Das verlorene Weihnachten

Driving Home for Christmas singt Chris Rea.
Driving far far away würde mir eher zusagen.

Die Weihnachtsstimmung will sich dieses Jahr nicht einstellen. Normalerweise beginne ich mich ab Oktober auf Weihnachten zu freuen, im Dezember erreicht die Weihnachtsstimmung einen anhaltenden Höhepunkt bis am 24. Dezember und mit dem heranziehen der Sitzgelegenheit an Mutters Esstisch anlässlich des Weihnachtsmahls, findet die ganze Euphorie ein aprubtes Ende, räumt dem Weihnachtsblues bis nach Silvester Platz ein und oh Wonne, ein neues Jahr wird eingeläutet und alles bleibt wie es war.
Die Weihnachtszeit besticht nicht zuletzt durch das hemmungslose Naschen von ungesunden Leckereien. Nur ein Idiot würde am dritten Dezember eine Diät beginnen. Gestatten; Idiot.
Da in den Kaufhäusern und Supermärkten der Weihnachtszauber schon Ende September beginnt, übte ich mich bisher erfolgreich darin, vor dem ersten Dezember keine Erdnüsse und vor dem Nikolaus-Tag keine Mandarinen – Clementinen – zu verzerren. Um diesen Genuss habe ich mich dieses Jahr selbst gebracht.
Kekse backen, stets eine Freude und das Verzehren derselbigen stand in Nichts nach. Nun, gebacken habe ich sie, in ihrer Blechdose gammeln sie so langsam vor sich hin.
Christbaumanhänger ist einfach die bessere Schokolade, als wenn selbige von einem Block gebrochen wird. Nicht dieses Jahr.

Aber es liegt nicht nur an meinem Verzicht auf lecker Speisen.
Der Teufel ist ein Eichhörnchen und rundherum herrscht eine Stimmung, als würde der Nikolaus zu Grabe geschleift. Für gewöhnlich bemitleide ich Leute, denen der Geist von Weihnachten abhanden gekommen ist, dieses Jahr lasse ich mich vom globalen und lokalen Gejammer mitreissen. Wohin ich schaue sind die Leute gestresst, geplagt von finanziellen, existenziellen Ängsten, sie schuften sich den Buckel krumm und unterm Strich kann man sich nur einige Überstunden ans Bein streichen, der Aufwand hat niemandem etwas eingebracht.
Wann immer Weihnachten ins Spiel gebracht wird, sehe ich nur noch das kommerzielle Ausschlachten einer krampfhaft heraufbeschwörten Stimmung. Abzocke unter der Schirmherrschaft des Christkindes.

Nichts desto trotz gilt es Bescherung zu besorgen, also bewegte ich mich in die Stadt.
Aus dem Lautsprecher bettelt ein kongolesischer Pfarrer in gebrochenem Deutsch um Spenden. Das gibt es ein Dorf namens Kamutanga im Kongo, welches nur aus bildungshungrigen Handwerkern zu bestehen scheint, welchen so ziemlich alles zum Leben fehlt. Jeden Morgen werde ich vom lokalen Radiosender darauf hingewiesen, dass ich das warme Wasser aus dem Ideal-Standard-Mischer sowie den elektrischen Strom schätzen soll, in Kamutanga hätten sie so etwas nicht. Den ganzen Tag geht es so weiter. Wann immer ein zivilisationsbedingter Standard erwähnt wird, werden wir darauf hingewiesen, dass dieser im Kongo nicht vorhanden sei; Ja, gar Weihnachten hätten sie den armen Kerls genommen. Wohl eine Definition von Weihnachten und die Frage, ob Christi Geburt in einem Buschdorf überhaupt von Bedeutung wäre, aber Hauptsache es wird tüchtig gejammert.
Auch frage ich mich, ob es den Damen, Herren und Kinder im Kongo wohl genehm wäre, Elektrizität und fliessend Wasser zu haben, nur damit sie pünktlich zur Knechtschaft erscheinen können. Wir wollen nicht vergessen; Elektrisches Licht brauchen wir, damit wir schon zur dunklen Stunde mit dem Tag beginnen und selbigen weit über die Dämmerung hinaus ziehen können.
In Kamutanga leben wohl Unmengen von potentiellen Handwerkern, aber ohne leitende Hand sind sie nicht fähig, einen Stuhl zu zimmern. Vielleicht haben sie keine Ahnung was ein Stuhl ist, wie er aussieht und welchen Zweck er hat, vielleicht wissen sie erst, dass sie Stühle und Tische brauchen, nachdem der Matthias Hauser von Radio Munot sie darauf hingewiesen hat, Fakt ist; In Kamutanga brauchen sie Geld, Dein Geld und mein Geld.
Bisher werden die Azubis bei Sonnenwetter unter einem Baum unterrichtet – eine wahre Horrorvorstellung, in der Tat – und mit erbettelten 50’000 Franken soll eine Berufsschule errichtet werden.
Dafür werden also täglich zweihundertvierzig Jammer-Jjingels ausgestrahlt, auf der Internetplattform des Radios sehen Buschkinder traurig in die Kamera und Radio Munot veranstaltet ein Wunschkonzert. Da wünschen sich die Hörer aus dem fünfzig Compact Disc’s umfassenden Musikarchiv des Senders die Titel, welche onehin schon täglich gespielt werden, sie löhnen einfach zwanzig Franken dafür.

So unter uns; Ist es nicht erstaunlich, dass die Völker fernab der Zivilisation überlebt haben, bis wir erschienen sind und ihnen klar gemacht haben, dass sie mit dieser Lebensart zweifelsohne innert Kürze dem Untergang geweiht sind?

In der Stadt angekommen prasselt der Schnee in schweren, nassen Tropfen auf das Kopfsteinplaster und bei 5° rinnt Weihnachten in den Gulli. In dieser Laune sind auch die Leute unterwegs, so beginnen sich im Thalia ein gesetzterer Herr mit einer jüngeren Dame um den Platz in der, zugegeben etwas verwirrend aufgestellten, Warteschlange zu zanken. Er sei zuerst und sie meine nun, sie könne von der Seite und eben schon hat dieser Herr sich vorgedrängt und nun sei er…
Es ist Samstag, der Herr scheint nicht berufstätig zu sein und statt zwei Minuten länger zu warten, macht er sich lieber zum Affen der Filiale. Meinetwegen.
Asche auf mein Haupt, ich war bei Thalia.
Grundsätzlich ziehe ich regionale Händler wie den Schoch-Bücher vor, aber heute hatte ich keine Lust auf diese Gspürsch-mi-Atmosphäre. Zudem entnehme ich den Blicken der Verkäuferinnen stets ein Anzweifeln meiner Fähigkeit, aneinandergereihte Buchstaben als Schrift zu entziffern, nur weil ich weder Hornbrille noch gehäkelten Poncho trage, weder Studentenausweis noch Lehrerschafts-Rabatt-Ausweis – ja, sowas gibt es – vorweise und mich in dem irgendwie assortierten Laden stets verlaufe.
Sofern ich eine hochstehendere Lektüre als „Petzi am Nordpol“ an den Korpus trage, kommt die Frage, dass ich dies gewiss als Geschenk haben möchte, was ich so interpretiere, dass es meinen Intellekt augenscheinlich überfordert, wenn nicht die Hälfte der Seiten bunt illustriert sind.

Vom den prügelnden Rentnern geht es weiter in den Manor zum lustigen Rolltreppen fahren. Stets durchfahre ich sämtliche Stockwerke und konsultiere hernach trotzdem die Übersichtstafel um die Spielwarenabteilung zu finden. Endlich angekommen, wirken die Regale ziemlich leergekauft, was mich eigentlich schon zur Umkehr bewog. Mittendrin, zwei Herren, welche sich bei der Auswahl von Lego von einer Verkäuferin beraten liessen. Irgendwie befremdend.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie ein schmieriger, kleiner Verkäufer sich in die Startposition begab und verliess die Hello Kitty-Ecke, bevor er sich an mich ranschmeissen konnte.

Eigentlich wäre noch ein Besuch im Swisscom-Shop angesagt gewesen, da liegt ein angebissener Apfel für mich bereit, wurde mir gestern telefonisch, per SMS und E-Mail mitgeteilt.
Aber die Lust darauf ist mir vergangen. Ich denke, man muss in Stimmung sein, sonst hinterfrägt man nur Sinn und Zweck der Investition.

Im Parkhaus begegnet mir ein Paar. Sein Test, ob seine schicken Sneakers auf dem nassen Boden genügend Grip aufweisen, wirkt wie das Stolpern des dummen August im Zirkus Knie. Die Dame an seiner Seite verzichtet auf dieses affige Getue, trug stattdessen eine Art Winterstiefel mit dreifachem Klettverschluss, wie sie Zweitklässler für den Schlittelnachmittag anzuziehen pflegen.
Beim Anblick solcher Szenen frage ich mich, ab welchem Zeitpunkt Paare nicht mehr darauf achten, in Verhalten wie auch Aussehen, attraktiv auf den Partner zu wirken.
Ja, bisweilen bin ich richtig froh, dass mein Bestreben – so ziel und sinnlos es an sich auch ist – mich darin bestärkt, nicht einfach durchzuhängen.

Begeben wir uns also in die letzte Woche vor Weihnachten.

Hallelujah.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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