Bienvenue chez les ch’tis

Es beschleicht einem grundsätzlich das Gefühl, man betritt Zombieland.driveBegonnen beim Zollhäuschen nach dem Grand Canal dAlsace, eingeschlagene Fensterscheiben, rostige Schlagbalken und überwucherte Hinweistafeln.
Wir gleiten weiter durch die Dörfer, Häuser welche auf einen flüchtigen Blick samt und sonders verlassen sind, erst um halb zehn scheinen die ersten Menschen in die Sonne zu treten, ein Supermarkt gibt es nur in den grösseren Ballungscentren und genau dies macht die ganze Region sympathisch.
Also nicht dies mit den Supermärkten, ich musste fünf Ortschaften abklappern um Bier zu kaufen und selbst da hatten sie kein Corona. Dafür quetschte ich mich zwischen Gendarm Ludovic Cruchot und Wachtmeister Merlot hindurch und angelte mir einen Schachtel voller hübscher Donuts. Gewiss ein Kilo schwer, überzuckert wie das Matterhorn im Winter und sie dufteten gar durch den Kunsttoffdeckel der Dose.
Noch ein paar Äpfel, Chips, was man halt so braucht, um einen Abend mit Buch und Regen im Zelt zu verbringen.

Das Zelt, aufgespannt über einem Kiesplatz. Bequem wie ein Jutesack bei Sonnenbrand. Im Campingführer meines Vertrauens, Ausgabe 2012, erhielt der Platz vier von von fünf knuddeligen Zeltbildchen, da muss zwischen Baguette und den Vacances ’78-Katalogen ordentlich Schmiergeld geflossen sein.
Verlassene Wohnwagen dominierten das Terrain. Mit gammeligen Vorhängen, im Wind klappernden Türen und auf dem Boden kullernden Selbst-Bau-Grills. Dazwischen hier und da ein Zelt aus den achtziger Jahren, die Planen bewegten sich bisweilen, man wusste nicht ob Bären, Geister oder wirklich Menschen darin wohnten. Was mir als Haus der Sanitären Einrichtungen beschrieben wurde, stellte sich als Baracke mit vernagelten Fenstern heraus. Die Türen hatten Löcher anstelle der Klinke und zugehörigem Schlosse, ausgefranst als hätte Jason Vorhees sie mit seinem Messer aufgehebelt oder ein Gendarm seine Pump-Gun benutzt.
Etwas weiter durch den Wald fand ich doch noch ein Toilettenhaus. Nach dreimaligem umrunden, trieb mich der stetige wachsende Druck in die nächste Tür, schnell feststellend, dass man es hier locker mag, es wird nicht zwischen Männchen und Weibchen unterschieden. Nun gut meine Damen, mir war das schnuppe, ihr solltet euch die Nase zuhalten. Es gab unglaubliche sechs Toiletten, die Hälfte bestückt mit Deckel und Brille, die leeren Klopapierrollen flackerten lustig im Wind.
Eine Gratwanderung, benutzt man nun die Toilette mit Sitz, wie seit der letzten Reinigung 756 Besucher ebenfalls, oder weicht man auf nackte Keramik aus. Ich erspare euch Details.
Das Vorlegen des Riegels war ein Kraftakt sondergleichen, insbesondere, da man bemüht ist, mit dem Inventar möglichst flüchtig in Kontakt zu kommen, ich befürchtete nach erfolgreichem Verschliessen der Tür, die Toilette nie mehr verlassen zu können. Meine Bemühungen, angesichts der Einsamkeit kann man Sinn und Zweck in Frage stellen, aber es sitzt sich besser bei verschlossener Tür, waren mit solcherlei Zeitaufwand verbunden, dass der Bewegungsmelder den Raum als leer klassifizierte und somit der schwankenden Birne im Wind den Strom entzog.
Nur noch ich, die Schüssel, der Wind und ein scharrendes Vieh im Zwischengebälk über mir. In der Dunkelheit.
Hemingway lässt grüssen.
Mittels gezieltem Fusstritt, in Kauf nehmend, rückwärts in den Topf zu torkeln – G-Man Jerry Cotton wäre neidisch gewesen – konnte ich mich aus dem Gefängnis befreien. Mein schlechtes Gewissen ob der nun noch dürftiger schliessenden Türe hielt sich in Grenzen, wie auch der nicht mehr enden wollende Wasserstrahl aus dem per Knopfdruck auslösenden Speier über dem Lavabo. Bin ja kein Sanitär und eine Meldung bei der Reception hätte sich gewiss negativ auf meine Rechnung ausgewirkt.

Als das Aussenzelt stand, stellte Petrus auch den Regen ein. Nur noch gelegentliche Windböen, welche stets den über mir stehenden Baum auswrangen, so ich mal eben zum Auto schlurfte.

Mein erster Ausflug führte mich gemäss Kletterführer zu der Wand.
Mittels präziser Beschreibungen wie „Ignorieren sie die Einbahnstrasse…“ und „Nach ca. 15 Minuten biegt ein Fussweg links ab…“ irrte ich eine geschlagene Stunde durch den Wald, lief im Kreis und bereitete mich darauf vor, Blair Witch zu begegnen. Die Beschilderung von Wanderwegen nimmt der Franzose mit weissen Ringen an Bäumen vor. Diese Bäume sind im ganzen Wald verstreut. Vielleicht wird so auch Schlagholz markiert, zur Orientierung jedenfalls so hilfreich wie Brotkrumen im Taubenschlag.
Plötzlich stolperte ich über eine Feuerstelle und fand tatsächlich einen Pfad, welcher an einer verlassenen Wand entlangführte, weiss gepudert, mit Borhaken übersät.wandWunderbar, die Routen angeguckt – wird knifflig, aber auf das Kantenklettern freue ich mich – und hernach zurück zur Feuerstelle.
Danke Herr Neininger, die Frontseite reichte aus, ein hübsches Feuerchen zu machen. feuerIch kann es nur wiederholen, Essen am Stock über dem Feuer zubereitet ist einfach nicht zu toppen.

Szenenwechsel.
Des Nachts, ich rechnete mit Zombies, Satanisten oder zumindest Nihilisten welche mein neues Zelt in Brand stecken würden, wurde ich tatsächlich geweckt. Als erstes stellte ich fest, dass die Bodenneigung doch tückischer als angenommen war, ich lag auf dem Rucksack, halb stranguliert in der Schlafsackkapuze. Ein Rascheln im Vorzelt, merkwürdiges Atmen, ein Schatten auf der Eingangstür…
Die Taschenlampe hatte keine Wirkung, vielleicht ein blinder Zombie. Als ich am Reissverschluss nestelte war es plötzlich ruhig.
Grüne, oder waren es gelbe, Augen funkelten mich an. Eine Katze tat sich an meinen Donuts gütlich. Normalerweise lasse ich keine Speisen im Vorzelt liegen, aber diese Dinger waren mir zu süss, sprich, sie waren für die korrekte Entsorgung bestimmt und lagen daher, wie erwähnt in besagtem Vorzelt. Ein bodenloses Vorzelt, wohlgemerkt, es war keine reissverschlussbedienende Katze. Nachdem sich auch die Katze vergewissert hatte, dass ich kein Untoter bin, liess sie sich nicht weiter bei ihrem Festmahl stören und eine zweite stiess gar dazu. Einigermassen beruhigt, mein campierender Bruder hatte unlängst Familie Wildsau zu Gast, was dann ein Nervenkitzel der besonderen Art ist, platzierte ich meine Matte neu, feststellend, dass ich trotz meiner eher kompakten Bauform, für das Querliegen eine Fussbreite zu gross bin.

Vierzehn Euronen, für eine Nacht im Zelt, eine Baguette, ein halbes Pfund Butter und eine Flasche Wasser. Man kann mir bezüglich meiner Zelt-Wegwerf-Mentalität schon Vorträge halten, aber drei Nächte im Freien statt im Hotel und man hat das Teil amortisiert. Inklusive Frühstück und ein Sechserpack Heineken aus dem Supermarkt.
Ich erhielt meine Identitätskarte wieder, das Einziehen derselben beim Einchecken beunruhigte mich leicht, und war frei, wieder meiner Wege zu ziehen.

Mein Weg hätte mich an sich nach Colmar geführt, wären da nicht diese drei Ruinen auffordernd auf dem Hügel gestanden und vom Zusammentreffen mit Smirre…

Doch dies ist eine andere Geschichte, die erzähle ich das Nächstemal.turm

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
Dieser Beitrag wurde unter Unterwegs, Vom Leben und gelebt werden veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.