Über den Boulevard zurück in die Realität

Heute habe ich mir Bauklötze und ein Dreirad bestellt.
Ich fange noch einmal ganz von vorne an.

In erster Linie verabschiede ich mich von sozialen Netzwerken und ähnlichem Kram soweit, dass über ein ausgesprochen komplexes System nur noch meine Blogs gepostet werden, ich von dem ganzen herumschwirrenden Stumpfsinn jedoch nichts mehr mitkriege.
Ich bin einfach geil auf die Traffic, so schauts aus.

Meine Schreibblockade geht mir langsam aber sicher ordentlich auf den Sack, es wird höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Die Ursache zu finden. Ich trage mich mit der Befürchtung, dank Online-Zeitungen, sozialen Netzwerken und täglichem Gebrabel auf Blickniveau zusehends zu verblöden.
Mein Bruder, der Beste von allen, bezeichnet die televisionäre Unterhaltung als Gehirnfick und er hat beileibe recht. Ich möchte gar behaupten, mit einem Zehnerträger Bier kann man nicht annähernd soviel Hirnzellen vernichten, wie es eine Stunde deutsches Privatfernsehen schafft. Der Grund an sich, nach Schoppenhauer, oder das Henne-Ei-Problem, um sich etwas volksmundiger auszudrücken; Lässt uns das Fernsehen zu einer geistig verarmten Meute verkommen, oder bietet der Rundfunk das Futter, nach welchem wir verlangen.
Ich bin versucht, zu behaupten, das Fernsehen hat das Publikum geschaffen, selbiges und deren Brut es nun zu bedienen gilt. Spiegelt sich auch in den grossen Lichtspielhäusern wieder. Jagen nicht gerade Jungstars, Karriereschub durch Nacktselfies, durch postapokalyptische, von totalitärer Staatsform geprägte Welten, entrichtet man sein Scherflein für aufgewärmte und neuverfilmte Blockbuster der letzten Jahrzehnte oder solch seichte Unterhaltung, dass man nebenbei ein lustiges Taschenbuch lesen möchte um den neunzig Minuten Sitzen eine tiefere Bedeutung zu verleihen.

Lesen, eine feine Sache, da habe ich einen alten Freund wieder gefunden. Dank der neuen Technik.
Es spalten sich die Geister, E-Book Reader oder ein ordentliches Buch. Ein Buch bleibt ein Buch, Herzensentscheidung, aber 23 Kilogramm sind dreiundzwanzig, sagt die Dame auf dem Podest hinter der kleinen Theke mit dem Koffertransport zu ihrer Linken. Nicht dass ich Vielflieger wäre, aber auch im Rucksack, der Sporttasche oder in der Umhängetasche; Ein Buch wirkt furchtbar intellektuell aber ist dann eben doch eine sperrige Sache. Ausserdem, mit etwas Pech hat man sein Buch am zweiten Urlaubstag durchgelesen und steht dann etwas verloren den langweiligen, meinetwegen entspannenden, Stunden gegenüber.
Bei meinem letzten Auslandsaufenthalt habe ich sage und schreibe vier Bücher verschlungen, daher hat auch der E-Book Reader seine Berechtigung. Leider segelte dieser letzten Sonntag einem Stück Brot mit Konfitüre gleich dem Parkett entgegen und seit dieser unglücklichen Sekunde stecke ich unwiderruflich, oder bis zum letzten Aufbäumen der Akkuzelle, auf Seite 328 von Ken Follet’s Kinder der Freiheit fest.
Mein Hoflieferant Weltbild hat zwei Geräte im Angebot. Identisch im Preis, der aktuelle und sein Nachfolger, lieferbar irgendwann im November. Ganz untypisch entschied ich mich, auf die neue Version zu warten. Welcher noch deutlicher in der Darstellung sei, die Seiten sich einfacher blättern lassen und ich dieser Tätigkeit gar noch einen Meter unter Wasser fröhnen könnte.

Nun überbrücke ich die Wartezeit mit der weltdümmsten Zeitung. Der Tageszeitung für die Schweiz. Ein Boulevard-Blatt namens Blick.
Nicht, dass ich diesen abonniert hätte, Gott bewahre. Doch erhielt ich kürzlich ein Umfrageformular zugestellt, welches mich aufforderte durch Kreuze in kleinen Kästchen kundzutun, was ich von dieser Zeitung halte und erwarte. Als Obolus liegt nun dieses bunte Blättchen über vier Wochen in meinem Briefkasten. Etwas beschämt trage ich es, eingeschlagen in das Schaffhauser Intelligenzblatt – Irina Beller versteckt sich hinter Lena Gercke um es bildlich auszudrücken – vom Kasten an der Ecke zu meiner Haustüre.

Blickleser stelle ich auf dieselbe Stufe wie die Aldi-Kaffeekapselkäufer.
In einer lieblosen Kartonschachtel befinden sich zehn mühselig zu öffnende Beutelchen. Nur Gott und der Entwickler weiss warum die Kapsel zweifach verpackt sein muss, denn das Aroma vermag auch dieses Verfahren nicht zu konservieren, so es jemals Einzug in die Mischung gefunden hat.
Dieser armselige Haufen Kunststoff, mit individueller Gestaltung soweit von der Originalkapsel abweichend, dass einem die Gerichte keinen Strick drehen können, passt nur ansatzweise in die Maschine. Der Verschluss sollte daraufhin mit der flachen Hand leicht angepresst werden, damit das Wasser auch den ihm angedachten Weg durch das Pulverbehältnis findet. Es lässt sich jedoch nicht verhindern, dass diese braun gefärbte Brühe links und rechts aus der Maschine läuft und der Anteil im Becher eher zufälliger Natur, denn einer abgestimmten Füllmenge entspricht.
Eine dünnes, trübes Wässerchen, im Geschmack zwischen einem Kloduftstein und des Nachbarn Regentonne anzusiedeln, statt von einer Crema bedeckt durch drei oder vier Schaumflecken verunreinigt welche höchstens darauf hinweisen, dass die Maschine langsam ihre Kalkreste ausspuckt.Aber man hat zwanzig Rappen gespart.

Bei Blick kann ich nun anrufen und eines der Pseudonackedeis zum Star des Jahres wählen. Für einen Franken fünfzig pro abgegebene Stimme.
Dies kann wohl nur auf Kegelbrüder abzielen, welche mit der Nackedeisuche von Google nicht vertraut sind, oder deren Angetraute im letzten Computerkurs in Erfahrung brachte, wie der Verlauf des Internetbrowsers zu kontrollieren wäre.
CRTL-Shift-P, beim Firefox, und ihr seid im anonymen Porno-Modus. Für Blick-Leser, Shift ist diese Taste welche ihr drückt, wenn ihr einen Buchstaben gross schreiben wollt. Keine Ursache, helfe gerne.
Auf der nächsten Seite hat Blick den ersten Schweizer Ebola-Fall aufgedeckt!
Also eigentlich ist es ein Spanier, welcher bei einer Schweizer Firma beschäftigt ist. Und dies auch nur in Madrid. Bei genauerem Hinsehen ist lediglich seine Frau erkrankt. Vielleicht. Aber wir wollen es nun nicht herunter spielen.

Bei Michael Hasler sind Diebe eingebrocken. Ein tolles Wortspiel von Blick, der Michael betreibt ein Brockenhaus. So nebenbei scheint er nicht die hellste Leuchte in Kollbrunn zu sein. Oder die Versicherung zahlt kräftiger als die Schnäppchenjäger. Die bösen Buben stiegen schon zum vierten Mal durch dasselbe Fenster ein.
Mike hat jetzt eine Kamera installiert! Die sollen nur kommen, sagt das Häufchen Elend im Popeye-Shirt, er sei bereit. Ich hoffe, die Versicherung auch, von etwas muss er ja leben.

Manuela (35) bittet um Rat, weil ihr Freund (31) seit vier Monaten, solange sind sie zusammen, keinen mehr hoch kriegt. Er habe deswegen auch schon geweint. Und sie sprechen oft darüber.
Wollt ihr mich verarschen?
Wer, der seine fünf Sinne noch beisammen hat, fragt eine Tageszeitung um Hilfestellung bei Erektionsstörungen? Und erwähnt, dass der Partner des öfteren anstelle zu rammeln ins Kissen heult? Wenn dem noch so wäre; Mädchen, sei froh geschieht dies noch während der Probezeit, stell ihn vom Platz! Dafür ist die Probezeit da.

Man möchte entrüstet den Kopf schütteln und zornige Briefe schreiben, aber da sich Blick sowieso die Hälfte der Story aus dem Finger saugt, darf man auch einfach lachen.
Bisher hatte ich richtig Glück mit meinen Physiotherapeuten, obwohl sie, so ich Andreas G.’s Worten Glauben schenken soll „Laien sind, welche von Physiotherapie keine Ahnung haben“. Es sei nämlich durchaus normal, dass man dem Patienten bei einer Behandlung des Knie die Hand in den Schlüpfer schiebt und mit dem Mobiltelefon die entblösste Kehrseite ablichtet. Mit Zoom weiss Blick, was der Story den Hauch Seriösität verleiht, welchen wir bei einem Boulevardblatt erwarten.
Die Kinderpornos und Tiersexfilmchen hätte sein Computer selbstständig auf die Festplatte geladen. Das kommt vor, ist mir mit dem Adobe Creativ-Design-Paket auch einmal passiert. Dumme Sache. Hat sich sogar auf CD’s gebrannt.

Wieder kann ich einen Franken fünfzig löhnen, indem ich Blick verrate, was man im Dezember feiert. Weihnachten oder Ostern. Dafür kann ich ein Millionenlos gewinnen. Dieses Dezemberspiel, bei welchem man so über den Tisch gezogen wird, dass alleine die Reibungshitze dem Fest die nötige Wärme spendet. Ok, der war billig.
Nerven euch solche Gewinnspiele auch?
A) Ja
B) Kartoffel

Die Leserbriefe schenke ich euch. Vollidioten kommentieren sinnentleerte Berichte eines Bilderbuchs im Zeitungsformat für Menschen mit beschränkter Aufnahmefähigkeit.
Und Leserwitze. Wer sendet heute noch seinen Lieblingswitz einer Zeitung?
Bezahlt 50 Rappen um ihn per SMS zu senden und abermals zwei Franken fünfzig um ihn hernach zu lesen.
Gut, nicht dass es mich überraschen würde, wenn es solche Trottel gäbe.

Simon Ammann ist Vater!
Juhuu.
Ein Junge aus Gold sei es, weiss Blick. Da weder der Simon, noch sein Russland-Import oder die Eltern oder deren Eltern, oder die Nachbarn der Eltern oder die Cousine eines richtig guten Freundes aus dem Nähkästchen plaudern wollten, hat Blick mit Hans-Peter Hildbrand gesprochen.
Der hat den Simon Ammann im Dezember 97 einmal springen sehen.
Man muss nur richtig suchen, dann findet man schon einen engen Freund.

Sport überspringe ich und lande bei Blick People, der Klatsch und Tratsch über Promis.
Der neue Bachelor, Rafael Beutl, will sein wie Michael Knight, mag es wenn Frauen wie Christian Clive riechen und von Natur aus mit Fingernägel und Haaren ausgestattet sind.
Er wünscht sich einen prallen Arsch, den Apfelstrudel seiner toten Oma, war als verliebter Kindergärtner im Lokalblatt, bezeichnet es als plump mit einer Frau schnell in die Kiste zu springen, findet One-Night-Stands jedoch okay.
Sprachen, alle Sprachen, sind seine einzige Schwäche, wenn man davon absieht, dass er gerne weint. Einfach weil er es schön findet, wenn Männer weinen.
Vielleicht sollte er seine Rose (ich verzichte auf das allzu offensichtliche Wortspiel) einem Mann mit Erektionsstörungen schenken.

Charlene hat ihr erstes Interview gegeben!
Charlene ist die Fürstin von Monaco und das Wunder ihrer Schwangerschaft begründet in erster Linie darin, dass ein homosexueller Fürst auf natürliche Weise ein Kind zeugen kann. Doch darum geht es nicht, die Fürstin hat ihr Schweigen gebrochen um uns an unglaublichen Neuigkeiten teilhaben zu lassen!
So ist die Schwangerschaft „ein ganz eigenes Abenteuer“. Des weiteren beschreibt sie „starke Gefühle, intensive und unvorstellbare Emotionen“. Zu guter Letzt ist „die Perspektive einer Geburt so magisch, so stark“.
Wow! Wie leer war mein Leben bisher. Dies wollte ich schon immer wissen. Hätte so auch niemand anderes mitteilen können. Welch Glück, dass endlich eine Fürstin guter Hoffnung ist!

Unfassbar, dass ich diesen Stumpfsinn hier wiedergebe, aber wenigstens werden für meinen Blog keine Bäume gefällt.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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