Herr, gib mir die Gelassenheit

Geistige Vergewaltigung möchte ich es nennen.
Ob diese Ausdrucksweise so existiert entzieht sich meiner Kenntnis, mein Bruder – der Beste von allen – hat ihn dereinst benutzt und er passt meines Erachtens auf so manche Situation des Lebens.
Sagt der, welcher auf seiner täglichen Pendlerfahrt SWR4-Schlagerradio hört. Wenn eine Helene Fischer, Protagonistin der schmutzigen Fantasien bis Fremdgehgelüste jedes dritten deutschen Mannes (Focus berichtete), mir singend weismachen will, dass sie den Mann ihrer Träume nicht kriegen kann. Das Radio kann ich ausschalten, so Semino Rossi zu oft den Himmel, Mond und Sterne besäuselt oder der peinliche Schweizer Schlagerexport mit dem Chronographen als Namensvetter einmal mehr den Fuss in die Apres-Ski Hütte zu setzen versucht.

Im Gegensatz zu so manchen Zeitgenossen. Welchen man hilflos ausgeliefert ist, was einer Vergewaltigung doch schon sehr nahe kommt.
Sich fremdschämen zeugt zu einem gewissen Mass von mangelndem Selbstwertgefühl. Man legt nicht das Selbstbewusstsein an den Tag, neben jemandem zu stehen, welcher nicht nur unfähig ist, seine Köperfunktionen zu kontrollieren, nein, beim entfliehen allfälliger Darmwinde gerne noch auf ein Podest stehen würde. Mit der Hose in der Kniekehle. In der Überzeugung, hier eine ganz grosse Leistung zu vollbringen. Nicht, dass er für die Grossartigkeit seines Tuns noch Beifall brauchen würde um sich der grandiosen Tat vollends bewusst zu werden, nimmt er das Gelächter doch sehr gerne an. Und wirklich vollbracht ist das Werk, wenn die Geruchsemissionen einem die Zehennägel rollen.

Für gewöhnlich stehe ich sinnbildlich für den Partycrasher, weil ich mir beim besten Willen keine Faszination für solcherlei Tun abgewinnen kann, auch wenn ein Aufstossen die Scheiben erzittern lässt. Es wird mir dann eine gewisse Verklemmtheit attestiert.
Allerdings habe ich damit auch eine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei Karte, wenn es um die Teilnahme an einer kollektiven, abendlichen Freizeitbeschäftigung in meiner Region geht. Mit der Aussage, dass wir Schaffhauser ganz entsetzlich langweilig sind, weil wir die Freude an natürlichen Körperfunktionen bereits in der Primarschule verlieren und dies auch nach übermässigem Alkoholgenuss nicht in diesem Masse zelebrieren, wie es ihnen vielleicht angemessen erscheinen würde, wären unsere Gefielde wohl kaum ein Tempel des Amüsements.
Müssig zu erklären, dass grosse Fragezeichen durch den Raum schweben. Meine heimliche Freude, ich bediene mich gerne Wörter, welche die mir aufgezwungen Mitmenschen nicht verstehen. Wie Türklingel und Computer. Oder formuliere Sätze, deren verbal gesetztes Komma die Aufnahmekapazität ihres Geistes übersteigen.

So stosse ich in das Gebiet der geistigen Vergewaltigung vor.
Ich stehe des öfteren an einem Punkt, welcher über Fremdschämen hinaus geht. Weil da einfach kein Fremder ist, vor welchem ich mich schämen müsste. Es ist mir in meinem Innersten unangenehm, einem Gespräch beiwohnen zu müssen, deren Überraschungseffekt nur darin begründet, dass hinsichtlich fallendem Niveau keine Grenze gesetzt werden kann.
Vielleicht bin ich auch einfach entsetzlich prüde. Also diesen Witz mit der Taubstummen-Hose, wer kennt ihn nicht. War noch nicht einmal in den 90-ern wirklich lustig. Doch es gibt erwachsene Menschen, welche diesen Spruch noch heute in den Raum schmeissen und rundherum kugeln sich Zuhörer vor lachen. Auf diesem Level kann es den ganzen Tag weitergehen. Welche Aussage auch immer auf eine verdorben sexuelle Weise interpretiert werden kann, wird so ausgeführt, mit peinlichem, nach Bestätigung heischenden Lachen. Bisweilen können im Rahmen einer Kaffeepause keine normalen drei Sätze am Stück abgehandelt werden. Zur grossen Erheiterung aller.
Als Erklärung für mein entnervtes Augenrollen bleibt mir jeweils nur die Erklärung, dass ich wohl zu schüchtern wäre, an ihren potenten Gesprächen teilnehmen zu können.Freud hätte wohl seine helle… ähm Freude an diesen Zeitgenossen.

Mein „Schaffhauser Intelligenzblatt“ wirkt wie die Times. Oder NZZ.
Die Zeitgenossen informieren sich ausschliesslich über die Gratis-App 20min. Wenn sie sich der Informationen ganz sicher sein wollen, ziehen sie als Zweitmeinung den Blick hinzu.
Und dann wird politisiert. Begonnen bei der Aussage, welchen Bundesrat sie das nächste Mal bestimmt nicht mehr wählen, dass wir uns doch von der EU in Berlin nicht sagen lassen, was wir zu tun hätten, oder dass Grossbritannien einen grossen Fehler machen würden, wenn sie besagter EU beitreten würden.
Absolut keine Option ist das Eingeständnis, von einer Thematik keine Ahnung zu haben. Geschweige denn einer Diskussion still beizuwohnen. Statt lauschend den eigenen Horizont zu erweitern, bringt man bei erstbester Gelegenheit seine Argumente lautstark ein, welche mit der Thematik soviel gemein haben wir Kirschkerne mit Apfelmus.
Ein betretenes „Ähm… Ja….“ der übrigen Diskussionsteilnehmer lässt einem nicht innehalten und die eigenen Aussage nochmals überdenken, vielmehr doppelt man nach, um auch jeden Zweifel daran auszuräumen, ob sich hier wirklich ein offensichtlich geistig etwas beeinträchtigter Mensch an einem erwachsenen Gespräch beteiligen will.

Natürlich besteht nicht das komplette tägliche Umfeld aus solch einfachen Geschöpfen. Aber würde nur jeder dritte Satz im Raum den Umweg über ein Gehirn nehmen, wäre es schon ordentlich still. Vermute ich; Natürlich setzt dies voraus, dass die Begebenheiten für beschriebenen Umweg vorhanden sind.
Es ist unglaublich, wie viele Menschen ihr Mundwerk einfach benützen um die Stille zu vertreiben. Völlig unsinnige Sätze werden von total belanglosen Aussagen unterbrochen und selbst wenn der Mund keine vollständigen Laute artikuliert, gibt er einfach irgendwelche Brumm-, Zisch-, Schnalz- oder Grunzlaute von sich. Bisweilen eine Kombination von allem.
Und der Höflichkeit halber ringe ich mir dann und wann eine Reaktion ab, weil man sie ja nicht permanent ignorieren kann. Ganz schön anstrengend. Ich bin nur bis zu einem gewissen Mass fähig an sinnlosen Konversationen teilnehmen zu können. Danach grenzt es an Nötigung.
Ob ich damit bei der HR vorstellig werden könnte?

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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