Bei den Ch’tis, diesesmal wirklich

Aber ich muss nochmals hin, die Ch’tis leben in Bergues, wurde mir erst zuhause gewahr, ich war 50km zuweit südlich.

Die Richtung stand schon klar, wo hin, wenn nicht nach Frankreich, folglich; Einmal quer durch ins Nord-Pas-de-Calais.
Die Fahrt nach Freiburg habe ich wohl langsam satt – pendle ich doch nahezu zwischen dem Elsass und der Schweiz -, aber der Reiz am Kanton Schaffhausen ist, dass man mit dreimal stolpern das Land verlassen hat, daher kommt der Umweg via Basel gar nicht erst in Frage. Erst wenn man die Schweiz verlassen hat, keimt etwas, einem urlaubsähnlichen Gefühl au.
Kenne ich Freiburg bisher nur als typische, deutsche, sprich im stop&go zu querende, Stadt, hat sie morgens um fünf ihren eigenen Charme. Bis sechs Uhr wird man angehalten den Schlaf der Anwohner nicht zu stören, des Autolenkers zutun manifestiert sich darin, mit dreissig Stundenkilometern durch die Strassen gondeln. Käme natürlich nie auf die Idee meinen Teil beizutragen, was interessiert mich der Schlaf der Freiburger, wären da nicht zwei weitere Fahrzeuge ebenfalls unterwegs gewesen, ein Gruppendruck, oder mangelnde Eier meinerseits.
Also tuckerte ich nahezu lautlos mit dreissig durch die Strassen, an blinkenden Ampeln vorbei, über menschenleere Kreuzungen. Wie mit dem Dreirad im Verkehrsgarten und dementsprechend fuhr ich auch Schlangenlinie, war ganz kurz davor aus dem Auto zu springen und nebenher zu laufen.
Ich liess es dann doch bleiben und zeigte mich um ein paar Jahre erwachsener, als die zweispurige Stadtausfahrt auf die anschliessende Autobahn ganz zufällig in ein Rennen mit fliegenden Start gegen einen BMW-fahrenden Kontrahenten überging.
Er gewann, aber nur, weil ich frühzeitig vom Gas ging. Bei meiner Fahrt nach Holland, lächelte ich schon herzallerliebst in einen Blechpolizisten, als ich bei tiefschlafender Nacht das baustellenbedingte Tempolimit geringfügig ignorierte.

Kurz vor Calais konsultierte ich meinen EEC-Campingführer. Gute fünf Zentimeter dick und zwei Kilo schwer, so richtig was fürs Handgepäck, bietet er wohl eine gute Übersicht über die Übernachtungsmöglichkeiten für Camper, die Platzbewertung basiert jedoch eher auf der Selbsteinschätzung der Betreiber, oder auf dem Bakschisch für die Testcamper.
Vor Ort stellt sich heraus, dass ein beschriebender, schattenspendender Baum auf Heckengrösse schrumpft und ein Sandstrand sich auf wundersame Weise zur moosbewachsenen Treppe wandelt.besucher-campingCampingbetreiber verkaufen gerne die Katze im Sack.
Des weiteren verleihen sich Campingplätze auch gerne Sterne, sei es auch nur als Teil des Logos. Eine offizielle Wertung gibt es wohl, von Land zu Land unterschiedlich, nur erhalten 25, stinkende, versiffte Donnerbalken ohne Wischpapier und angrenzender Pinkelrinne aufgrund der Anzahl eine höhere Wertung, als 4 Closomaten, neben welchen euch ein Lakaie Rohseide reicht. Quantität vor Qualität.

Ich weiss nicht, ob sie an der Reception Ch’ti sprachen, mittlerweile war ich in Guînes bei Calais – es ist schon eine eigenständige Ortschaft, nicht wie das Niderwil bei Adlikon mit der Postleitzahl von Thalwil und der Navigationsadresse Andelfingen -, mit meinem Schulfranzösisch – un nuit oder ou une nuit, jnösäpa – kam ich nicht weiter, ich verfiel in mein Film- und Fernsehenglisch. Will heissen, ich spreche nicht wirklich englisch, übersetze einfach die Worte und stammle jeglicher Grammatik entbehrend etwas heraus.
Ich wurde geladen, der Dame zu folgen. Elegant schwang sie sich in einem Golfwagen und raste über das Gelände, meine Wenigkeit war eher etwas befangen, auf dem Kiesweg um Wohnwagen zu driften und eingeölte Sonnenanbeter zu bestäuben, musste aber doch Anschluss halten.
Mit meinem Familienkombi und dem Taschenzelt war ich mehr als underdressed, dem Prolesauftritt wiederum angemessen. Daher wurde ich wohl auch in eine heckengesäumte Ecke bugsiert, beinahe versteckt, man will den Gesamteindruck nicht verfälschen. SUV verteilten sich über den Platz, Sterne und Ringe, hier ein Lexus, dort ein Dodge. Kleine Eigenheime auf Rädern, mit eigenem Motor oder gezogen, Seidenzelte über Carbonstangen, man zeigt was man hat.

Es war mir nicht unangenehm, ich mag die Abgeschiedenheit und kombiniere Fahrzeug und Zelt gern zu einer klassischen Wagenburg, wie die Siedler es zu tun pflegten.
Als ich auf meinem kleinen Kocher einen Instantkaffee bereitete, sitzend auf der Karodecke in meiner Wagenburg, drang zwischen aufgehängtem Badetuch und Schlafsack doch ein mitleidiger Blick eines Herren im Ohrenpolstersessel auf dem Rasenteppich zu mir durch. Demonstrativ drückte er sich auf seinem Jura-Vollautomat einen Kaffee, in ein Porzellan-Tässchen mit Unterteller und entnahm dem Kühlschrank ein Kännchen Milch.
Offen gesagt; Ich hätte keine Lust das Porzellan zu spühlen, trocknen und zu verräumen. Mein Campinggeschir wird gereinigt, indem ich heisses Wasser kunstvoll schwenke, hernach auf die Nachbarparzelle schütte und die Gerätschaften unter dem Vorzelt deponiere, um mich gebührend über die resultierende Ameisenplage zu wundern.
Aber vielleicht hatte der feine Herr ja eine Frau im Schlepptau. Nicht, dass mir das Wohl der Hausfrauen am Herzen liegt – wäre auch anmassend, entzieht es sich völlig meiner Kenntis, was Frauen im Grundsatz wollen, wie könnte ich mir daher auch hinreissen lassen, Gedanken über deren Wohl zu machen – aber mir scheint, beim campen geht deren Urlaub, also mein Verständnis von Urlaub, zwischen kochen, abwaschen und staubsaugen – ja, die hatten wirklich einen Staubsauger in ihrem Camper – unter.

Die Distanz zum Meer, respektive dessen Nichtvorhandensein, kompensierte der Platz mit einem Pool, Piscine spricht der Franzose, und die phonetische Ähnlichkeit zu einem deutschen Wort deucht mich treffend. Ich war tatsächlich kurz im Wasser, das Chlor begann mein Fleisch vom Knochen zu lösen, zudem lief man stets Gefahr von Kindern erschlagen zu werden, von der Seite aus geworfen von lustigen Onkels, Papas und Opas. Ein Schild untersagte wohl das Springen vom Bassinrand sowie das Werfen von Gegenständen, von geschleuderten menschlichen Organismen stand da jedoch nichts. Bin ich wirklich schon so alt, dass ich mich über springende Kinder nerve? Wohl ein Zwischending, ich nervte mich, aber nicht so sehr, dass ich interagierte. Nicht zuletzt, weil diese Pfütze Wasser schon im Grundsatz nicht sehr einladend war, mit vier Personen darin schon eine swingerclubähnliche Gspürsch-mi-Atmosphäre vermittelte.

So sprach ich ausgiebig der Dusche zu, nur schon um der Amortisation der Übernachtungsgebühr willen.

Später entschlummerte ich im Flackern der Vielzahl von 40 Zoll-Flachbildfernseher auf dem Platz, unter den Gitarrenklängen eines Hippies in Armani-Shirt und den Flap-Geräuschen von Gucci-Flip-Flops auf dem Kiesweg.

Fotos? Nä.
Die fototechnische Dokumentation wird mir zu blöd. Eigentlich fotografiert man ja nicht was einem gefällt, sondern, wovon man sich möglichst viele „Gefällt mir“-Klicks verspricht, sprich; Fotos schiesst man nur für die anderen. Für welche anderen?
Natürlich, Generation Smartphone und Auslands-Datenpaket, man versendet hie und da ein Bild, nur um was ähnliches wie eine menschliche Interaktion zu haben.
So schauts aus.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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