Mein Name ist Derrick

Ich bin noch etwas unschlüssig, nehme ich Strychnin, oder stürze ich mich aus dem zehnten Stockwerk. Um in dramatischer Pose, mit völlig intakten Gliedmassen jedoch einem Rinnsal von Blut im rechten Mundwinkel, auf nassem Kopfsteinplaster liegend zu verenden. Das Haar leicht durcheinander, doch der Scheitel, wie mit dem Lineal gezogen, ist noch klar zu erkennen.
Dazu eine Streichsymphonie des Studio-Orchester des bayrischen Rundfunks, während die Kamera auf das Auge zoomt.

Ja, ich guckte eben drei Folgen Derrick.
Heute etwas arg verschnupft, nutzte ich in Trainerhose und Kuschelpullover  auf dem Sofa liegend das Angebot meines Pay-TV-Anbieters.

Derrick macht depressiv.
Die Tatsache, dass sich während der sechzig Minuten nicht sämtliche Darsteller gegenseitig meucheln ist nur der von Lethargie geprägten Bewegungen geschuldet, oder etwas salopp ausgedrückt, mit einem Stock im Allerwertesten ist man nicht sonderlich agil.

Ring ring.
Eine Dame in Strickjacke mit Dutt im Haar öffnet die Tür.
Ja bitte?
Guten Tag. Kriminalpolizei.
*dramatische Pause*Mordkomission.
*hektisches Streichen auf Violinen*
Ich bin Oberinspektor Derrick, das ist Inspektor Klein.

Im massgeschneiderten Anzug, den Kleiderbügel ganz offensichtlich noch im Sakko steckend. Darüber einen Trechncoat, offen, die rechte Hand lässig in die Hosentasche geschoben.
Sein Assi Harry verkörpert die jugendliche, dynamische Komponente. In Lederjacke und Jeans. Trocken wie ein Financier-Cake aus der Migros, trotz Föhnwelle.

Wohnungen im Biedermeier-Stil. Schlichte, braune Kommoden und Anrichten, Schrankwände und Vitrinen, bedeckt mit weissen Spitzendeckchen, die einzigen Einrichtungsgegenstände bestehen aus Artefakten, welche für die Dramaturgie der Serie gebraucht werden. Etwa ein Foto des Opfers oder zwei Whiskey-Gläser.

Der Schwager ihrer Mutter Onkels Sohn wurde ermordet.
Ermordet?
Ermordet.
Herbert ist tot?
*pause*
Herbert ist Herr Buchholz.
Ja, der Sohn meines Onkels Mutter Schwager.
Ja -nasale Stimme, leicht gehobener Tonlage – Herr Buchholz ist tot.
Er ist tot.Ja.
Bitte, treten sie doch ein. Entschuldigen sie, das erschüttert mich etwas.

Die Erschütterung der Person zeigt sich, dass sie erst drei Minuten in eine Ecke starrt, hernach in einen Sessel sitzt und die Beine übereinander schlägt. Man möchte ihr links und rechts eine pfeffern, um eine Reaktion zu provozieren.

Derricks Büro.
Zwei leere Schreibtische, zwei Telefone, etwa 13 helle Schränke. Ebenfalls leer. Sieben Türen auf vier Wände verteilt und wie beim Angelspiel erscheint von Zeit zu Zeit ein Kopf in einer der Türen, überbringt eine Neuigkeit, worauf Harry und Derrick durch das leere Präsidium zum Auto stürmen. Also, mit gemässigt schnellem Schritt durch spartanisch eingerichtete Vorzimmer schreiten.
Ansonsten sitzt Derrick am Schreibtisch, sinniert vor sich hin, bittet Harry einen Anruf zu tätigen oder nimmt einen entgegen um dem Anrufer mitzuteilen, er hätte soeben auf diesen Anruf gewartet.

Wir hätten da noch eine Frage.
Die ganze Familie sitzt im Wohnzimmer. Scheint den ganzen Tag so gesessen zu haben.
Also eigentlich sitzen nur die Damen. Der Schwiegersohn und der Chauffeur stehen hinter den Sesseln. Der Schwiegersohn ergreift die Hand der Tochter, welche sie hebt, als Derrick das Wohnzimmer betritt, der Vater spaziert langsam in eine Ecke des Raumes und sieht aus dem Fenster.
Wir haben Neuigkeiten.
*pause*
Dramatisches Zusammenzucken. Die Tochter wendet sich mit geweitetem Blick den Mutter zu. Die Mutter legt die Hand auf der Tochter Oberschenkel. Zoom auf die erstarrten Züge.
Bitte Herr Derrick, sprechen sie doch; Der Vater wendet sich zum Oberinspektor.

Das Bild friert ein. Einblendung Derrick. Abspann.

Eine sechzig-Minuten Freak-Show.

derricj

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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