Mind the gap – die feinen Unterschiede

Next station Gloucester Street. This is a picadilly line service.

Beinahe gesungen wird die Ansage in der Londoner U-Bahn, Tube ist die offizielle Bezeichnung, na wegen der Röhren eben, und es schwingt eine richtige Freude an der Arbeit mit. Ich werde nun nicht im ‚Mind the gap‘ T-Shirt durch die Lande gehen, solcherlei Sachen empfinde ich stets als etwas peinlich. Es ist ja nicht so, dass ein ‚Planet Hollywood Singapur‘ eine designerische Meisterleistung darstellt, dem Träger ist nur daran gelegen, der Welt zu verkünden, ich war da. So verhält es sich auch mit Ahorn-Blatt-Pullovern, I Love London-Hoodies und Top of Europe-Schirmmützen.
Aber ich bin bekennender Fan der Tube.tubeWährend mich in Schaffhausen die Strecke Herbstäcker – Neuhausen-Zentrum über den Waldfriedhof führt und spätestens ‚Im Freien‘ der Chauffeur mit Oberlippenbart und Halbglatze mich auffordert das Gefährt zu verlassen, fühlte ich mich in der U-Bahn sehr schnell sicher. Es gibt zwei Richtungen, man muss nur das richtige Gleis erwischen. In grossen Bahnhöfen braucht man nur den Farben zu folgen um die Linie zu wechseln. Gut, für Farbenblinde nicht die ideale Lösung, aber mit dieser Behinderung wird man fortlaufend diskriminiert, da will ich den Engländern keinen Strick daraus drehen. Die Bahnhöfe sind besser ausgeschildert als der Parcour für das Dreibeinrennen beim letzten Firmenpicknick, es ist auch für einen Touristen unmöglich sich zu verlaufen.

Ich las einmal, wenn ein Engländer die Chance sieht irgendwo anzustehen, nutzt er sie. Dies scheint nicht sehr aus der Luft zu griffen, aber es gibt ein Anstehen und Anstehen. In unseren Gefilden wird geschubst, geflucht, Kinder wuseln um die Beine, wischen ihre schmierigen Finger an meinem Beinkleid sauber und der Hintermann kippt einem die Eiskugel in den Kragen. Denkt man, man hätte seinen Platz, kennt der Özdul von hinten gewiss den Ivan drei Personen vor dir und prompt wird die Schlange erweitert. Da keiner den Özdul nach vorne lassen will, jedoch auch keiner einschreitet, bildet sich eine Pyramidenförmige Traube vor dem Punkt des Interessens.
Fährt der Zug in den Bahnhof werden die Aussteigenden auf der gegenüberliegenden Seite auf die Geleise gedrückt, da die Menschentraube in ihrer praktischen Keilform den Zug entert. Es werden Orangennetze geschwungen, Handtaschen wie Schilde vorgehalten und mit gezieltem Einsetzen der Regenschirmspitze sichert sich auch der Silberfuchs seinen Platz.
Die Nase in der Achselhöhle des Vordermannes, den schokoladeverschmierten Kindermund am Beinkleid, die Regenschirmspitze in der Kniekehle und Özdul räumt bequem und gründlich deine Tasche aus, weil es dir unmöglich ist, dich zu bewegen.

Die Engländer stehen artig in zweier- oder dreier-Reihen am Bahnsteig. Ein Plakat weist einem darauf hin, man möge sich auf den gesamten Bahnsteig verteilen. Nicht in der Befehlsform, sie sprechen eine Empfehlung aus, es diene lediglich der eigenen Bequemlichkeit. Der Zug fährt ein, in der Mitte der Pforte verlassen die Fahrgäste die Wagen, sind sie draussen, steigt man links und rechts ein. Kein Schubsen, kein Drängen und wenn der Zug voll ist, ist er eben voll. Wenn ich voll meine, dann hat jeder ohne Sitzgelegenheit genügend Platz zum bequemen Stehen, es ist kein Gruppenkuscheln. Die übrigen warten auf den nächsten Zug, welcher drei Minuten später einfährt.
Ich wähnte mich im Paradies.
Im Inneren des Zuges befinden sich wiederum Hinweise, ich möge keinen Abfall zurücklassen. Nicht es sei verboten, ich solle es nach Möglichkeit unterlassen, da Abfall die Türen blockiere und die Abfahrt verhindere, was letztendlich ja keiner möchte.
Ja, ich war angekommen.
Steht die Bahn dreissig Sekunden länger als geplant, wird man via Lautsprecher darauf hingewiesen, dass eine Signalleuchte die Abfahrt noch verzögert, es jedoch gleich weiter gehe. Steht ein Schweizer Zug fünfzehn Minuten über der Zeit noch im Bahnhof weiss man nicht, ob der Lokführer mit Durchfall auf dem Topf sitzt, Özdul die Gleise geklaut hat oder einer von der Brücke gesprungen ist.

Sassen wir in der Tube, flitzten einige Stationen weit, als ich die tolle Idee hatte, mir ein Getränk zu öffnen. Das englische Mineralwasser scheint mit ordentlich Druck versehen zu sein, mein dynamisches Öffnen des Schraubverschlusses führte dazu, dass die umliegenden Passagiere mit einer erfrischenden Dusche bedacht wurde. Der iPad-Nutzer gegenüber, die Dame mit dem e-book-Reader daneben, wie auch der Herr mit der sich nun zersetzenden Zeitung in den Fingern . Glücklicherweise kriegte ich den grössten Schwall ab, meine Umhängetasche troff vor Nässe und unfreiwillig eröffnete ich den Wet-Shirt-Contest.
Als Schweizer stellt man sich auf tadelndes Gebrummel und den Erhalt von nicht sehr schmeichelhaften Titel ein.
Ich gestehe, als ich wie ein begossener Pudel da sass, die halbvolle Flasche in den Fingern, war ich beinahe zu Tränen gerührt, als mir stillschweigend mit freundlichem Blick Nastücher gereicht wurden.
Gewiss habe auch ich im Umgang der Menschen mit den Menschen Nachholbedarf, aber solche Dinge nimmt man als Tourist mit, viel eindrücklicher als der schönste Berggipfel und der sauberste Hofplatz, lieber Schweizer Tourismus.

An der Gloucester Street verliessen wir die Picadilly Line. Auf der Rolltreppe wird rechts gestanden, links ziehen die Leute vorbei. Fit sind diese Engländer, muss ich gestehen. Ich würde mich nicht als sehr unsportlich bezeichnen, aber das ständige Treppensteigen geht ganz schön in die Beine und ich genoss die automatische Beförderung an das Tageslicht, während zur Linken die Einheimischen wie junge Rehe vorbei sprangen.

Die Tube verlassen, standen wir direkt einem Kentucky Fried Chicken gegenüber, links davon ein Burger King, dennoch widerstand ich der Versuchung und wir zogen unsere Koffer zum Hotel. Der Umsichtigkeit der Autolenker habe ich es zu verdanken, dass ich noch lebe.look-rightÜber dreissig Jahre Verkehrsschulung lassen sich nicht ausknipsen, man sieht nach links und läuft los. Touristen eben.
Entweder hat der Bodenleger gepfuscht, oder der Hotellier hat sich bewusst für den Flauschi-Teppich entschieden. Wie zwei Ackergäule zerrten wir unsere Koffer über die Flure, bei jedem Schritt einsinkend, bis hin zum Zimmer 414.
Nach fünf Minuten rütteln, schlagen, drücken und Kopf kratzen entschieden wir uns, nochmals die Reception zu bemühen. An sich wäre es nicht verkehrt, wenn ich an meiner englischen Verständigung gearbeitet hätte, aber ich war so bequem, dankbar den Fullservice meiner Begleiterin und Reiseleiterin in Anspruch zu nehmen und wartete mit baumelnden Beinen auf meinem Samsonite, während sie die richtige Zimmernummer abholte. Es fällt mir erst jetzt auf, dass ein Zimmer Nummer 13 in einem Hotel doch eher aussergewöhnlich ist…
Nichts desto trotz gab es nichts zu bemängeln. Swisscom-TV, ich war etwas überrascht, bescherte uns immerhin vier deutsche Sender auf dem 40″-Flat, das Bett war weich wie ein Wattebausch, was dem guten Schlaf erstaunlicherweise keinen Abbruch tat. Die Fenster waren nicht sehr winddicht und die Klimaanlage kannte nur die Stufen Antarktis und Sahara, aber aufgrund der Blutverwandschaft war die Schlaftemperatur, Antarktis, kein Diskussionsgrund.
Der Wasserdruck in der vierten Etage liess etwas zu wünschen übrig. Man konnte den Duschhahn öffnen, sich die Zähne putzen, entkleiden und hatte noch genug Zeit, in die Kabine zu steigen und den ersten Wassertropfen zu erwischen, bevor dieser den Boden der Wanne erreichte.
Der Ablauf des Lavabos war auch nicht dazu geeignet, grosse Wassermengen zu schlucken, was das Zimmermädchen am nächsten Morgen behob indem sie ihn quer in den Ablauf würgte und die Klobrille irritierte mich etwas, ob der rechteckigen, sehr langgezogenen Form. Zudem war die Schüssel so platziert, dass man zur Linken wohl an die Wand lehnen kann, dennoch während der ganzen Sitzung irgendwie verkrampft da sass und Zeitung lesen ein Ding der Unmöglichkeit war.
Das Gesamtpaket passte jedoch.

Am ersten Abend wurde ich zum Picadilly Circus geführt.picadillyFür ein Landei schon eindrücklich. Es war Sonntag Abend um elf Uhr, auf den Strassen herrschte Hochbetrieb und wann immer die Leuchtreklame wechselte, der ganze Platz taghell erleuchtet wurde, zuckte ich zuammen.
Mit etwas Glück erhielten wir einen Tisch im ‚Fridays‘ und ich kämpfte mich mit Messer und Gabel durch einen 120 Pfund-Burger. Eine Premiere, aber einen Burger von gut 15 Zentimeter Höhe mit den Händen zu essen hätte zwangsläufig in einer Schweinerei geendet. Der Grundpegel war dank des Bose-Soundsystem so laut, dass wir uns über den kleinen Tisch hinweg anschrien, ich versuchte gar nicht erst den Kellner zu verstehen, aber es war eine spassige Erfahrung.
Im Souvenirshop stellte ich fest, es wäre kein Problem am ersten Abend pleite zu gehen. Sobald die britische Flagge einen Artikel ziert oder einem die Duchess of Cambridge vom Cover anstrahlte, wurden gegenüber einem vergleichbaren Artikel 10 Pfund drauf gehauen. kateDer Souvenirshop war nicht etwa ein Kiosk an der Ecke, über zwei Stockwerke verteilte er sich, im Eingang stand ein Mini-Cooper welcher ob der Grösse der Lokalität schon wie ein Spielzeug wirkte und im Untergeschoss konnte man direkt in die U-Bahn steigen.cool-britanniaLondon hat ein Herz für Nerds, die Comic-Welt mit Batman und Co. ist omnipräsent, selbstredend, dass ich mich eindecken musste. Bei einem aufgerollten Poster aufgrund des sichtbaren Streifen von 2,5 Zentimeter auf das gesamte Bild zu schliessen ist eine grössere Herausforderung, daher hat der findige Geschäftsbetreiber die Stirnseite mit einer Nummer versehen und oberhalb der Auslage das identische Bild auf dieselbe Weise gekennzeichnet.
Nun, dieser Jude war noch etwas gewitzter als ich dachte; Ich würde meinen kleinen Finger verwetten, dass ich die Nummer wiederholt kontrollierte, dennoch bin ich nun im Besitz eines dummen Nirvana-Posters mit einem noch dümmeren Smiley, anstelle des düsteren Batman-Bildes. Die Gefahr, dass ein Tourist zurück fliegt und den Artikel reklamiert ist schon sehr gering.

Und es sollte nicht das letzte mal sein, dass ich den gewitzen Shopbetreibern auf den Leim ging…

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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