informieren. Dass da etwas von sich geht, was einem nicht interessiert, aber doch wichtig zu wissen sei.

Eine Übung, so wird gehofft.
Gefällt nicht. Wäre so unspektakulär.

Melanie guckt nicht, aber hört umso besser. Eine Blutlache bei der Bushaltestelle wurde ihr geflüstert. Jetzt kommt Farbe in die Sache. Belebt die Diskussion.

Steffi meint, man solle den Bericht in der Zeitung abwarten.
Wie langweilig.

Susi hat die Sache mit dem Blut auch gehört.
Wie machen die Leute das nur?
Dreissig Meter Luftlinie von mir fackelte unlängst ein dreistöckiges Haus komplett ab, ich merkte es erst, als ich draussen über einen Feuerwehrschlauch stolperte. Ein wenig schäme ich mich schon ob meiner Ignoranz.
In Neuhausen hören sie das Blut gerinnen.

Melanies Wohnung zittert wenn die Hubschrauber kreisen. Das kann nicht nur eine Blutlache sein, wir reden da schon von einem mittelprächtigen Massaker bei der Bushaltestelle.

Maik fürchtet um sein Auto auf der Burgundwiese.
Da können wir nicht nur von kreisenden Heli und einer Blutlache sprechen; Ich meinte, da gehört ein Feuergefecht hinzu, letztendlich ist die Polizei auch vor Ort. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Apocalypse Now Strand-Szene.

Laura weiss, der Helikopter dreht gegen Zürich ab – ergänzt mit ‚also nüt guets‘. Dachte bisher, was von Zürich kommt ist nicht gut, aber wenn Schaffhauser schon mit Hubschraubern nach Zürich flüchten, wenn Polizisten inmitten einer Blutlache zu einer Bedrohung für Maik’s Auto werden.
Nein, definitiv nicht gut. Pfeift verdammt den Hubschrauber zurück!
Lauras Kinder waren bei der Szene, sind aber geflüchtet… Wo bleibt der verdammte Hubschrauber?!?

Matthias sucht Gründe, will die Kinder befragen, aber Laura blockt ab.
Morgen. Morgen wisse man bestimmt mehr.

15. Mai, eine schlaflose Nacht liegt hinter den Neuhausern.
Was war jetzt, will Monia wissen, wisse man mehr?

Eben nicht, entrüstet sich Mel.

Ein Mann sei beim Rheinfall eine Böschung hinab gestürzt, weiss Anita. Zwanzig Meter tief!
Das muss man sich vorstellen. Der grosse Blutverlust bei der Burgundwiese, sich bis zum Rheinfall schleppen und dort eine Böschung hinunter stürzen.
Anita entrichtet den Angehörigen ihr Beileid.

Melanie ist etwas konfus, weil der Krankenwagen an der Zentralstrasse vor der Post stand. Der war gestern noch nicht da.
Eine Blutlache bei der Burgundwiese. Die Polizei daneben. Maiks bedrohtes Auto auf dem Parkplatz, ein Hubschrauber der nach Zürch fliegt, was nichts gutes bedeutet, ein Krankenwagen vor der Post und am Rheinfall stürzt ein Mann eine Böschung runter.
Die Gemeinde muss regelrecht im Ausnahmezustand gewesen sein und niemand berichtet darüber.
Mein lieber Watson, sehr verdächtig.

Ups…
Der Unfall an der Böschung war schon im 2013.
Na toll, noch eine Zeitverschiebung. Also mir dreht sich der Kopf, ich bewundere die Leute am Fenster, welche trotz Scheibe vor dem Kopf und Handy in der Hand den Durchblick behalten.

Es sei schon länger her, aber die Rega sei über dem Rheinfall gekreist und nicht über der Burgundwiese. Dennoch zitterte Mel’s Wohnung an der Burgundwiese.
Also wenn dies mal nur ein Hubschrauber war, mir schwebt Schlimmes… Gerade, weil man nirgends was lese…

Ein medizinischer Notfall, ohne Polizeieinsatz vermeldet ein Leser.
Er teile nur mit was IHM, ja ihm und nicht der Allgemeinheit, die Polizei mitgeteilt hätte.
Blutlache an der Bushaltestelle, zitternde Wohnungen, Hubschrauber bei der Burgundwiese und über dem Rheinfall, Krankenwagen bei der Post, bedrohte Autos auf dem Parkplatz, mittlerweile noch die Polizei vor der Boutique Diva und du willst mir was von medizinischem Notfall ohne Polizei weismachen.
Erzähl mir doch nichts, oder willst du sagen, die facebook-Fensterbrett-Gucker saugen sich das alles aus den Fingern??

Kommt nichts mehr. Bis zum nächsten Blaulichteinsatz. Die Schaffhauser bleiben dran.

 

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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