Gspürsch mi?

Gueten Morgen.
Morgen.
Hallo.

Es war ein erklärtes Ziel, den Arbeitsalltag in einem Betrieb mit vielen Menschen zu vollbringen. Nicht, weil ich ein ausgeprägter Menschenfreund wäre, eher schwebte mir vor, als vollkommener Durschnittsmitarbeiter in der grossen Masse zu verschwinden. Dieser, welcher nur auf der Liste erscheint, wenn wieder Mitarbeiterbeurteilungen anstehen. Ach so, diesen haben wir ja auch noch. Dann saugt sich der Chef eine Beurteilung über diesen völlig unauffälligen und total durchschnittlichen Menschen aus seinen kleinen Fingern und man einigt sich auf eine perfektes „entspricht den Anforderungen“ weil nie etwas Gegenteiliges bekannt wurde. Und er stets auf das Blatt schielt, bevor er einem beim Namen nennt, weil ihm diese Person gegenüber total fremd ist.

So der grosse Plan.
Was ich nicht berücksichtigte, war das ausgeprägte Gspürsch-Mi-Gefühl.
Durch welche Tür in welcher Aussenstelle man sich auch immer in den Betrieb schleicht, man kommt keine fünf Meter ohne die besten Segenswünsche zum Tag zu erhalten. Vorgetragen in einer offenen Lebensfreude, welche so gar nicht zu meiner „ich hasse den Morgen, die Arbeit und das Leben im Allgemeinen“-Stimmung um sieben Uhr in der früh passt. Zur nachtschlafenen Zeit. Gerne würde ich behaupten; Keiner, welcher seine fünf Sinne beinander hat, beginnt seinen Arbeitstag bevor der Hahn kräht, aber gefühlte fünftausend Autofahrer auf der Einspurstrecke der Autobahn strafen mich lügen. Und irgendwie scheinen alle glücklich zu grinsen, weil sie zur Arbeit dürfen. Sie ärgern sich nicht, dass sie im Stau stehen, sie ärgern sich nur, weil sie nicht schon bei der Arbeit sind. Was für ein degeneriertes Volk, diese Schweizer Ameisen.

Auch in ‚meinem‘ Betrieb – ich benutze stets die 2. Person Plural, wenn ich gegenüber Mitarbeiter vom Betrieb spreche –  scheint zudem ein kleiner Wettkampf zu herrschen. Wer drückt als erster die Stempeluhr.
Während ich mit schlaftrunkenen Augen still in meinen „Kaffee“, Aldi-Kapsel in einen Plastikbecher gepresst, weine, berichtet mein Gegenüber voller Stolz durch eine Dunstwolke von geronnener Milch, er arbeite seit sechs Uhr. Dies mit der Arbeit ist etwas geschwindelt, aber dass er seit sechs Uhr Löcher in die Luft guckt, glaube ich ihm aufs Wort. Er hätte eben nur fünf Minuten Arbeitsweg. Wann ich abgefahren sei, will er weiter wissen. Nun, etwa fünf Minuten vor dir. Eben, siehst du, kommentiert er und strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Zufrieden mit sich, der Welt und dem Universum.
Es war mir nicht ganz klar, was ich sehen sollte und hakte nach.
Dass er eben nach mir losgefahren sei, aber vor mir angefangen hätte, fasste er wild nickend zusammen. Er wohne eben gleich um die Ecke.
Ob er da seine Zeit nicht lieber nutzen wolle, ein gemütliches Frühstück mit der Gattin zu genehmigen oder zumindest etwas länger im Bett zu liegen. Schliesslich sei er Abends ja auch ratzfatz zuhause.
Nein nein, leicht verdutzt über den abartigen Charakter dieser Idee, er mache dies schon dreiundvierzig Jahre so und lehnt sich mit entrücktem, träumerischen Blick zurück. Irgendwo im Geiste wird er wohl eine alte Fabriksirene hören.motivation-3

Momentan bin ich noch zu beschäftigt, everybody’s darling zu mimen, aber dem Herren die totale Sinnlosigkeit seiner letzten dreiundvierzig Jahre vor Augen zu führen steht weit oben auf meiner to-do-Liste. Einfach weil ich das kann, gut darin bin und er mich mit seinem ‚eben, siehst du‘ irgendwie persönlich angegriffen hat.
Als wäre es eine ausserordentliche Leistung, gleich neben dem Betrieb zu wohnen. Über vier Jahrzehnte nie sein Brot verdienen müssen und in vier Monaten die fette Pension und eine Urkunde für eine schaffensreiche Zeit einstreichen. Ohne den kleinsten Anflug von Scham. Ich wünsche ihm einen Herzinfarkt beim Schleppen des Früchtekorbs.

Natürlich, die Absicht als unsichtbarer Durchschnittsmitarbeiter mein Dasein zu fristen steht im Gegensatz zu ‚alle haben mich lieb‘, aber da an meiner Stellung noch einige Ecken und Kanten geschliffen werden müssen, flattere ich wie eine Fahne auf dem Bundeshaus und drehe mich flink wie ein Kreisel.motivation-1
Ich würde behaupten; Müssten sämtliche Arbeitskollegen den Neuen nur aufgrund der Charakterzüge und Einstellung beschreiben, sie kämen zum Schluss, dass mindestens drei neue Mitarbeiter unterwegs wären.

Natürlich nehme ich auch mein Mittagessen im Kollektiv ein. Nur nicht aus der Reihe tanzen.
Ich habe die Wahl zwischen der Beulenpest und Ebola, wenn man so will. Oder „in dem Sinn“ wie ein Arbeitskollege in jedem dritten Satz sagt. Keinem scheint es aufzufallen, ich zähle es bereits unbewusst.
Sandwich oder Restaurant. Überall kennen sie Lokale, welche unglaublich gut und günstig seien. Fürstlich entlöhnen lassen sich die Gastrobetriebe nicht, das stimmt. Dafür schwimmt das Essen in einer Brühe aus alter Bratensauce und besteht zu je fünzig Prozent aus gesättigten Fettsäuren und garstigen Kohlehydrate. Zudem kostet jeder Restaurantbesuch eine halbe Stunde zusätzliche Gleitzeit, welche ich mir mühsam zusammengespart habe. Da ich eben nicht täglich zehn Stunden Löcher in die Luft gucken, über eine Stunde Gleitzeit ergaunern und trotzdem um vier Uhr zuhause sein kann.motivation-2
Die Alternative ist der kollektive Sandwichgenuss. Also, was meine Wenigkeit betrifft. Was ich als Sandwich bezeichne. Hundert Gramm Bündnerfleisch zwischen zwei knochentrockenen Vollkornbrotscheiben. Selbst gebacken, versteht sich.
Die übrigen schleppen die Reste des Sonntagsbraten, die Lasagne vom Vorabend oder eine Mikrowellenpizza an. Stammtischphrasen und die Meinung zum Blickgirl fliegen über den Tisch. Daneben auch kleine Stücke vom Rind, Brotkrumen und spucknasse Käsestückchen.
Es fällt mir nicht schwer, nach zehn Minuten die Reste meines Brotes in den Eimer zu werfen und spazieren zu gehen. An sich müsste ich mittlerweile gertenschlank sein. Wäre da nicht der Selecta-Automat, welcher täglich mit frischen Appenzeller-Bibern bestückt wird.

Er müsse eben etwas abspecken, meint auch der rundliche Herr, als er zur Pausezeit Karotten knabbert. Zwei Stück. Danach einen Fenchel. Eine Salatgurke. Und nochmals etwas geschältes Weisses. Einer Gemüseraffel gleich verschwindet die gesunde Rohkost zwischen seinen häckselnden Zähnen.
Nicht schlecht, zollte ich höflich meinen Respekt an seine Disziplin. Gell, meinte er strahlend. Er wolle schon etwas achten, deswegen das Gemüse, erklärt er, während er einen Zopf aus dem Cellophan wickelt. Nicht eine Scheibe oder eines dieser Schulkind-konformen Mini-Zöpfchen. Gut ein Viertel dieser Familienzöpfe, welcher eine Entenfamilie durch den Winter bringen könnte. Der Länge nach aufgeschnitten. Belegt mit Gala-Käse. Eine Unzahl dieser dreieckigen Stücke. Auf Butter. Etwas Hunger hätte er eben trotzdem noch. Das liege auch durchaus drin nach soviel Gemüse, ich kenne mich da etwas aus, pflichtete everybody’s darling bei.
Auch Mittags gibt es nochmals eine Pause. Von einem seiner drei Olma-Besuche hat er eine Tüte Magenbrot mitgebracht. Kleine braune Krümel spuckend bietet er mir in einer generösen Geste, dennoch leicht zaghaft die Tüte an.
Er wirkt glücklich als ich dankend abwehre und blitzschnell hat er sich einem Eichhörnchen gleich wieder über den Knabbersack gebeugt. Argwöhnisch nach links und rechts schauend.

So, nun habe ich vergessen, worauf ich eigentlich hinaus wollte.
Eigentlich war mir nur daran gelegen, etwas zu tippen. Langsam wieder zurück zu finden. In diesem Sinne… Bon Appetit.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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