Der Koffer ist die Reise

An sich bin ich ja zu arm um billig zu kaufen, nichts desto trotz erstand ich vor gut zehn Jahren, oder so, ein Kofferset beim Wiederverkäufer mit dem friesischen Vornamen und gestreckten Zeigefinger. Für’n Appel und’n Ei, wohlgemerkt, dennoch kam nie wirklich Freude auf. Begonnen beim Schlüssel, welcher mir die Formel ‚Torsion = Kraft mal Länge des Hebels‘ unangenehm in Erinnerung rufte; Der plastische Bereich wurde übersprungen und so landeten wir direkt beim Bruch. Glücklicherweise konnte das Schloss als solches mit derselben physikalischen Formel ohne grosse Kraftanwendung, wie auch ohne notwendiges Schliesswerkzeug geöffnet werden. Selbstverständlich nicht ohne den Reissverschluss aus seiner dürftig befestigten Naht zu zerren, notabene, mit einem kleinen Ruck hätte der Koffer geöffnet werden können, ohne sich mit jedwelchen Schliessvorrichtungen weiter auseinander zu setzen.

Die Firma Manor stand meinem Dilemma mitfühlend zu Seite, nicht zuletzt dank der hauseigenen Kreditkarte, welche einem stets das Gefühl vermittelt man hätte kein Geld ausgegeben, was wohl durchaus im Sinne der Erfinder ist.
An sich war von vornherein klar, dass nur die Firma mit dem S zum Zuge kommt, fairerweise betrachtete ich dennoch das Angebot der hauseigenen Marken. Sehr preiswert, aber ich darf mir zumindest auf die Fahne schreiben, dass ich wohl jedes Produkt einmal billig kaufe um mich eines Besseren zu belehren, jedoch niemals den Fehler zweimal begehe. Der geneigte Leser schreit nun Moooment; Zu meiner Verteidigung, bei den Campingbehausungen ist zum einen das Angebot erschlagend, zudem kaufte ich jede Marke auch nur einmal. Wider besseren Wissens, gestehe ich zu.

Es stellte sich nur noch die Frage Hartschale, was unglaublich cool wäre, oder diese Weichkoffer. Ich bin sehr qualitätsversessen, aber den doppelten Preis für einen Hartschalenkoffer liess sich auf den ersten Blick nicht rechtfertigen. Nicht, dass dies relevant wäre, aber da würde ich schon Carbon-Schalen, Titan-Räder und Graphit-Griffe erwarten. Zudem müsste er sich automatisch öffnen und in irgendeiner Form zu einem coolen Roboter transformieren.
Nichts dergleichen, also den günstigen 0815-Weichkoffer mit ordentlichen Rollen, das habe ich aus „Up in the air“ gelernt, den Koffer muss man aus dem Handgelenk um die eigene Achse rotieren lassen können.

Leider sind die regionalen Verkehrsbetriebe eher auf Schubkarren und Körbe ausgelegt, bei der Fahrt in die Kantonshauptstadt neigte mein Koffer mit den ordentlichen Rollen dazu einem Pinball gleich durch den Bus zu kullern und ich entkam nur knapp dem Tod durch strangulieren, als ich ihm nachsetzte und sich mein umgehängter Kulturbeutel im Abfalleimer verfing.
Nicht nur, dass man im ländlichen Gebiet merkwürdig angesehen wird wenn man einen Koffer mit ordentlichen Rollen durch das Dorf zieht, man hat keine Chance, diesen im Bus irgendwie zu platzieren, so man es geschafft hat, ihn zwischen den Sitzreihen hindurch zu bugsieren. Letztenendes sitzt man in einer Croissante-Haltung zum Mittelgang gebeugt, jeder Physiotherapeut reibt sich die Hände, hält seinen Samsonite in der Durchgangspassage an Ort und Stelle und hebt ihn bei jeder einsteigenden Oma auf den Schoss.

Ein Billett der Schweizerischen Bundesbahnen zu erstehen ist schon eine Herausforderung, möchte man jedoch an einem Schweizer Bahnhof eine Fahrkarte für die Deutsche Bahn lösen werden einem erst recht Steine in den Weg gerollt. Die Bahn sollte nach Fahrplan in fünf Minuten den Bahnhof verlassen, auf die obligate Verspätung wollte ich nicht bauen. Selbstverständlich startete die Wandergruppe Silberfüchse zeitgleich zum Sonntagsspaziergang, Helmut löste die Gruppenkarte und fünfzehn Paar Mephisto-Schuhe sammelten sich vor dem Schalter um ihm Rückhalt zu geben.
Zwangsläufig widmete ich mich nochmals dem Automaten und siehe da, als ich den Krümel eines Schinkenbrotes wegwischte, entdeckte ich tatsächlich den Menüpunkt „Internationale Verbindungen“ und schaffte es, ein Ticket nach Basel zu lösen.

Die Verspätung der Deutschen Bahn reichte aus, dass ich eine Matrize fertigen und mein Ticket selber hätte drucken können.

Man muss die Angst vor Keimen und jedwelche Ekelgefühle ausschalten um die Fahrt zu überleben. Zu meiner Linken frass sich ein Alternativer im gestrickten Poncho gleich einem Mähdrescher durch sein Kleiebrot, dass die Krümel durch das gesamte Abteil wirbelten, während zu meiner Rechten im Sitz über der Durchgangspassage ein alter Sack schnarchte, dass die Bahncard-Werbung wackelte. Dabei troff ihm der Rotz aus der Nase, welchen er zu sechzig Prozent alle 85 Sekunden wieder hochzog, sein Rauschebart hinterliess uf dem Pullover einen Fettfilm, garniert mit Hautschuppen.
Ihm gegenüber eine alte Dame mit pfirsichroten Wangen, welche mich wie einen Ausserirdischen anstarrte und lasziv im Halbstundentakt ihr Make-Up auffrischte. E-Book-Reader sind eine feine Sache, aber die Möglichkeit, sich mit einer grossen Zeitung die Illusion einer Abschottung zu bauen ist nicht zu verachten und man vermisst sie schmerzlich.
Mich zu einem verkrampften Etwas zusammenkrümelnd hoffte ich, der Kontamination durch Körpersekrete, Schuppenflechte und Essensresten zu entgehen, möglichst flach atmend um mir nicht die Seuche zu holen und alle unbedeckten Körperteile nah bei mir zu halten um mit dem Inventar nicht in Berührung zu kommen.
Die Hitze verwandelte den Wagen in eine Masoalahalle, Triefnase zur Rechten begann zu riechen, ein würziges Eau-de-Schweiss, gewiss seit drei Tagen regelmässig erneuert, zog in Schwaden herüber.
Ein kleines Kind muss sich mit allerlei Körperexkrementen und Essensresten an der Scheibe in der Kunst der Finger-, Zungen- und Nasenmalerei versucht haben, dennoch schafften es einige Sonnenstrahlen auf dem Poncho des Hippies zu landen. Frei schwebende Tierhaare tanzten lustig im gelben Schein und er begann nach nassem Hund und dessen Ausscheidungen zu riechen.

Den Würgereiz nur noch knapp unterdrückend, mit roten, tränenden Augen und unheilschwangerem Jucken auf jedem Quadratzentimeter Haut hechtete ich in Basel auf den Bahnsteig, die Welt auf Knien begrüssend und die abgasgeschwängerte Luft in die Lunge pumpend, als hätte ich soeben einen Rekord im Apnoetauchen aufgestellt.
Mein Bedarf an öffentlichen Verkehrsmittel war mehr als gedeckt und ich leistete mir zum Flughafen ein Taxi. Nicht zuletzt, weil ich mit Bus- und Tramverbindungen hoffnungslos überfordert bin.

Ich pflege ein Minumum an physischem Kontakt zu Mitmenschen, daher könnte man meine Zollabfertigung beinahe als sexuellen Akt bezeichnen.
Meinen Kulturbeutel, Jacke, Gürtel und was man sonst noch so auf sich trägt in einer Plastikschale, schlurfte ich durch den Metalldetektor, die Hose krampfhaft auf Hüfthöhe festhaltend. Natürlich piepste es, das Biberli vom Kiosk musste schon ordentlich schwermetallhaltig gewesen sein, und ein zwei Meter grosser, schwarzer Riese winkte mich zur Seite. Auf französisch wurde ich angewiesen die Arme von mir zu strecken, mit einer merkwürdigen Beinstellung versuchend die Hose oben zu behalten kam ich seiner Aufforderung nach. Er nahm seinen Job sehr ernst, künftig werde ich wohl den Nacktscanner bevorzugen. Sogar in den Hosenbund glitten seine flinken Finger und zum ersten Mal seit Ablegen des Gürtels war ich froh, dass meine Bundweite etwas gross bemessen war.
Durch eingehendes Tasten den Verdacht zerstreuend, dass es sich bei dem Gegenstand in meinem rechten Hosenbein um ein Langschwert handle, entliess er mich und ich durfte mich wieder ordentlich bekleiden.

Hätte der Flieger eine unplanmässige, spontane Landung hingelegt wäre ich gewiss von den Speiseboxen zur Rechten erschlagen worden, ansonsten ist das Sitzen in der letzten Reihe ganz angenehm, man hat wenig Menschen um sich. Zudem kann man ungehemmt der Flight Attendant auf den Hintern starren, während sie den Snack vorbereitet.
Nach dem trockenen Brötchen mit Streichkäse, dem Becher Henniez und Lindt-Schokolädchen kreiste der Flieger über London.
London by night von oben, ihr wisst ich stehe auf Kitsch. Wie in einer Spielzeugstadt sieht man kleine erleuchtete Fensterchen, breite und schmale, helle Streifen ziehen sich durch die Landschaft, kleine Autos bewegen sich darauf, es wirkt so ruhig und friedlich. Schon von Peter Pan’s London-Flug im Disneyland verzaubert, erlebte ich nun den wirklichen Flug, wenn auch nur durch ein kleines Flugzeugfenster.
Vielleicht weil ich weit davon entfernt bin ein Vielflieger zu sein, war ich vom Flughafen London City schon beeindruckt. Man sieht zur Linken den Thomsons ins Wohnzimmer und könnte zur Rechten die Kamine streicheln, bevor die Maschine aufsetzt und ordentlich zügig zum stehen kommt. Ich war schwer beeindruckt.
Es war sehr angenehm, dass meine Begleiterin und Reiseführerin, eine routinierte London-Besucherin, meine Begeisterung nicht schmälerte; Nichts ist mühsamer als Personen, welche alles schon erlebt haben, welche nichts mehr überraschen kann und dies vor allem in ihrem Rucksack haben, um es den anderen bei jeder Gelegenheit aufs Auge zu drücken.

Den Flughafen noch nicht verlassen, wurde ich bereits das erste Mal über den Tisch gezogen. Aus eigener Dummheit muss ich sagen.
Man ist ja cool, obwohl die deutsche Option zur Verfügung stand, lässt man sich beim Aufladen der U-Bahn-Karte auf englisch durch das Menu führen. Die Karte vor den Leser halten, sich durch die Optionen drücken, zwanzig Pfund in den Schlitz schieben und von dannen ziehen. oysterDa meine Reiseführerin die Karte organisiert und mit einem kleinen Guthaben versehen hatte, wurde ich mir meines Fehlers nicht gleich bewusst.
Wo immer die zwanzig Pfund geblieben sind, auf der Karte waren sie nicht und nach der dritten Fahrt weigerten sich die kleinen Flügeltüren mich in die Tube zu lassen.

Ihr als weltgewandte Bürger wisst dies natürlich, aber wenn auf dem Display steht, die Karte nochmals an den Leser halten, ist dies nicht eine Empfehlung, es ist Teil des Aufladeprozesses.

Fortsetzung folgt.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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