Mind the gap

Einen Fensterplatz.
Ja, ich hatte mir gut überlegt, wo ich sitzen wollte. Beim Online Check-In hat man ja die Möglichkeiten, seinen Präferenzen Ausdruck zu verleihen und einen Sitzwunsch anzubringen. Je nachdem gegen eine kleine Bearbeitungsgebühr. Ich war bereit das Risiko zu tragen, jegliche Ausweichmöglichkeit zu verwerfen – für den Fall, ich neben einem zweihundertfünfzig-pfündigen Bayern platziert werde – und entschied mich für den Platz am Fenster. Für dieses Peter Pan-Feeling, wenn der Flieger über London kreist um im Sturzflug auf den City-Airport zu hüpfen.peter-panSieht so im Peter Pan-Land in Eurodisney aus. Nein, da ist man nie zu erwachsen dafür!

Alleine im Flieger ist grundsätzlich eine dumme Sache. Man kann sich dank der nummerierten Sitze nicht einfach etwas breit machen und darauf bauen, dass sich niemand hinpflanzt. Da wird einem das Reisegspänli zugeteilt. Oder die Gspänli, in meinem Fall. Meine Vorstellung eines Fensterplatzes unterscheidet sich leicht von der einer Fluggesellschaft namens Swiss und so zog ich das glückliche Los, bei einer Dreier-Reihe den mittleren Sitz zu belegen. Zu meiner Rechten eine Dame mit osteuropäischen Einschlag. Nein, nicht diese wie man sie im Katalog aussucht bevor man gegen eine geringe Maklergebühr in die Ukraine fliegt. Eher die russische  Frau ab 34.russiaNachdem wir uns geeinigt hatten welcher Gurt wem gehört – stets gewahr, dass sie zuhause wohl den Pflug zog und mir mit zwei Fingern ihrer schwieligen Hand das Genick brechen könnte – schien sich bei Mutter Babuschka langsam eine gewisse Flugangst einzustellen. Sie begann stossweise zu hecheln, dass ich befürchtete, gleich würde unter dem Rock über dem Unterrock, Unterrock und Unterrock ein kleiner, glibbriger (natürlich süsser) Iwan zu Boden purzeln. Ich kenne das nur aus dem Fernsehen und es klang sehr ähnlich. Nichts dergleichen geschah, sie begann sich abzulenken, indem sie hysterisch, beinahe einem Daumenkino gleich, durch den Swiss Duty-Free-Katalog blätterte.
Zur Linken, nicht weniger unangenehm, einer dieser Business-Reisenden. Diese, welche selbst in den 75 Minuten Flugzeit nicht auf ihr Notebook verzichten können. Sobald sie sich aus ihren drei Schichten – bestehend aus Anzug, Mantel und Outdoor-Jacke – geschält haben, dir Ärmel und Ziergürtel über die Ohren und auf die Nase gefitzt, sich in den Sitz gepfercht und via Blackberry Gott und der Welt mitgeteilt haben, dass sie nun im Flieger sitzen, hat man solange Ruhe, bis das Anschnallsignal erlischt.
Sofort hauen sie dir unter Beileidbekundungen den Ellbogen in die Rippen und pflücken das IBM Thinkpad aus der Tasche. Dieses zwängen sie zwischen Vordersitz, Schlips und Hemd und beginnen sofort ihre Mails abzurufen. 10’000 Meter über Meer, fern von WLAN. Danach dümpeln sie in irgendwelchen Excel-Tabellen, ständig den ein und selben Eintrag am korrigieren, weil beim Tippen die kredenzte Butterbrezel über die Tastatur krümelt und zudem des Sprudelwasser im Pappbecher im Gleichgewicht gehalten werden will.
Aber, der Laie erkennt die Wichtigkeit. Also ich bin überzeugt, solch ein Herr im Anzug entscheidet schon vor dem Morgen-Espresso über Investitionen, welche das dreifache meines Jahresgehalts ausmachen. Ich bin sehr beeindruckt.
Leider sind diese Sesselpupser nicht direkt mit einer Stahlblase bewehrt. Oder sie haben in der Abflughalle während Business und Networken das Pinkeln vergessen. Von milchgesichtigem Antlitz wirken sie samt und sonders als würden sie noch stündlich gestillt, aber irgendwie fehlt Mutti, welches den Herrn Sohn im Anzug vor dem Abflug nochmals auf das Klo schickt. Kaum hängt der Flieger halbwegs in der Waage, machen sie ihre Büro-Installation wieder rückgängig und stellen sich in die Schlange vor dem Klo. Gewiss, nach intensivem Bier- oder light-Getränke-Konsum leide ich auch unter einer Konfirmandenblase, aber wenn man das Wasser keine 75 Minuten mehr halten kann, sollte man dem Deluxe-Muffin von Starbucks nebst dem Blattgoldüberzug vielleicht eine Handvoll Kürbiskerne beifügen.

So hatte ich also weder Gang- noch Fensterplatz, kam von links kein Ellbogen, musste die Russin rechts ihre fünf Röcke raffen und aufs Klo. Ich hatte mehr Bewegung als an einem Abend in der Männerriege, nehme ich an, und bevor sich Langeweile überhaupt einstellen oder ich meinen e-book-Reader aus der Tasche ziehen konnte, erhob der Herr in Schlips seine Arme gegen die Flugzeugdecke. Erst dachte ich an ein Stossgebet wegen einer versemmelten, im wahrsten Sinne des Wortes, Exceltabelle, doch er begann lediglich sehr umständlich und rundherum einsehbar, unter ’sieht mal alle her‘-hüsteln, die Zeiger seiner IWC eine Stunde zurück zu stellen.
Die Landung musste kurz bevor stehen.

Ein kreativer Flughafenarbeiter hatte mit bunten Absperrbändern einen lustigen Parkour gesteckt, durch welchen die Immigranten mit gezückten Ausweisen und wedelnden Pässen im Zick-Zack rannten. Nach einem flüchtigen Blick reihte ich mich zwischen potentiellen, arabischen Bombenkurieren in die Schlange der ‚Nicht-EU‘-Staaten. Dementsprechend langsam ging die Abarbeitung an der Zollkontrolle voran. Bis ich endlich an der gelben Linie stand, nur ein Katzensprung trennte mich noch vom grimmigen Zollbeamten hinter Panzerglas und dem gelobten Land. Ein schlanker Wurf mit Wuschelfrisur über der Hornbrille wies mich mit Blick auf meine ID darauf hin, dass ich in der falschen Schlange stehe. Die Einreise geht schon schneller, wenn man am Grenzbalken noch die letzten Fetzen des Passes aus den Zähnen puhlt und runter schluckt. Aber da ich kein Eriträer bin, hiess es; Gehe zurück auf Los, ziehe keine 4000 ein.
Nachdem die Schlange der ‚EU-Staaten / CH‘ abgearbeitet war, stand ich wieder vor dem bärbeissigen Zollbeamten. Wäre der Blick ein Fusstritt gewesen, ich hätte wieder auf der Landebahn gesessen. Energisch wurde ich letztendlich durchgewunken, mit einem ‚Na dann halt eben…‘ und ‚Scheiss-Touristen‘-Blick.

Bei meinem letzten Besuch hatte ich gut aufgepasst. Aus dem Flughafen gleich rechts und die Oyster-Card aufladen.oysterJa, mittlerweile besitze ich eine Oyster-Card, mit etwas Stolz. Unterscheidet dies doch den etwas ortskundigeren Touristen vom Laien. Sogar zwei Karten sind mein Eigentum, in der stillen Hoffnung, dass dereinst jemand anderes als nur der ‚Coole-Idee müssen-wir-unbedingt mal-machen‘, der ‚Ich-würde-ja-mitkommen aber…‘ und der ‚Ich-weiss-noch-nicht mal-gucken‘ mich begleiten würde.
Im Gegensatz zum letzten Mal habe ich nun die Karte wirklich auch geladen, nicht nur den Schlitz mit einem 20£-Schein gefüttert, und sprang nach erfolgreicher Transaktion schnurstracks in den bereitstehenden Zug. So schnell man mit einem Koffer eben springen kann.

Während er auf dem Viadukt in Richtung City donnerte und ich den Bussenkatalog studierte, wurde ich gewahr, dass ich meinen Eintritt in den Zug mit besagter Oystercard nicht registriert hatte. Wo denn auch? Es teilte so mancher bunte Passagier den Wagon mit mir, aber ich war gewiss, der einzige Schwarzfahrer zu sein. Mit dem Zahlsystem der überirdischen Strecken bin ich nicht so vertraut.
Bei der Station Canning Town erzählte der kleine Mann im Lautsprecher etwas von einem Wechsel zur Underground, worauf ich die Bahn verliess und Treppchen hoch, Treppchen runter spielte, ohne besagte Underground zu finden. Scheisstourist eben.
Eine Zigarette später stieg ich wieder in den Zug derselben Linie und flitzte mit Angst im Nacken weiter. Also eigentlich nicht wirklich. Also Angst. Im schlimmsten Fall wäre ich ein schulterzuckender Tourist. Irgendwie machte es sogar noch Spass. Ich lebe in der Meinung, solange man eine Kreditkarte und einen Ausweis hat, kann einem in der zivilisierten Welt nichts passieren.

Bei der Station Bank holte sich mein Samsonite glühende Rollen. Wirklich, die Tube ist eine feine und unglaubliche spassige Sache, aber als Farbenblinder, respektive ganz krasse Rot-Grün-Sehschwäche sagt der Doktor, ist man etwas der Gelackmeierte. Ich kann wohl geistig zwei Farben – also das Abbild der Farbe, denn eine Farbe an sich gibt es für den Farbenblinden meines Schlages ja nicht – übereinanderlegen und sie somit vergleichen, aber auf der Tube-Map ist die Distanz der Legende zur eigentlichen Strecke eine Idee zu weit, um diese Technik anzuwenden. Zudem ergibt die Farbe der District-Line direkt neben der Circle-Line wiederum die Mischung einer Farbe, welche jener der Center-Line furchtbar ähnlich sieht. Daraufhin bleibt dem Behinderten, barrierefrei für’n Allerwertesten, keine andere Möglichkeit, als alle Bahnsteige abzuklappern und die Stationennamen der Infotafel zu lesen, danach wieder eine Map zu suchen, einen Plan im Taschenformat habe ich noch immer nicht, und das Gesehene in Einklang zu bringen. Dies ist der Grund, warum Farbenblinde eine Tick intelligenter sind, da wir für alles was farbenorientiert ist Alternativen suchen müssen, welche mit der Welt der Farbensehenden kompatibel ist und daher ein paar Synapsen mehr aktivieren müssen. Behaupten führende Wissenschaftler, würde ich so nie für mich in Anspruch nehmen.
Bedeutet ganz viel Laufarbeit, bei vier Bahnstrecken, 200 Meter langen Tunnels und diversen Höhenunterschieden.
Hat man dies gepackt, wird man verwirrt, weil auf der selben Linie mit derselben Farbe ein Zug nach Wimbledon und eine Minute später ein identischer nach Ealing Broadway gondelt.
Natürlich, der Welterfahrene sagt nun, das kann dir egal sein, da beide die Gloucester Road passieren, aber in diesem Moment war ich etwas verwirrt. Was die Aussage über besagte Synapsen wieder wie Seifenblasen platzen lässt.

london-tube

Es geschehen noch Zeichen und Wunder, gute vierzig Minuten später zuckelte ich an der Gloucester Road wieder ans Tageslicht. Theoretisch, es war neun Uhr Abends. Dunkel. Also so dunkel, wie London bei Nacht eben ist.
Zu meiner, und der Verteidigung der London Underground, möchte ich sagen, dass ich bereits tags darauf wie selbstverständlich kreuz und quer durch die Stadt flitzte. Das System ist wirklich idiotensicher und nur zweimal verpasste ich den Ausstieg, da ich die durchgestrichene Haltestelle Gloucester Road auf der Piccadilly Line für einen Lausbubenstreich hielt, bis mich die Durchsagen und der vor dem Fenster vorbeiflitzende Geisterbahnsteig eines Besseren belehrten.

Ich würde behaupten, meine Englischkenntnisse etwas verbessert zu haben, wäre da nicht dieser Bar-Pianist gewesen. Als ich an der Reception stand und die kleine Dame hinter dem Tresen mich aufs herzlichste Willkommen hiess, so denke ich, wähnte sich besagter Musikant der nebenliegenden Hotelbar in der Royal-Albert-Hall und unterstrich sein Geklimper mit Gesang aus voller Kehle. Über den Tresen gebeugt versuchte ich verzweifelt der Dame Worte zu lauschen, welche dieser intimen Annäherung mit einem fliehenden Schritt zurück begegnete. Daraufhin war ich wieder gleich weit, nur mit dem imaginären ‚Eklig aufdringlicher Gast‘-Schild um den Hals.

Ein Zimmer für eine Person. Oder Besenkammer mit Dusche.
Gegen das Hotel möchte ich nichts sagen, eine feine Übernachtungsmöglichkeit. Und ich bin da gewiss nicht schnell zufrieden. hotel-park-internationalAber auch als notorischer Single ist man sich dennoch das grosse Bett gewohnt, wenn man da seine Glieder plötzlich wieder im Kinderbett Gulliver ausstrecken soll, fühlt man sich schon etwas fremd. Zumal die Matratze auch noch weich war wie die Schaumstoff-Hüpfburg im IKEA-Kinderland.

Beim Frühstück wird man ungläubig gefragt, ob man wirklich alleine speise. Dann erhält man einen Tisch, irgendwo zwischen Toilette und Küche. Wenn man schon die Frechheit besitzt, als Einzelperson einen ganzen Tisch zu belegen…
Das nächste Problem. Da man eine Karte und keinen Zimmer-Schlüssel mit einem Schiffs-Bojen-grossen Anhänger dabei hat, kann man seinen Tisch auch nicht reservieren. Ein Handtuch hat man als Schweizer auch nicht dabei. Kehrt man also vom Buffet mit dem beladenen Teller zurück, ist es möglich und so auch passiert, dass eine zweite Angestellte den Tisch bereits wieder belegt hat. Dann spaziert man ziellos mit beladenem Teller durch den Saal, auf der Suche nach der Platzanweiserin.
Derselbe Spiessrutenlauf, wenn man für den zweiten Gang wieder an das Buffet spaziert und niemand die Stellung hält. Am zweiten Tag erwischte ich die Angestellte gerade, wie sie meine dreiviertel volle Tasse Kaffee davontragen wollte und ein neues Gedeck aufgelegt hatte. Sie heuchelte Betroffenheit, sie hätte mich eben nicht mehr gesehen. Am dritten Tag war ich in der Bäckerei um die Ecke. Da brach keine Verwunderung aus, dass ich alleine unterwegs war.
Über kurz oder lang werde ich wohl wie Mister Bean mit einem Teddy auf Reisen gehen und selbigen zum Frühstück gegenüber platzieren.bean-teddyIst bei Cool Britannia übrigens käuflich zu erwerben. Verzichtete ich leider aus, im nachhinein unbegreiflichen und für mich eher untypischen, Spargründen. Aber gehe sowieso bald wieder.
Soviel für heute.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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