Fat Sick and Nearly Dead, oder, 97 Minuten Shopping-TV

Soeben 97-Minuten Shopping TV geguckt.
Die vorgestellten Produkte beschränkten sich auf einen Entsafter. Mit selbigem im Kofferraum fuhr ein Australier durch die USA und umwarb die mehrheitlich etwas aus dem Leim gegangenen Amerikaner.

Fat Sick and Nearly Dead – dick, krank und kurz vorm abkratzen – ist die Dokumentation von und über Joe Cross, um die vierzig, welcher aufgrund einer Nesselsucht sein Leben umkrempeln will. Dies, weil er nach unzähligen Besuchen bei Doktoren, Spezialisten und Medizinmännern – wohl in Richtung Schamane – zu einer erleuchtenden Erkenntnis kam. Wann immer der kleine Joe auf die Knie fiel, verheilten die Schrammen von alleine. Eine wundersame Selbstheilung, welche unserem Körper so eigen ist. Was auf den äusseren Hautschichten so wunderprächtig funktioniere, müsse doch im Inneren ebenso klappen.
Nicht, dass ihr nun die Rettungssanitäter mit letzter Kraft aus der Sonne gehen heisst, während sich die Stiche vom Herz über die gesamte linke Körperhälfte ausbreiten, oder bei einer Blinddarmentzündung einfach mal kräftig stuhlen geht. Mich deucht die Theorie hinkt ein wenig, aber wenn der Mensch – und dies querbeet – etwas so richtig, richtig gut kann, ist es, sich in die eigene Tasche zu lügen. Und dies im Hinblick auf Diäten gleich mit intensivierter Hingabe. In beiden Lagern. Also jene, welche an sich Diät halten wollen, aber… und jene, welche Diät halten und keine Theorie zu abwegig finden, warum gerade dieses Würstchen im Teig nicht einfach nur kein Ausrutscher, sondern sogar ein strategisches, diätunterstützendes Produkt sei.

Joe Cross begann also Saft zu trinken. Was irgendwie bunt, mit Vorliebe grün war und in den Einfüllstutzen passte, ergoss sich in ein Trinkglas. Und Joe Cross fühlte sich einfach grossartig. Vom ersten Moment an. Er hatte keinen schlechten Atem, keinen ungewöhnlichen Stuhlgang, keine Stimmungsschwankungen und das ganze Leben war einfach toll.
Und in diesem Moment begann ich an der ganzen Geschichte zu zweifeln. Nicht an seinem Entsafter, doch an der Authentizität der Dokumentation.
Eine Diät ohne Hungergefühl ist so glaubwürdig, wie ein gelutschtes M&Ms gegen Kopfschmerzen oder Cola gegen ungewollte Schwangerschaft. Selbst der Godfather of Diet, der Doktor Dukan, warnt vor Grippesymptomen, Aufmerksamkeitsdefiziten und dem Verlust jeglichen Soziallebens, nicht zuletzt wegen ekligem Mundgeruch.
Joe Cross besuchte einen Pizzaladen und erklärte, dass er früher ohne Zögern zwei Pizzen ass, er sich ohne nun aber einfach grossartig fühle. Posiert neben einem Hamburger und präsentierte eine Theorie, dass er die Falafel von vor zwei Monaten immernoch in seinem Bauchfett stecken hätte, sich aber ganz grossartig fühle.
Anstelle von Hot-Dogs geniesst er nun eine kloakefarbene Brühe mit dem Hauptbestandteil Spinat – mit Stumpf und Stiel – und sie schmeckte einfach, richtig, grossartig.

Nach dreissig Tagen im Big Apple begab er sich auf einen Roadtrip durch die USA. Einen grossen Korb Gemüse und den Entsafter im Kofferraum. Menschen treffen. Dicke Menschen, natürlich. Und mit ihnen über das Essverhalten sprechen. Dies machte Cross wirklich gut. Nicht der Missionar.
Warum er einen dicken Burger mit Pommes esse, wollte er in einem Restaurant in Oklahoma von einem beleibten Herren wissen.
Weil es schmecke.
Ob er sich keine Sorgen mache, wegen der Gesundheit.
Dessen sei er sich schon bewusst, aber er wolle seine Zeit auch geniessen.
Und wenn er nun zehn Jahre länger leben könnte, so er seine Ernährung umstellen würde?
Und was soll er in den zehn Jahren mehr machen, wenn er das Leben doch jetzt einfach geniessen könne?

Kurze Stille und ich war beeindruckt.

Es ist Drehbuch. Das Gute muss gewinnen. Wo bliebe sonst die Moral?
Wegen der Kinder, so hätte er mehr von seinen Kindern.
Oh ja, das sähe er ein.
Eben.

So reist Cross weiter, spricht mit Menschen und das wirklich beeindruckende war, dass die vorgestellten Passanten sich durchaus ihres ungesunden Lebenswandels bewusst waren. Und ziemlich unberührt anmerkten, dass ihre Lebenserwartung zwischen 40 und 55 Jahren liege. Einfach als Fakt.
Irgendwann traf er den Trucker Phil. Und dieser Phil bewahrte dieses Werk vor dem totalen Absturz. Phil verwandelte die Verkaufsshow nicht in eine Dokumentation, aber er fügte die menschliche, berührende Note hinzu.
Der Zuschauer kann die Verwandlung vom einsamen, adipösen Trucker zum dynamischen, lebensfreudigen Saftverkäufer erleben. Elegant übersprang man den Teil, wovon der gute Phil lebte, während er seine Saftkur machte, denn das Truckfahren schmiss er hin. Dafür stand er plötzlich im regionalen Kohlladen und pries die Saftkur an.
Aber das ist ja auch nicht wichtig. Ein Hauch Hollywood.

Joe Cross ist gesund und schlank. Phil ist gesund, beinahe schlank und hatte Kontakt zu seinem Sohn. Alle sind glücklich und alles ist wunderbar. Im Abspann haut man dem Zuschauer Fakten aufs Auge und Jubelrufe aufs Ohr.
Und den Link zur Homepage, falls ich mein kümmerliches und ungesundes Leben auch umstellen wolle. Also nur wenn ich wolle. Meine Entscheidung. Ich muss nicht. Wenn ich lieber nächstes Jahr sterbe… Es wäre meine Entscheidung.

Bei IMDB eine 7.7
Super Size Me erhielt eine 7.5 und dies war ja wirklich eine gute Doku. Eine richtige Doku. Aber IMDB ist auch nicht alles.

Die Verkaufssendung war so gut, dass ich zwischenzeitlich auf pearl.ch schon beinahe einen Entsafter im Warenkorb hatte. Der würde sich in meiner Küche wunderbar machen. Gleich neben der Pasta-Maschine, dem Multi-Mixer, dem Sandwich-Toaster, dem Simmertopf, dem Gemüsegarer, der Fleischschneidemaschine und der Mikrowelle. Alles Dinge, ohne die ich mir ein künftiges Leben nicht mehr vorstellen konnte.
Ich glaube, mein Leben wäre schon weitergegangen. Einfach etwas weniger beengter. Der einmalige Gebrauch dieser tollen Helferlein hat mein Dasein nun nicht direkt auf eine neue Ebene gehievt.
Also verzichte ich so richtig erwachsen auf den Entsafter. Nicht zuletzt, weil ich mir die Reinigung desselbigen einfach horrend vorstelle. Wie alle Dinge von Pearl wäre er gewiss nicht maschinentauglich, auch nicht zerlegbar und sollte ganz grundsätzlich weder mit Wasser noch mit sonst einem bekannten, irdischen Element in Berührung kommen, da dies die absolute und unvermeidbare Selbstzerstörung mit sich ziehen würde.
Die Garantie verfällt mit dem Auslösen der Bestellung.

Zudem hat solches Grünzeugs keinen Platz in meinem Leben. Auch wenn die Mikrobiologische Komponente das wahre Lebenselixier sein sollen.
Trotzdem gedenke ich meine hart erarbeiteten Muskelpakete nicht infolge Proteinmangels an die Diät zu verfüttern. Die Idee, Bündnerfleisch als Saft zu trinken wirkt ein wenig abstossend.
Die Hänseleien im Betrieb mag ich mir gar nicht ausmalen, wenn ich nun noch beginne Jauche zu trinken.

Freitags hätte ich Fladen essen sollen. Oder Weihe. Bei uns Tünne. Käsefladen.
Ja warum ich denn keine nehmen würde?
Beim Blick auf den vor Fett triefenden, beinahe schon transparenten Kuchenkarton würde jedem normalen Menschen der Appetit vergehen und die Frage wäre müssig. Aber anscheinend machte dieser abschreckende Effekt den Käsefladen irgendwie erst so richtig lecker.
Ich würde ja gerne, aber da müsste ich abends drei Stunden laufen gehen.
Ja ja, ich sollte auch; mit einem Blick auf den Bauch, aber er hätte nunmal eben keine Zeit. Und steckt sich genüsslich die glänzenden Finger in den Mund.

Selbstverständlich erspare ich mir die Kommentare. In etwa wie sinnlos es sei, sich um neun Uhr einen fetttriefendes Stück Käsefladen in den Mund zu stecken. Zumal man im Restaurant noch ein Mittagessen reserviert hat.

Mandelgipfel, er hätte mir noch einen mitgebracht, sprach der Chef. Puderzucker sprühend, während er Krümel vom Bauch klaubte.
So sehr ich Mandelgipfel liebe, ich schaffe es tatsächlich, den Leuten beim Essen zu zuschauen. Selbst, wenn ich selbst welche mitbrachte. Eines der Dinge, auf die ich ein wenig stolz bin.
Danke, es sei nett, aber ich sollte nicht…
Ja er auch nicht, aber manchmal müsse man – er holte Luft, lange Sätze bringen ihn ausser Atem – sich auch was gönnen.

Die Unterstützung von meinem Diät-Buddy im alten Betrieb war unbezahlbar.
Heute habe ich diese nicht mehr ganz, dafür reicht ein Blick in die Runde, zu erkennen, wofür man sich quält. Vom Typen welcher seine Zähne kontinuierlich an die drei Liter Cola pro Tag verfüttert, dem ‚Ich-hab-Zucker‘-Mann, welcher regelmässig die Schokoladenkiste neben der Kaffee-Maschine plündert, oder einfach nur jenen kleinen Herren, welcher 14 Kilogramm schwerer ist als ich.
Aber jeden Freitag in den Turnverein geht!

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
Dieser Beitrag wurde unter Hossa, Pub, Vom Leben und gelebt werden veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.