Auf Sherlock’s Spuren

An sich hielt sich mein Bedürnis in Grenzen, die heimischen Gefielde zu verlassen. Die Wetterprognosen waren präzise zu meinem pikettfreien Wochende nicht wirklich wander- und campingfreundlich.
Dem entgegen stand, dass ich die nächsten zwei Wochenende gewiss meiner Umwelt die Ohren volljammern werde, weil ich dank der Samsung-Fussfessel an das Haus gebunden bin, und es bereuen würde, nicht gegangen zu sein.

Eher ziellos landete ich im Berner Oberland, ohne weitere Pläne in Meiringen und weil ich eben mal hier war, könnte ich einen neuen Versuch am Reichenbachfall starten.
Die Wanderwegweiser führten durch das Gelände der Meiringer Privatklink genau bis zur Talstation der Reichenbachfallbahn. Man wollte die Besucher zweifelsohne in dieses Gefährt zerren, was nicht so ganz mein Ding ist. Dies ist mehr für Leute, welche auf 1945 Meter über Meer in der horizontalen ein oder zwei Kilometer gehen, dann ihre Carbonstöcke im Alprestaurant demonstrativ im Kreis schwingen und den Rucksack welchen sie eigentlich nur dabeihaben weil am Tragriemen dieses prähistorische Tier abgebildet ist mit welchem sich Städter so gerne zeigen, auf die Eckbank werfen.
Auch ich bin kein Alpinist, aber wenn man an einem Detail den Geldsack aus dem Tal erkennt welcher mal eben auf Hochgebirge macht, ist es seine nigelnagelneue Mammutausrüstung, von der Socke bis zur Mütze, mit Schuhen, Rucksack und dem Eispickel an selbigem.
Der Preis der ganzen Sache, welche den Zahnarzt und Architekten von der Qualität überzeugt, macht es einem relativ einfach, auf andere Produkte auszuweichen.

Neben der Bahn führte ein Privatweg den Berg hoch. Durch den Garten des Angestelltenhaus und über einen Kiesweg gelangt man an einen neuen Wegweiser, also mehr ein Insidertipp, angeschrieben mit Grosse Scheidegg, vier Stunden 50 Minuten. Es war zehn Uhr morgens, ich war auf 660 Meter, wieso eigentlich nicht. Nach 150 Höhenmeter, findet man den ersten Wegweiser nach dem Reichenbachfall, aber ich beschloss, dies auf später aufzuschieben.
Ein furchtbar langweiliger Wanderweg. Alle paar Meter kreuzt man wieder die Strasse, Radfahrer ziehen vorbei, ein BMW-Corso strebt ebenfalls die Höhe an.

Man spaziert durch den Wald bis zum Hotel Rosenlaui, den Reichenbach entlang, quert gefühlte 50x die Autostrasse und ist bisher weder kräftemässig noch in der Ausdauer wirklich gefordert.rosenlauiIn den Wolken steckt das Wetterhorn und links war vor der globalen Erwärmung der Rosenlauigletscher. Die Gletscherschlucht hat eine Postautohaltestelle und die Besucher können ohne einen Höhendifferenz überwinden zu müssen direkt durch das Drehkreuz in die Schlucht spazieren. Ich halte mich aus später ersichtlichen Gründen mit Lästereien nun etwas zurück und will mich auch achten, dass ich nicht schreibe wie die wandernden Silberfüchse.
Das Hotel selber ist schon hübsch anzuschauen, auf das Postauto habe ich extra gewartet, um das Bild abzurunden.hotel-rosenlauiRosenlaui, die kleinste Ortschaft der Schweiz, so als Randinfo.
Endlich, auf Höhe Schwarzwaldalp – der Name stört mich extrem, hat sowas von deutschem Naherholungsgebiet – wird aus dem strassenquerenden Wanderweg, sowas wie ein Gebirgspfad.

schwarzwaldalpIch schrieb, der Randen ist an sich schon ganz schön.
An sich, es ist eben doch nur der Randen und selbst ein sozial Abstinenter wie ich stolpert da noch über bekannte Personen. Da schätze ich schon die Abgeschiedenheit. Und irgendwie beginnt doch Wandern erst über der Baumgrenze, alles andere ist Zustieg.
Es sind nicht endlose Weiten und dennoch ist man alleine auf weiter Flur. Hängt seinen Gedanken nach, setzt einen Fuss vor den Anderen und die pure Zufriedenheit im Einklang mit sich selbst. Manchmal denke ich, es wäre schön dies zu teilen, aber mehrheitlich schätze ich die Ruhe. Und sonst gibt es ja die sozialen Netzwerke.

Bäume sind nicht im Grundsatz schlecht. Bevor keine mehr rumstanden, konnte ich doch noch ein paar nicht völlig durchnässte Zweige finden und gab mich den pyromanischen Gelüsten hin.grillierenInklusive Grillieren war ich nach vier Stunden und 10 Minuten auf der grossen Scheidegg.
Barfuss im Regen, merkwürdige Dehnübungen vollziehend.
Ohne eine Jammertirade anzustimmen, meine Füsse benötigen dringend Schonzeit, irgendwann werde ich wohl auch zu zwei Monaten kassenbezahltem Couchliegen verdonnert. Schon auf Höhe Rosenlaui wechselte ich zu einer sehr merkwürdigen Gangart und ich gestehe, dass ich nur wegen des Wissens um eine Postautohaltestelle als Rückversicherung noch bis ganz oben gegangen bin.

Ich habe mich noch nie so alt gefühlt, mich im Postauto von einer Wanderung zurückführen zu lassen. Gedemütigt bis auf die Knochen.
Nun gut, habe ich diese Erfahrung auch gemacht.
Vor mir die Helden des Gebirges, mit grossen Schirmmützen und breiter Zürrischnorre, im Feinsten was an funktioneller Kleidung zu erhalten ist und sie übertrafen sich gegenseitig mit der Erzählung ihrer Abenteuer. Jeder hörte dem anderen freundlich zu, aber nur um zu ergänzen, dass er den grösseren Bach überquert hätte, noch länger auf die Frau warten musste und unten noch das grössere Bier trinken würde.
Ich konnte nicht eruieren, von wo aus sie losgelaufen sind, vielleicht hat sie auch der Bus von Grindelwald auf die Grosse Scheidegg gefahren, aber aus der Erzählung zu schliessen musste mindestens der Mount Everest auf ihrem Weg gelegen haben. Doch musste ich Tribut zollen, während ich doch leicht hinkend in den Bus stieg, ein triefnasses Shirt am Rucksack hängen hatte und gewiss auch etwas roch, waren sie trotz aller Abenteuer frisch und wie aus dem Ei gepellt.

Die Gelassenheit der Berner finde ich ganz entspannend und es macht sie sympathisch. Zumindest, wenn sie einem im Bus das total überrissene Ticket verkaufen, oder in aller Seelenruhe die Landschaft erklären, während sie das Gefährt bewundernswert millimetergenau über die Passstrasse manövrieren.
Wenn sie jedoch mit derselben Ruhe aus einem Parkplatz manövrieren, nicht in eine Hauptstrasse einbiegen weil weit weg am Horizont ein Fahrzeug erkennbar ist und an der Migroskasse jedes Geldstück im Zeitlupentempo in die Kasse legen, kann man als Nordschweizer schon zappelig werden.
Eine Menschenschlange bis zur Fleischtheke und hinter dem Förderband fragt die Heidi den Kari wie es denn dem Godi ginge und was er gestern so getrieben hätte. Und der Kari erzählt vom Godi und dass die Kuh heute gekalbt hätte. Dreissig Leute stehen sich die Beine in den Bauch und keinem ist auch nur die Spur von Ungeduld anzumerken. Unglaublich, aber vor Ladenschluss schaffte ich es aus dem Einkaufscenter und begab mich mit Zwischenhalt im Coop, die Migros hat kein Bier, nach Interlaken auf den Campingplatz.

Jaaaa, sie hätten vielleicht schon freie Plätze….
Pause.
Ich wusste nicht, kommt noch was, haben sie noch freie Plätze, haben sie, aber wollen sie mich nicht auf dem Platz? Ich fühlte mich sehr widerwillig bedient.
Die Nummer 31 könne ich haben.
War mir soweit egal welche Nummer.
Wie gross mein Zelt denn wäre. Viereinhalb Meter lang.
Also ein Familienzelt.
Nein, ein zwei-Personen-Zelt.
So gross, das könne nicht sein. Das sei ein Familienzelt.
Meinetwegen können sie es als Zirkuszelt verbuchen, ich sage nur was in der Packungsbeilage stand.
Der Witz kam nicht an, dafür eine weitere Angestellte von den Dimensionen einer Schwingerin.
Dann ginge es nicht auf der 31, ich solle auf die 27 gehen.
Siebundzwanzig klinge auch gut.
Sie sagte nichts, aber ihr Blick sagte aus, dass es ihr solange wie breit war, ob mir die 27 passte oder nicht.
Die Schweiz hat in Sachen Tourismus nichts dazugelernt, seit die Engländer Anfangs
19. Jahrhundert nach Kandersteg stolperten und uns lehrten, dass mit unserer schönen Bergwelt Geld zu verdienen wäre. So man denn möchte.

32 Franken löhnte ich für die Übernachtung.
Ich denke kurz zurück, vor drei Wochen war ich im Elsass, übernachtete für 8 Euro. An der Rezeption wurde man beinahe umarmt, ich konnte mir meinen Platz selber aussuchen und der Dame war, als sie meinen Rucksack sah, sehr daran gelegen, dass ich die Telefonnummer des Platzes dabei hätte, falls ich mich im Wald verlaufen würde.
Die Schweizer haben einen Rheinfall, stellen einen Bratwurststand hin, widmen sich mit viel Herzblut den Parkuhren und verbringen die kommenden Jahre mit Jammern, wo denn die Touristen blieben, wo sie doch so tolle Bratwürste hätten.

Viereinhalb Meter, klingt schon lange für ein Zwei-Personen-Zelt.

7499_0_NordiskNordland2SI_1rNatürlich ist Salewa immernoch mein Erstausrüster, aber meine Markentreue geht nicht soweit, dass ich Salewa kaufen muss, nur weil ein Adler aufgedruckt ist.
In Sachen Trekkingzelte haben sie mich nicht enttäuscht, wenn man aber eine Nacht länger bleibt und etwas Vorraum braucht, haben sie nichts im Programm, auch wenn Markenfetischisten was anderes behaupten würden.
Nordisk, im Ursprung Dänen, liefern mit dem Nordland 2 alles was man braucht und ich habe so viele Zelte getestet, dass ich einen für ein Outdoor-Magazin schreiben könnte.

Errichtete ich also meinen Palast und immernoch etwas frustriert über die schroffe Bedienung verzichtete ich auf Rugenbräu und trank provozierend ein Calanda. Danach ein Cardinal und erst danach ein Rugenbräu, weil ich einfach nichts anderes mehr hatte.
In den Duschen war in jeder Kabine ein Schaber platziert, so ein Ding wie zum Tafel reinigen in der Grundschule. Was damit anzustellen wäre, keine Ahnung, aber wenn die sich dachten, dass ich für 32 Franken die Nacht noch  irgendwelche Reinigungsarbeiten vornehmen würde, hatten sie sich ordentlich geschnitten. Auch die Mülltrennung können diese mal hübsch selber vornehmen.

Über mir waren Engländer platziert mit rollenden Eigenheimen. An sich hätte ich gerne ein solches Teil. Anderseits, wenn sie ihren Rasenteppich auf dem Rasen ausrollen, die Tische aufstellen, den Kaffe aus Porzellan trinken und das Essen im Ofen zubereiten, frage ich mich schon, wo der Geist des campens bleibt.
Camping ist so viel mehr, als nur eine günstige Hotelalternative.

Die Odysse fand morgens um acht ihre Fortsetzung, als ich einkaufen wollte.
Durch die offene Tür tretend, erkundigte ich mich, ob der Shop schon geöffnet wäre.
Wozu denn?
Hmm, lassen sie mich überlegen… weil ich mir gerne die Haare schneiden lassen möchte?
Ich würde gerne einkaufen.
Was denn?
Öhm… ein Pony?
Nun, ich dachte an Butter, vielleicht ein Getränk.
Na, wenn es denn eben sein müsste; Mit einer abschätzigen Handbewegung wurde ich in den Shop geladen
Unter Bücklingen, mich in einem fort entschuldigend, trug ich Butter an die Theke, Gott seis gedankt, dass ich Brot und Honig bereits in der Migros erstanden hatte. Nach dem Sonntags-Blick wagte ich gar nicht zu fragen, sie hätten wohl die Kasse nach mir geworfen.

Zusammenfassend: Camping Alpenblick in Interlaken hat wohl einen ausgezeichneten Rasen, sehr Heringsfreundlich und bequem, aber sie lassen wohl nicht gerne Touristen auf selbigen. Vielleicht passte ihnen auch einfach meine Nase nicht, oder Leute ohne Camper sind allgemein zweitklassig.

So brach ich viel zu früh auf und entschloss mich, noch an den Reichenbachfall zu laufen. Die Bahn würde 10 Franken kosten, aber diesen Spass kann ich mir jederzeit sonst noch gönnen.
Zumal die Bahn an der falschen Seite hält, schliesslich hatte ich ein anderes Ziel. Nachdem ich schon an der Baker Street in Sherlock Holmes Haus war, wollte ich auch noch sehen, wo er zu Tode kam.sherlock-tafel
Sherlock Holmes war mit Dr. Watson unterwegs, die Nacht im Hotel Rosenlaui zu verbringen. Auf Anraten des Wirtes in Meiringen machten sie einen kleinen Umweg zum Reichenbachfall.

„Es ist in der Tat ein furchterregender Ort. Der vom geschmolzenen Schnee geschwollene Wildbach stürzt in einen gewaltigen Abgrund, aus dem Gischt aufwallt, wie Rauch aus einem brennenden Haus. Der Schacht, in den der Fluss sich wirft, ist eine ungeheure, von glänzendem, kohlschwarzem Fels gesäumte Kluft, die in einem schäumenden, brodelnden Kessel von unermesslicher Tiefe mündet, der überläuft und den Strom über seinen gezackten Rand weiterschleudert. Der unablässig hinabdonnernde grüne Wasserschwall und der unablässig heraufstiebende dichte, wabernde Gischtvorhang machen mit ihrem immerwährenden Wirbeln und Tosen einen Menschen völlig schwindlig. Wir standen nahe am Rand und starrten hinab auf den Schimmer des weit unter uns an den schwarzen Felsen sich brechenden Wassers und lauschten dem halb menschlichen Brüllen, das mit dem Gischt aus dem Abgrund heraufstob.

Als sie dort standen, wurden sie von einem Botenjungen eingeholt, welcher Dr. Watson wegen eines Notfalls in das Hotel nach Meiringen zurück bat.


Als ich mich fortwandte, sah ich Holmes mit dem Rücken an einen Felsen gelehnt und mit verschränkten Armen dastehen und auf die schäumenden Wassermassen hinabschauen. Es war das letzte, was ich auf dieser Welt je von ihm sehen sollte.“

So empfand Sir Arthur Conan Doyle den Reichenbachfall. Eindrücklich, abschliessend mit der heroischen Darstellung des einsamen Detektivs. Ich liebte die Geschichten.

Nun, ich hoffe vor der globalen Erwärmung war der Ort noch etwas furchterregender.reichenbachfall-1reichenbachfall-2reichenbachbahnDas obere Haus ist die Haltestelle der Reichenbachfallbahn. Von da kann man zur Absturzstelle blicken. Ich denke mit einem Fernrohr, welches mit einem Franken gefüttert werden will.
absturzstelleEin hässlicher Maschendrahtzaun.
Was spräche gegen eine Statue von Holmes am Felsen?
Im vorderen Teil des Weges hat Holmes seinen Gehstock und sein Zigarettenetui mit einem Abschiedsbrief an Dr. Watson deponiert. Wo ist dieser?
Man muss nicht alles ausschlachten, aber wieviele Holmes-Fans pilgerten wohl an diesen Ort?holmes-kranzUnd es wird so gar nichts geboten. Kein Vergleich mit der Baker-Street in London.
Aber so sind die Schweizer.
Wir haben eine unvergleichliche Landschaft, der einzige Beitrag des Schweizer Tourismus, die Schauplätze zu einem Erlebnis zu machen besteht darin, dass sie ein Drehkreuz aufstellen und Eintritt verlangen. Vielleicht noch einen Souvenirshop mit einer schlecht gelaunten Teilzeit-Hausfrau hinter dem Tresen.

Wie auch immer, ich will das Berner Oberland nicht schlecht machen, jederzeit ein Ausflug wert.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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