Bürozeit Di u. Do

Do würd denn nid eifach ineglatschet!
Was ich überhaupt wolle?

Fragt der dicke Mann hinter dem Schreibtisch, welcher den lieben langen Tag nichts anderes macht, als Smartcards erneuern.

Im Juni erhielt ich die Mail, meine Smartcard dringend zu erneuern, sie werde demnächst ablaufen. Am 31. August, um präzise zu sein.
Daher ignorierte ich diese wichtige, systemgenerierte Nachricht. Respektive, schob sie auf meinen elektronischen zu-erledigen-Stapel.
Eine dringende Erinnerung, meine Smartcard dringend zu erneuern flatterte im Juli in mein Postfach. Und rutschte auf den zu-erledigen-Stapel.
Am 31. August werde meine Smartcard deaktiviert, letzter Aufruf sie zu erneuern! las ich kurz nach dem Nationalfeiertag.
Vor Schreck machte ich gleich drei Wochen Ferien. Die Smartcard ordnungsgemäss verschlossen.
Sie haben gelogen, es kam noch ein Aufruf und ich nahm mir die Musse, das Mail zu lesen. Ich hätte in xy per Mail einen Termin zu vereinbaren, meine Karte zu erneuern.

Sehr geehrtes Smart-Card-Team,
gerne würde im am 30.8 meine Karte erneuern.
Wäre Ihnen dies genehm?

Ich meine, einen Tag vor der verheerenden Sperrung, alles wunderbar.

Bürozeit Di u. Do

Keine Anrede, keinen Gruss, kein Danke. Noch nicht einmal die Worte ausgeschrieben, geschweige denn einen kompletten Satz gebildet.
Nun, dann eben am 31.8.

31.08.17, 07.35 klopfte ich an das Smartcard-Büro. Eine bessere Abstellkammer, noch nicht einmal im Haupttrakt des Gebäudes.
„Ja?“ schall es durch die Sperrholzplatte, welche diesen Sicherheitsraum von der Durchfahrt abgrenzte.

Ich wäre hier, um meine Smartcard zu erneuern.
„Ach? Und der Herr dachte, er komme einfach einmal vorbei?!“
Per Mail wurde mir mittgeteilt, heute wäre die Bürozeit, ob dies denn falsch sei?

Nein, das wäre richtig. Aber ob ich nicht gelesen hätte, da wäre ein Termin zu vereinbaren?
„Da stand nichts in…“
„ICH WEISS SELBST WAS ICH GESCHRIEBEN HABE!!“

Er wäre aufgestanden, hätte die Körperfülle dies gestattet. So spie er einfach Gift und Galle über den Schreibtisch.

„Im Intranet haben sie sich wohl nicht erkundigt was?“
„Nein, das habe ich nicht.“

„Nein, wozu auch, steht ja nur aus Plausch da drin, nicht wahr? Da kann man ja einfach reinlatschen und dann geht das schon.“

Mittlerweile habe ich so meine Erfahrung mit Bundespersonal. Nur die Hälfte der Energie für das Lamentieren, warum etwas nicht geht und so schon gleich gar nicht und in dieser Art und Weise dreimal nicht, in die eigentliche Arbeit investiert, und sie hätten viermal mehr Freizeit. Oder der Bürger Steuern gespart.
Aber da macht man dem Bundesbeamten nichts vor; Es gibt immer hundert Gründe, warum etwas nicht funktionieren wird. Die selbsterfüllende Prophezeiung gibt ihnen recht. Seit 1850. Da wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde und 1850 plus einen Tag der erste Zeugwart hinter einen Schreibtisch gerollt.

Würde ich nun beginnen zu argumentieren, würde ich um elf noch im Zargen stehen. Der Herr, dynamisch zurückgelehnt mit Gottvertrauen in die Bruchlast seiner Stuhllehne, hätte stets ein Gegenargument und die Krux war, ich benötigte die neue Karte.

„Es tut mir leid, ganz offensichtlich habe ich mich schlecht informiert.“
„Ja…“
Schweigen.

„Was machen wir jetzt?“
„Ja, was machen wir jetzt wohl? Ich habe um halb neun einen Termin! EINER DER SICH ANGEMELDET HAT!“
Mit Nachdruck über den Tisch gespuckt.

Aus einem Reflex heraus schaute ich auf die Uhr.
„Ja, ich müsse gar nicht so gucken, dies wäre schon in 50 Minuten!“

„Dann wollen wir einen Termin vereinbaren?“
Er krallte sich in seine Armlehnen und beugte sich ächzend vor. Im zweiten Anlauf klappte es.

„Hinsetzen!“
Zaghaft setze ich mich auf den Stuhl ihm gegenüber. Vor mir ein leerer Schreibtisch, bis auf ein numerisches Tastenfeld, angrenzend an seine Arbeitsplatte.

„AHV-Nummer?“
„Bitte?“
„AHV-NUMMER!!!!“
„Ähm…“

Du darfst deinen Geburtstag vergessen, den Hochzeitstag verpassen, die falsche Blutgruppe angeben, aber deine AHV-Nummer muss omnipräsent sein. Gerade als Bundesangestellter. Gut, der Link liegt auf der Hand, mit Eintritt in eine Bundesorganisation dreht sich alles nur noch um die Pension. Zwei Dinge wissen die Zeugwarte mit Gewissheit. Wer momentan auf welcher Beiz ist, – „ufeme Spunte si“ bedeutet in der Schweiz, ein Restaurant zu betreiben –  für alle Beizen zwischen Hinwil und St. Margrethen und dies rückwirkend bis 1963.  Das zweite sind die Tage, Stunden und Minuten bis zur Pensionierung. Tagesaktuell, dies ist der einzige Punkt, in welchem sie eine Änderung aktiv mitkriegen. Und natürlich der Umwandlungssatz.

„Im Intranet steht, dass sie die AHV-Nummer wissen müssen, aber wenn sie sich zu gut sind, dort nachzulesen….“
Er hatte mich bei den Eiern. Natürlich wären mir spontan fünf Möglichkeiten eingefallen an diese Nummer zu kommen, aber da hätte ich kurz seinen Rechner benutzen müssen. Seit dem traumatischen Erlebnis, als er seine Schreibmaschine abgeben musste, hätte ich ihn wohl eher um eine Niere bitten können.

„Versicherungskarte?“
„Diese hätte ich eben…“
„SIE HABEN DOCH WOHL EINE KRANKENKASSE??“
„Klar…“
„Da steht sie drauf. Karte!“

Einer seiner fleischigen Arme hebt sich von der Armlehne und die Hand bewegt sich etwa 20 Zentimeter über die Tischplatte. Also seine Platte. Ich zücke meine Versichertenkarte, heilfroh, diese dabei zu haben und strecke sie ihm entgegen. Knapp über die Grenze zwischen den Tischen.

„Ja, bewegen müssen sie sich schon etwas!“
Klar. Er sieht aus, als hätte er drei Personen meiner Fülle gefressen, aber ich soll mich etwas bewegen.
Also erhob ich mich, lag halb auf meine Platte und reichte ihm die Karte.
„Na also, geht doch.“

Wurstfinger hämmerten auf seine Tastatur.
„Herr yx…. hmmmm…. verwandt mit Oberst yx…..?“
Sah ich da eine Schweissperle auf der Stirn?
Obwohl, Zeugwart-Schweiss ist eine der seltensten Flüssigkeiten auf der Erde. Ging ihm nun der Allerwerteste auf Grundeis ob meiner eventuellen familiären Bande in den Generalstab oder lag es an der unerwarteten Arbeit?
Ich liess quälende zwei Sekunden verstreichen, überlegte, ob ich vielleicht mit Oberst yx verwandt sein wollte…

„Nein.“
Spürbare Erleichterung gegenüber.
„Habe ich mir schon gedacht. PIN eingeben. OHNE ENTER!!!“

Was muss der Kerl auch immer schreien?

„So.“
Mit der Karte warf er ein Faltblatt auf meinen Schreibtisch. Die überraschend dynamische Bewegung verriet jahrelange Übung. Trotz seiner Erschöpfung.
„Diese Anleitung vor dem ersten Mal verwenden durchlesen.“

Die Karte sicher verstaut, bekam ich Oberwasser.
„Na, das ist ja jetzt ganz flott gegangen…“
WAS?!?! So nicht noch einmal! Wo kämen wir hin, wenn jeder einfach reinlatscht? Und gleich kommt der nächste. DER WELCHER SICH ANGEMELDET HAT!

Wieder der reflexartige Blick auf die Uhr. 07:55.
„Oh ja, ich seh schon, in 35 Minut….“
„GUTEN TAG!“

„Danke noch vielmals und das nächs…“
„GUTEN TAG!!“

„Und ihnen ein schönes Weihnach…“
„GUTEN TAG!!!“

Ok, den letzten Satz habe ich mir aus den Fingern gesogen, fühlte mich nur eben an Ebenezer Scrooge erinnerte.

„Was, schon wieder hier?“ klang es erstaunt, als ich wieder zurück war. Mit diesem ‚was muss der auch immer so durch den Tag hetzen‘ im Unterton.
„Normalerweise geht das Erneuern der Smartcard schon einen halben Tag…“

Ja, ich werde wohl ewig das schwarze Schaf bleiben.
Noch 24 Jahre, 233 Tage, 3 Stunden, 12 Minuten und 37 Sekunden…

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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