Der Winter naht

Gewiss, es war nicht der Weisheit letzter Schluss, aber gerade heute arrangierte ich mich mit einem kurzen Wohlgefühl mit meiner neuen Stellung.

Grund waren die minus 5 Grad des frühen Morgen. Jeden Abend bin ich zu träge, die Frontscheibe mit dieser urhässlichen Anti-Frosthaube aus Otto’s Warenposten zu bedecken und jeden Morgen ärgere ich mich über die Faulheit des Vorabends. Glücklicherweise sind die Zeiten des Scheibenkratzens vorbei, flugs mit dem Eisentferner aus der Sprühflasche um den Wagen spaziert und das Blickfeld ist frei. Nur kurz die Hände am Beinkleid getrocknet, jede und ich meine wirklich jede Eisentfernersprühflasche lässt einen nicht unerheblichen Teil des Spritzgut über die Finger rinnen. Und ja, mir ist bewusst, wie das jetzt klingen mag. Ich wirke dem morgendlichen Fingerbad nun ein Stück entgegen, indem ich die Flasche halte wie ein rappender Balkangangsta seinen Ballermann.
So fahre ich dann, verkehrskonform und polizeigeliebt, 256 Meter um meinen Wagen regelmässig kurz vor der Ortstafel infolge kompletter Nullsicht in den Acker zu stellen und die Heizung ihren Dienst verrichten zu lassen.
Irgendwelche Tipps, was man gegen ein Beschlagen und Vereisen der Scheiben im Innenraum tun kann? Ich versuchte es durch eine Kontrolle der Atmung welche einem Apnoetaucher alle Ehre gemacht hätte. Schaffe ich vielleicht 325 Meter. Der Gewinn ist nicht immens, stelle ich da mein Fahrzeug in den Acker und warte auf erneuten Durchblick, kriege ich trotz allen elektronischen Fahrhelferchen das Gefährt gewiss nicht wieder auf die Fahrbahn.

Dies ist eigentlich das einzige Gejammer, betreffend der kühleren Tage. Meine Güte, es ist Winter und mal ehrlich, davon hatten wir diese Saison nicht wirklich viel.
Schon früher hielt sich mein Verständnis arg in Grenzen, mittlerweile ist es völlig verflogen; Was um Himmels Willen beschwert sich ein Büro oder Fabrikarbeiter über die tiefen Temperaturen, welcher neunzig Prozent des Tages in geheizten Räumen verbringt?

Fahre ich also zur Arbeit und hänge etwas den Gedanken nach.
Noch vor einem Jahr hätte ich es richtig grob erwischen können. Kunden und Disponenten scherten sich keinen Deut darum, dass man draussen wertvolle Gliedmassen abfrieren könnte. Es wäre durchaus möglich gewesen, dass ich an einem Dienstag Morgen bei minus 5 Grad in einer steifen Brise gestanden hätte. In der Hand ein tiefgefrorenes Kupferkabel, überzogen mit Eis und Reif wie ein Winnetou-Lutscher. Hundert Meter entfernt ein Mitarbeiter mit einer Maurerkelle voller Gleitfett. Ja, es fühlt sich so an wie es sich liest und es erfüllt den Zweck, wofür ihr es einsetzen würden. Man schmiert das Kabel ordentlich damit ein, dass es gleitig in ein kleines, enges Rohr flutscht und um dem Kopfkino noch einen Anstoss zu geben, vielleicht lagen in diesem Rohr bereits andere Kabel. Übereinander und durcheinander.
Irgendwann kam über ein Walkie-Talkie, im Aldi um 13 Franken fünfzig und so funktionierte es auch, der Befehl zu ziehen.
Knacks, knister „..ieh!
Was?
Chasch si….knister… krzrzszekzt
Hä?“ (Funkdisziplin war bei allem Teamgeist nie so richtig unser Ding)
Ja gopfriedstutz hörsch sie mich? Was machsch sie??
Ja, du musst den Knopf drücken vor dem Sprechen und halten bis zum Ende
Mac krzzututz„… knack… knack…“…ieh?
Können wir ziehen?
Ja, gopfriedstutz!!!
Man stemmte die Füsse auf die vereiste Fahrbahn und begann an dem Ding zu zerren. Hat diesen Donald-Duck-Touch, wenn er lossprintet. Erst läuft nichts durch das Rohr, weil das Kabel von einer Starre war, welche John Holmes in Entzücken versetzt hätte und wenn man es endlich bewegen konnte, war es nur eine Frage der Zeit, bis der glitschige Part diesseits der Strasse wieder aus dem Rohr kam. Dann versuchte man mit klammen Fingern ein eiskaltes Kabel zu packen, welches rutschig war wie eine Seife im Gemeinschaftsduschraum und weiter zu ziehen, während der Kollege mit der Mauererkelle weiterhin das Rohr mit Fett zuspachtelte.
Wenn ihn das Mitleid packte, offerierte er einem ein paar alter Handschuhe. Man hatte die Wahl zwischen steif gefroren und fett-triefend/steif gefroren. Auch ein Lappen war im Angebot. Einer der fünf, welche seit Sommer 07 in Gebrauch waren. Die sind noch gut, die kann man noch brauchen. Nur ein- zweimal über den Randstein schlagen, dann lassen die sich wunderbar um das Kabel wickeln.
War man damit durch, durfte man sich in den Schnee knien und das Kabel mit Steckern bestücken. Vielleicht noch ein kitzekleines Schräubchen in eine Verteilkabine zirkeln. Mit gefühllosen Fingern und der Kälte in den Knochen.

Oh, ich will es nicht missen, es war doch eine Form von Abenteuer. Irgendwie. Rückblickend.
Aber ich bin keine zwanzig mehr.

Eine Ehrenrunde mit dem Panzer musste sein, einfach weil das Fahren mit diesen unförmigen Kolossen so unvergleichlich toll ist. Auch wenn einem dabei das Gesicht wegfriert. Da ich jedoch keine freie, beheizte Garage fand, kam ich zu dem Entschluss, dass heute bei diesen Temperaturen wohl kein spontaner Krieg ausbrechen wird und diese komplett tiefgefrorene Richtstrahlstation auf dem Dach des Ungetüms auch morgen noch ersetzt werden kann.

Gesunder Menschenverstand, wo man ihn am wenigsten erwarten würde.
Wie gesagt, es war gewiss nicht die weiseste Entscheidung, man muss noch ordentlich die Kanten feilen, aber die Stossrichtung passt angesichts meines fortgeschrittenen Alters schon.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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