Krankheiten die das Leben schreibt

Möglicherweise wäre die Welt einen Tick einfacher, müssten die Menschen erst eine Ziege schlachten, deren Haut gerben, die Gans einer Feder berauben und auf dem Markt drei Zentner Korn gegen einen Fingerhut Tinte tauschen, bevor sie ihre Ergüsse für die Nachwelt festhalten könnten.
Gewiss würde man sich manches Wort zweimal überlegen, Sinn und Nutzen des Gedanken abwägen und die Konsequenzen bedenken.

Papier ist geduldig hat sich durchgesetzt, was besagen will; Papier richtet nicht und hält sich auch nicht mit Widerspruch auf. Man kann ihm so ziemlich jeden Unsinn anvertrauen, man muss es noch nicht einmal selber glauben. Von digitalen Plattformen, meine durchaus eingeschlossen, wollen wir gar nicht erst beginnen.

Früher oder später widerspricht sich jeder Mensch und da Zeitungen Tagesgeschehen aufgreifen, bleibt ihnen auch nichts über, als sich selbst zu widersprechen.

Ihr entsinnt, man soll sich regen und bewegen, weil dies gesund für Geist und Körper ist. Hat bei Fit mit Jack begonnen und steht momentan bei wöchentlichen Mails von M-Fit, welche mich – mit Verlaub – einen faulen Hund nennen und meinem inneren Schweinehund den wohldosierten Tritt in den Hintern geben wollen. Wie auch runtastic, die App, welche erst Ruhe gibt, wenn man wöchentlich 15% mehr Kilometer abgespuhlt hat.
Da ist die Dukan-App direkt gnädig. Sie begrüsst Dich täglich mit einem „Das machst Du grossartig“, selbst wenn man das Startgewicht bereits um drei Kilogramm überschritten hat, obwohl der Wiegezeiger um vierzehn Pfund in die Gegenrichtung marschieren sollte.

Nun leide ich also unter Bigorexie, Muskeldismorphie oder einem Adonis-Komplex. Viele Leute suchen zeitlebens nach einem Namen für eine Krankheit, ich erhalte gleich drei, bis eben noch unwissend, dass ich überhaupt krank bin.
Vom Arztbesuch kennt man dies ja. Man geht mit einem Schnupfen hin und kehrt mit einer Empfehlung die Zunge, den Punkt an der Ferse und den linken Brustnippel ganz genau im Auge zu behalten zurück. Nur um sicher zu gehen, dass man keinen Aussatz hat.

Schuld ist He-Man.
Wer?
He-Man. Mit diesem spielt fast jeder kleine Junge. Schreibt die Migros-Zeitung. Spricht für die Figur. Denn seit den achtziger Jahren sind He-Man Actionfiguren nur noch an Sammlerbörsen erhältlich und wer Jahrgang 80 und jünger in seinem Pass stehen hat, hörte den Namen gewiss noch nie.
Die Macht von Greyskull muss wirklich unglaublich sein, wenn sie heute noch kleine Kinder beeinflusst.

Vielleicht meinte das Migrosmagazin auch Helden wie Captain America und Co. Oder einfach jeden Schauspieler der Hemisphäre, welcher nicht durch stupide Dümmlichkeit die Massen unterhält und sich daher einen BMI von 38 leisten kann. Wer ansonsten auf die Leinwand kommt muss mit eisernen Muskeln und heraustretenden, stählernen Sehnen aufwarten. Knapp bedeckt mit dem figurformenden Shirt. Under Armour. Der Sportartikelhersteller, welcher die Waffenlobby finanziert oder so.

Im Gegensatz zum schwachen Geschlecht macht niemand einen Aufstand, wenn der Nivea-Werbe-Mann sein Six-Pack einseift. Da muss Mann eben durch, geht ins Fitnessstudio und versucht, dem Idealbild zu entsprechen. Dadbod hin oder her, Männer wissen was Frauen wirklich sehen wollen und sind wir ehrlich; Frauen lügen sich auch nur selbst in die Tasche, wenn sie ein Bikini in 48 tragen und sich einfach nur unglaublich sexy finden, weil es voll ok ist, eine runde Frau zu sein. Aber wenn sich genug zusammentun, fest daran glauben, schafft man irgendwie ja auch eine Norm.

Nun denn, weniger ist mehr – ebenfalls ein Widerspruch – daher sollte man den Alltag nicht dem Training unterordnen. Sagt Roland Müller, Psychotherapeut des Vertrauens im Migros Magazin.
Da frage ich mich; Wann trainiere ich sonst, wenn nicht in einem definierten Zeitfenster im Alltag, welches andere Tätigkeit zwangsläufig unterordnet?

Da die Krankheit bei uns noch neu ist, sind keine Zahlen erhoben worden. In Amerika haben jedoch 30 Prozent der jungen Männer eine ausgebildete Körperstörung. Und 75 Prozent sind krankhaft übergewichtig.
Zumindest hat jeder seinen Platz. Die Wissenschaftler können sich nun streiten, was besser ist. Oder einfach einen Zeitplan festlegen, an wievielen Wochen im Jahr dieses und wann jenes das ultimative Ziel ist.

essstörungHabe ich heute im Wartezimmer meines Zahnarztes gelesen.
Übrigens; Viele Menschen wären froh, sie hätten Zähne wie ich. Sagt mein Zahnarzt, obwohl er mit diesem Satz auf eine Woche Ferien verzichtet. Und ich bin ein wenig stolz darauf.

Also, eine Essstörung habe ich auch noch. Abgesehen von meinen Zähnen bin ich ein krankes Wrack.

Hat die Lebensqualität und das Wohlbefinden in letzter Zeit in manchen Bereichen wegen des Essensthemas erheblich abgenommen?
Ich bin süchtig nach Erdnüssen und verkneife sie mir seit zwei Monaten. Wie auch Whopper, eine vernünftige Menge Bier, M&Ms, Honig, Zopf, Ben & Jerry und überhaupt alles was lecker ist. Ich bin fit wie ein Turnschuh, aber die Lebensqualität definiert sich doch eher durch eine ordentliche Handvoll gesalzener Erdnüsse. Zudem stuhlt es sich ohne Ballaststoffe nicht so häufig. Ja doch, möchte ich bejahen.

Wird mehr als drei Stunden am Tag über die eigene Ernährung nachgedacht?
Ja. Wie bei jedem Menschen, denke ich.
Beginnend mit, reicht es für ein Frühstück oder nicht. Weiter mit dem Online-Artikel, sind Avocados die Superhelden der Früchte über ‚Wie ungesund ist Flammkuchen‘. Danach lauscht man im Radio der Diskussion über Warnschilder an zuckerhaltigen Speisen, während im Mens Health die Überschrift ‚Proteine aus Cashew-angereicherten Rindern‘ zu einem Überdenken des Essverhaltens anregen soll.
Wie ungesund ist light und ’so kommen sie über die Weihnachtszeit und behalten ihr Sixpack‘ rundet den Morgen ab.
Die Medien zwingen einem, nur noch über die Ernährung nachzudenken. Und syrische Flüchtlinge. Respektive, was diese Essen. Eigentlich dreht sich alles nur noch ums Essen. Weil der Mensch zur Adipositas neigt. Wenn er nicht gerade unter Bigorexie leidet.

Ist die Wirkung der Speisen und Getränke stets wichtiger als die Lust und der Genuss am Essen?
Nein, ich trinke Cola Zero weil es so unglaublich lecker ist. Und damit mein Zahnarzt mir ein Vortrag über zahnfressende Getränke halten kann. Allgemein möchte ich den pelzigen Geschmack im Mund, die durchdrehenden Bauchspeicheldrüsen – muss ich jetzt Insulin ausschütten oder verarscht mich wieder eine Handvoll Aspartam? – und den folgenden Hungerast nicht missen.
Natürlich ist die Wirkung wichtiger; In einer halben Stunde Pause bleibt nicht viel Zeit für Lust und Genuss. Zudem, zehn Sekunden im Mund, drei Monate auf den Hüften; Heute muss man mit etwas gesundem Menschenverstand dahinter. Macht eigentlich jeder. Und wer nicht, der ist einer dieser von der Natur begünstigten – in der Hölle sollen sie schmoren – oder man sieht es der Wampe an.

Unterliegt die Wahl der Speisen und Getränke nicht mehr einer freien Entscheidung, sondern einem inneren Zwang?
Können wir wirklich wollen, was wir wollen? Die freie Entscheidung ist eine Illusion, frag Schoppenhauer. Oder für Nicht-Philosophen; Die Entscheidung nehmen uns die Medien ab, siehe zwei Fragen vorher. Man wird gemahnt, Nährwert zu beachten. Bei jedem Stück Kuchen hört man hüben, man habe die Weight-Watchers-Punkte schon, drüben hat man Blutzucker und soll nicht, während dieser ausrechnet, wie lange er sprinten muss, um das Stück Schwarzwälder Kirsch zu verbrennen.
Ich esse, was ich verantworten und vor allem innert nützlicher Frist verbrennen kann. Schränkt das Angebot ein, aber ich habe frei entschieden, mich diesem inneren Zwang zu unterwerfen.

Treten im Zusammenhang mit der Ernährung immer wieder Scham- oder Schuldgefühle und Aggressionen gegen sich selber auf?
Wer Fast Food isst, schämt sich für seinen schwachen Willen, fühlt sich schuldig und muss diesen Faux-pas wieder abtrainieren. Vielleicht widerwillig, mit etwas Aggression, weil man lieber auf die Couch liegen würde. Ist man nun deswegen krank, oder einfach diszipliniert? Wie auch immer, ja.

Kommt es immer wieder zu Spannungen mit Angehörigen und Freunden, wenn es um das Thema Essen geht?
Schwierig. Mutti versteht nicht, wenn ich nicht essen kommen will und wenn ich komme, gibt es zu wenig Kroketten und viel zu wenig Fleisch. Ja doch, ich möchte von etwas Spannung sprechen. Und wenn Frauen predigen ‚Bleib so wie du bist, iss den Kebab‘ und dann doch jenen wählen, dessen Hemd ein wenig straffer über dem Bizeps liegt, wird wohl eine latente Bigorexie geweckt. Und Spannung.

Wieviel mal ‚Ja‘ ist jetzt die Bejahung von mehreren dieser Punkte?
Nun lesen wir also intensiv die Empfehlungen von Ernährungsberatern in der Tagespresse, leben danach und stellen fest, dass wir nun einen Essstörung haben.

Nach der Migros-Zeitung erscheint die Coop-Zeitung.
Da habe ich gelernt, dass Eltern nur noch und ausschliesslich über Babythemen sprechen, sich Männer zurückgestellt fühlen und bevor sie nach Hause kommen, ein Bier trinken sollen. Weil sie dann besonders entspannt heimkommen. Sagt die Sozialarbeiterin.eltern
Ich weiss nicht; Braucht man eine Familie, wenn man sich diese nach Feierabend zurechtsaufen muss? Da lasse ich das mit der Familie doch lieber, saufe etwas weniger und muss mein Gehalt nicht durch drei oder vier Teilen.
Gerade weil, so die Sozialarbeiterin weiter, im Sex ein halbes Jahr Flaute ist und der Mann sich selbst befriedigen soll.
Bis er sich beim Porno gucken erwischen lässt, sein Lohn plötzlich nur noch einen Zehntel wert ist und er mit diesem eine schäbige Wohnung im Ghetto bezahlt.

Aber man könne Zweisamkeit schaffen, wenn man gemeinsam dem Baby beim Schlafen zuschaut. Für alle Männer, welche nicht so auf Handarbeit stehen.

Man soll sich absprechen, wer in der Nacht aufsteht. Aber vorsicht; Männer können nicht stillen!

Danke, liebe Sylvia Sturzenegger, Sozialarbeiteren HFS. Danke Coop-Zeitung.
Hättet ihr das Papier doch in den Bäumen und selbige im Wald gelassen, es wäre allen besser gedient.

 

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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