Karl May – Jugenderinnerungen

Eine Hommage möchte ich es nicht nennen, ich fühle mich nicht verpflichtet.

Auch wohnt eine gewisse Abartigkeit inne, den Todestag einer Person zu ehren, gar feierlich zu Begehen, aber so ist das nunmal, wenn ich mich nicht irre.
Karl May verstarb heute Freitag vor 100 Jahren.

Ich vermag mich, offen gesagt, nicht zu entsinnen, ob ich Cooper’s Lederstrumpf oder May’s Winnetou zuerst verschlang. Bildlich gesprochen, natürlich.
Auch vermag ich nicht zu sagen, welche Bücher mich mehr faszinierten; Chingachgook verkörperte den ‘Wilden’ mit allem, in den Augen eines kleinen Jungen,  notwendigem Zugehörigen; Sprich, mit Köpfe spaltenden Tomahawks und Skalp am Gurt, während Winnetou eher das Zeug zum Helden und loyalen besten Freund hatte.

Old Surehand war das erste gelesene Buch. Nicht der klassische Einsteiger. Liest man doch ‘Winnetou’ oder ‘Der Schatz im Silbersee’, ganz nach Vorgabe der TV-Programmzeitschrift.
Die Ähnlichkeit des Namens zu Old Shatterhand leitete meine Hand, als ich dieses Buch aus dem Regal zog. Ja, nahezu klischeehaft, doch es war so; Ich las die Bücher anstelle der Hausaufgaben, ich las die Bücher im Dunkel mit der Taschenlampe und ich stellte morgens den Wecker um vor der Schule weiter zu lesen.
Die Figuren bekamen ein Gesicht. Der hühnenhafte Old Surehand, der dürre Old Wabble, die dicke Tante Droll, Old Firehand gross und breit wie ein Kleiderschrank, der knurrige Büchsenmacher Henry, der tollpatschige Sam Hawkins, der kleine Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah (aus dem Gedächtnis geschrieben,wohlgemerkt) welcher sich den Hadschi-Titel in ‘Durch die Wüste’ erst verdienen musste und wie die Helden alle hiessen.
Und natürlich die Titelhelden, der Apache Winnetou und sein weisser Bruder Old Shatterhand.

Karl May’s alter Ego Old Shatterhand, oder Kara Ben Nemsi, war gewissermassen Opfer der gar infantilen Züge seines Schöpfers; So verkörperte der Westmann eine Art frühzeitige Comicfigur; Zeichnete sich aus durch nahezu übermenschliche Kräfte, wandelte bis an die Zähne bewaffnet, ein Naturtalent in allem was er anpackte und war die personifizierte Gerechtigkeit ohne Fehl und Tadel.
Und darin sehe ich kein Falsch.
Karl May schrieb Jugendbücher und wie der Junge heute sich gerne mit einem Superhelden des Marvel oder DC-Universums identifiziert, fand er in Old Shatterhand eine heldenhafte Gestalt welche dafür Einstand was gut und richtig war. Durch das Verfassen der Bücher in der Ich-Form, Karl May bezeichnete seine Romane stets als Reiseerzählungen, zog er den jugendlichen Leser noch mehr in seinen Bann und zeichnete ein erstrebenswertes Idealbild vom Umgang der Menschen mit den Menschen.
Wenn auch stets etwas gönnerhaft, hob der Held der Geschichte alle auf eine Stufe.  Indianer wie Schwarze, Araber wie Türken, Muslime wie Heiden.
Ankreiden könnte, muss man aber nicht, lediglich die Glorifizierung des Christentums als einzig richtige Glaubensform sowie die westliche, sprich deutsche, Art zu leben als das alleinig Selig machende.
Doch wie hätte der Leser sich identifizieren können, wenn nicht er das Zentrum des Universums manifestierte.
Karl May vermittelte gewiss eine übertrieben romantisch gezeichnete Seite des Wilden Westens, doch rückte er vom Indianer als kriegerische Rothaut ab und beschrieb statt dessen eine vom Aussterben bedrohte Kultur.
Nicht zuletzt zeigte er auch eine Seite des Orient und Islams, welche so einfach und leicht verständlich kaum anderweitig Einzug die Kinderzimmer gehalten hätten. Er umschrieb die Muslime als stolzes Volk mit unbedingter Loyalität zu Allah und dem Propheten Mohammed, geleitet durch eine Korantreue, welche nichts mit den Terroristen von heute gemein hat, obwohl die Motivation dieselbe zu sein scheint.

Es ist mir bewusst, dass die Reiseerzählung lediglich der Fantasie des Autors entsprungen sind. Doch warum sollte sich dies ein jugendlicher Leser stets vor Augen führen und warum sollte man als Elternteil dieses Bild zerstören.
Vielleicht aus diesem Grund habe ich das Buch ‘Ich’ nie gelesen; Ich wollte nicht wissen wer der Karl May war, sondern genoss es Teil dieser Welt zu sein, welche seinen Träumen gerechter wurde, als die Realität.

Auf Old Surehand folgte natürlich der zweite Teil, Durch das wilde Kurdistan, Winnetou I, II und III, Der Schut, der Ölprinz… Ich verzichte auf eine Auflistung aller Bücher.
Es gab keines welches mich nicht in den Bann zog und mein Lesefluss wurde lediglich durch die begrenzte Anzahl der Romane in der Schulbibliothek gebremst.

In Erinnerung geblieben sind alle und bereits als Kind wurde ich der Illusion beraubt, dass ein Film je einem Buch gerecht werden könnte.
‘Im Tal des Todes’ hat mit dem Buch absolut nichts gemein, ‘Old Surehand’ ist unfreiwillig komisch und die Verfilmung ‘Old Shatterhand’ basiert auf irgendwas, ein Buch dieses Namens wurde von Karl May niemals geschrieben.

Wie soll man nun Karl May ehren.
Er zählt kaum zu den herausragenden Autoren.
Er schuf eine Welt, ein Gegensatz zu einer Realität in welcher er sich unverstanden und ungerecht behandelt fühlt. Eine Scheinwelt, in welche er stets tiefer eintauchte und die Grenzen zum eigenen Leidwesen stets mehr verwischte.

Beherbergt eine gewisse Tragik, dass seine Flucht in ein anderes Leben uns Leser einen Abenteuerroman bescherte.
Seine Bücher werden keinen Reich-Ranicki zu Lobgesängen animieren, sie werden keine französisch-untertitelten schwarz-weiss-35mm-Stummfilm-Gucker zum Gauloises rauchenden Philosophieren anregen und gewiss nicht neben einem Bichsel an den Literaturtagen gelesen.

Aber sie führten viele Jugendliche in die Welt des geschriebenen Wortes und entführen in eine Welt der Gerechtigkeit und des Mutes, umschreiben Abenteuer, Freiheit und Freundschaft in packender Form, vermitteln Werte ohne moralischen Fingerzeig.

Karl May’s Reiseerzählungen übertreffen schlichtweg jegliche Anforderungen, welche man an einen Jugendroman stellen kann.
Wer mehr darin sucht ist ein verzweifelter Nörgler, einer dieser unverbesserlichen Wichtigtuer welcher ein Buch erst als lesenswert erachtet wenn es neun von zehn Lesern gelangweilt zur Seite legen.
Wer sich jedoch der leichten und spannenden Unterhaltung hingeben kann, verlebt mit Winnetou und Old Shatterhand viele unterhaltsame Stunden.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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