Jestetten treibt die Entschleunigsspur für Schaffhauser voran

(nldpa) Pendler kennen die alltägliche Situation. Kaum den Grenzübergang Neuhausen in Richtung Jestetten überquert, beschleunigt der LKW hinter einem und klebt in Sekundenschnelle am Heck des Fahrzeugs. Sind es nicht grosse Lastkraftwagen, wird man durchaus auch einmal vom Radverein Silberfüchse bedrängt und zur halsbrecherischen Überlandfahrt genötigt.

Der Jestetter Bürgermeister Müller-Klöbner machte sich selbst ein Bild von der Situation und hat sich mit dem Landrat Lüdenscheidt des Landkreises Waldshut sowie der Gemeindepräsident Mielke von Neuhausen am Rheinfall an den eckigen Tisch gesetzt.


Was viele nicht wissen, ausserhalb geschlossener Ortschaften darf in der Bundesrepublik Deutschland, so nichts anderes signalisiert ist, mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 km/h gefahren werden. „Zudem“, fügt Müller-Klöbner mit einem verschmitzten Lächeln hinzu, „bei 120 km/h winkt ein Knöllchen von 30 Euro, da ist jede Schweizer Parkbusse höher“.
Gemeindepräsident Mielke fügt an; „In der Schweiz sind wir uns solche Geschwindigkeiten einfach nicht gewohnt.“
Unsere Recherche beim Bundesamt Astra ergab tatsächlich, dass die Schweizer dank Regulierungen und reger Bautätigkeit auf dem gesamten Autobahnnetz mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 93,2 km/h unterwegs sind. Nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme ergänzt Mielke, dass dank einer geschickten Programmierung der Lichtsignalanlagen rund um den Knotenpunkt Kreuzstrasse in Neuhausen am Rheinfall der Verkehrsfluss soweit gedrosselt wurde, dass ein Fahrzeug mit einer leidlich einwandfreien Kupplung sich gerade noch so schnell bewegt, dass der Motor nicht abstirbt.
Es wird keinesfalls verleugnet, dass eine Absicht dahinter steckt. Die Klettgauer Bahnstrecke leidet immernoch unter Fahrgastmangel, nebst der kantonalen Streichung der Buslinie arbeiten nun auch die Gemeinden aktiv an der Amortisation der Elektrifizierung.

Nicht vom Tisch ist damit die Problematik nach dem Zollamt Neuhausen am Rheinfall – Jestetten, wo der Schweizer Arm des Gesetzes keinen Einfluss mehr geltend machen kann.
Noch mit flotten 34 Stundenkilometern das Zollamt angefahren, muss der schweizerische Verkehrsteilnehmer nach dem Schlagbaum nun um das Dreifache beschleunigen.
Getrud H., treue Edeka-Kundin, weiss zu berichten „Zu Beginn geht es noch ganz gut, doch bei 50 km/h zieht sich das Gesichtsfeld zusammen. Als würde ich den Cholfirst befahren.“.
(Tunnel bei Schaffhausen, die Geschwindigkeit wurde erst kürzlich auf 60 km/h heruntergestuft, damit die Automobilisten genügend Zeit haben, den Scheibenwischer zu betätigen. Anm.d.Red.)
„Bei 60 km/h ist bei mir einfach Schluss,“ so Getrud H. weiter, „Sicherheit geht vor“.
„Wir fahren unseren Mercedes auch nur bis zum dritten Gang“, fügt der  technikaffine Gatte hinzu. „In der Schweiz hatten wir kaum Gelegenheit, den vierten oder gar fünften Gang zu nutzen, wir wollen den Wagen nun nicht beschädigen.“

Nicht wenige Automobilisten mit Schweizer Kennzeichen sind spätestens auf der Höhe Parkplatzeinfahrt Aldi Süd nudelfertig.
„Das Problem ist,“ so Müller-Klöbner, „die Schweizer stranden in unserer netten Gemeinde. Viele wollten bis nach Eglisau oder gar Zürich durchfahren, werden jedoch mit der Herausforderung, welche ein Tempo von 100 km/h mit sich bringt nicht fertig. Getrauen sich noch nicht einmal mehr, wieder in die Schweiz zurück zu fahren.“
Hier schlägt nun der Landrat vor, die Langrietstrasse auszubauen und via Augasse auf den Parkplatz von Aldi Süd zu leiten.

Der Neuhauser Gemeinderat steht diesem Ansinnen durchaus wohlwollend gegenüber, besteht aber auf entschleunigende Massnahmen.
„Mit Blumentöpfen auf den Strassen haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.“
Die Idee aufgreifend, anerbietet sich Die Bahn, eine Schranke zu errichten. Das Kernelement stelle die Schranke an sich dar, es müsse nicht zwingend ein Bahntrasse über die Strasse führen. Die Landgemeinden des Schaffhauser Klettgaus bestätigen, dass der Schaffhauser ganz gerne 13 Minuten vor einer geschlossenen Bahnschranke steht.

Alle Beteiligten zeigen sich sehr erfreut, dass dieses Problem so schnell angegangen wird. Auf Schweizer Seite dürften sich die Kosten für die um hundert Meter verlängerte Langrietstrasse im tiefen zweistelligen Millionenbetrag belaufen. Der Bund übernimmt vierzig Prozent, dreissig Prozent entfallen auf die Gemeinde und Aldi Süd erklärt sich bereit, die übrigen zwanzig Prozent zu tragen.
Der Sprecher des Bundesamtes Astra stellt in Aussicht, dass bereits 2025 mit dem Bau begonnen werden kann und schon Ende 2031 ein einspuriges Teilstück dem Verkehr zugänglich gemacht werden könnte.

Derweil fahren Getrud H. und ihr Gatte wieder via A4 und A1 um Verwandte auf dem Flughafen Kloten in Empfang zu nehmen.
„Sehen sie,“ so die strahlende Gattin, „Bei normalen Verkehrsbedingungen ist dies ein hübscher Zweitagesausflug mit einer Übernachtung in Effretikon.“
Gesagt, getan und so fädeln sie sich fröhlich winkend im Schritttempo in den Neuhauser Durchgangsverkehr ein.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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