Ein unbequeme Wahrheit

Obwohl ich Ende des Arbeitstages ziemlich geschlaucht war, raffte ich mich auf, noch etwas Fitness zu betreiben, nicht zuletzt, weil ich einem Nikolaus den Kopf abgebissen habe.

Da sitzt so ein junger Bursch auf der Schrägbank und warf ein, ich hätte gestern das Fitness besuchen sollen, der Damenanteil hätte überwogen.
Dazu muss man anmerken; Besagtes Fitnesscenter spricht weder die Schickeria noch die Top-Athleten an. Alles was dazwischen liegt, also ich, absolviert in der Qualitop-Zertifizierten Atmosphäre sein Concordio/Helsana-Pflichtprogramm. Wobei ich mich hier gleich wieder ausnehmen sollte, da meine Krankenkasse mir bis auf das korrekte Überziehen der Sportsocken vorschreiben wollte, wie ich zu trainieren hätte und stundenlanger Schreibkram für zweihundert Franken Vergütung war mir zu dämlich. Eins zu null für Concordia.
Zu meiner Trainingszeit, irgendwann zwischen Feierabend und Bettruhe, trifft man ausschliesslich eine männliche Klientel, es geht das Gerücht, dass Frauen das Center mieden und so ist die Anwesenheit einer solchen eine kleine Sensation.

Unser kurzes Gespräch zog sich weiter und so wurde die Bedienstete hinter der Theke thematisiert.
So genau habe ich sie noch nicht angesehen, da mich alleine ihre Präsenz nervte. Zehn Jahre im selben Center bringt ein gewisses Gewohnheitsrecht mit sich, wie die Selbstbedienung am Kühlschrank hinter der Theke, welchem ich abendlich ein überteuertes Mineralwasser zu entnehmen pflege.
Bis eben, als diese Dame ihren Auftritt hatte und für mein Wasser knapp zwei Franken einfordern wollten. Auf der Stelle. Nicht nur, dass die Anzweiflung meiner Kreditwürdigkeit beleidigend war, auch musste ich die Treppe hoch zu den Schränken laufen, um das Geld aufzutreiben.
Da verblasst jegliches Aussehen, ja, solch ein tiefgründer Mensch bin ich, man glaubt es kaum.

Der Junge auf der Schrägbank, führte ihre mangelnde Freude an der Arbeit ins Feld und überraschte mich damit etwas.
Er solle es geniessen, solange er noch eine Wahl treffen könne, irgendwann müsse er nehmen was er kriegen kann, oder erwische sich – schon die besten Jahre überschritten – dabei, stets dem Unerreichbaren nach zu eifern. Was hat zwei Daumen und ist Beweisstück A?
Ob dies dann altersmässig begrenzt sei, wollte er daraufhin wissen.
Und einmal mehr konnte ich meinen Vortrag halten.
Sein Six-Pack gereiche ihm genau noch zwei Jahre als Frauenmagnet, ab dreissig zähle nur noch seine Brieftasche.
Er könne sich weiter schinden, um mit optischen Reizen eine Frau in ein Gespräch zu verwickeln, doch was immer er hernach ins Felde führt, so es nicht auf ein fettes Bankkonto hinaus führe, wäre jeder bezahlte Drink einen Eimer Wasser in den Rhein gekippt.
Der arme Junge wurde zusehends desillusioniert, was mich nur noch mehr motivierte.
Gesetztere Frauen hätten ihren Reiz, führte er ins Feld.
Dies sei eine Ansichtssache, gewiss könne er sich jedoch sein, so sie die dreissig überschritten hat, hört sie nur die tickende Uhr und über kurz oder lang würde sein swingendes Junggesellenleben durch ernsthafte Gespräche über Zukunft und Familie einen empfindlichen Dämpfer erfahren und so er die Gespräche nicht mit der von ihr erwarteten Ernsthaftigkeit führe, oder gar einen Einwand gegen diese weitreichenden Pläne ins Feld führe, könne er nur noch hoffen, dass er nicht zusehr an ihr hänge, denn die rastlose Uhr triebe sie schneller von dannen, als er Tic-Tac sage.
Junge Frauen stehen auf ältere Männer, griff er nach dem letzten Strohhalm.
Nun, auch dies sei wieder eine Frage des Geldes. Junge Frauen stehen auf die lockere Brieftasche ohne sich weiter Gedanken zu machen, ältere Frauen auf Pensionskassen und gut bezahlte, gesicherte Jobs.
Wohl, im bleibe wohl nichts anderes übrig, als noch zwei Jahre zu geniessen, worauf ich ihm nur beipflichten konnte.

Bisweilen denke ich, einen Ring an den Finger zu stecken wäre eine gemütliche Sache; Himmel würde ich mich gehen lassen.
Stattdessen schindet man sich und legt mitten im Dezember, gar während der Samichlaus seine Tour macht, eine Gesundheitswoche ein. Da letzten Endes sowieso die Brieftasche zählt, ist es wirklich verlorene Zeit.
Aber etwas stolz bin ich schon auf mich. Das Tagesziel, dem Körper nicht mehr als 1300 kcal zu schenken, bei einem berechneten Verbrauch von  – ohne zusätzlichen Sport – 2700 kcal muss langfristig zum Erfolg führen. Gesundheitswochen sind nicht auf sieben Tage beschränkt; Vor zehn Jahre schaffte ich es, mich sechs Monate von vier Scheiben Brot und einem Eiweiss-Shake pro Tag zu ernähren. So diszipliniert, dass ich bisweilen gar bei gemeinsamen Abendessen in öffentlichen Lokalen, an einem Glas Mineral nuckelnd der begleitenden Dame beim Verspeisen ihrer Pasta zusah. Dass ich in dieser Zeit nicht nennenswert abmagerte, zeugt einmal mehr davon, dass mein Stoffwechsel der Wissenschaft nicht vorenthalten werden dürfte.
Diese Woche bin ich ordentlich auf Kurs, obwohl ich täglich eine grosse Schale voller Erdnüsse, Mandarinen, Lebkuchen und Schokolade mehrmals passieren muss. Und gar heute, als ich ich mit einem Schokoladenikolaus bedacht wurde, ass ich genau 46 Gramm davon und verzichtete auf das Abendessen. Nun, die 46 Gramm waren der erwähnte Kopf und das Abendessen hätte aus einer Büchse Thon und einem Löffel fettreduzierter Mayonnaise bestanden, kein tragender Verzicht, aber dennoch, ein Paradebeispiel an Disziplin.
Beinahe wurde ich ein Opfer des Osterhasen-Effektes.

Iss zwei Tafeln Schokolade. Jetzt gleich.
Macht kein normaler Mensch, welcher nicht gleich am verhungern ist. Etwas naschen, eine Reihe oder zwei, dann ist auch gut.


Nun, besagter abgeknabberter Kopf entspricht einer halben Tafel Schokolade. Ohne überlegen hätte ich den Rumpf auch vernascht, danach den Nikolaus beiseite gestellt, weil sich das Gewissen gemeldet hätte, und kurz darauf mich über den Rest her gemacht, ist ja schliesslich Samichlaus-Tag.
Und schwupps hat man zwei Tafeln Schokolade verputzt, ohne sich nennenswert vollgefressen zu haben.
It’s magic!

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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