Neulich, am Julier

Für gewöhnlich bemühe ich mich Toleranz an den Tag zu legen. Ok, das ist gelogen. Aber manchmal gegenüber Autolenkern mit fremden Autoschildern. Letzendlich lenkte ich mein Fahrzeug auch schon eher unorthodox durch fremde Städte und war froh, wenn ich nicht allzu sehr bedrängt wurde.
Doch jede Toleranz hat irgendwann Grenzen. Da zuckelt man hinterher, die Geschwindigkeit schwankend zwischen 15 und 45 Stundenkilometern, gewürzt mit spontanen Bremsmanövern und man fragt sich, ob es in der modernen Zeit mit Navigation wirklich so schwer ist den Rheinfall zu finden. Zumal einem das überdimensionierte Schild beinahe gegen die Stirn schlägt.
Nun, dank des unglaublich innovativen Schaffhauser Tourismus-Verein hält sich der Besucherstrom in Grenzen. Zumindest nach meinem Empfinden und dem Gejammer der Hoteliers. So arrangiert man sich mit den Deutschen, Holländern und Franzosen.
Doch wie muss es da den Bündnern gehen? Mit den Zürchern, Schaffhausern, Thurgauern und 22 anderen Kantonsvertretern.
Da kommen sie aus dem Unterland in ihren fahrbaren Untersätzen. Wenn man Graubünden erwähnt sieht der Unterländer Automobilist schmale Strassen durch eng gebaute Dörfchen und Kurvenschneiden. Ein Hauch von Rallye und Freiheit. Eine Frage der Ehre.

passfahren

Den Hund in der Box, sieben Sporttaschen dazu gequetscht, die Mountainbikes am Heckklappen-Träger, die Kinder im Storchenmühle festgezurrt und Mutti auf den Beifahrersitz gesetzt. Selbige hat sich gut vorbereitet und will sämtliche Spiele durchführen, welche die Coop-Zeitung für eine entspannende Fahrt im Familienmobil aufgelistetet hat. Die Kinderchen wollen doch lieber DVD gucken und können sich nicht entscheiden zwischen Nemo und Shrek, so oder so muss Papi alle 20 Kilometer raus und die verklemmte DVD aus dem Interdiscount-Spezialangebot puhlen oder zumindest heftig fluchend dagegen schlagen. Nur weil es zum Treten zu hoch hängt und er den Kindern gepredigt hat, man trete mit den Schuhen nicht gegen die Sitze.
Obwohl die Kinderchen Kopfhörer erhalten haben,- einmal Micky Maus, einmal nicht identifizierbares, blaues Monster was sauteuer war – legt Mutti Wiederspruch ein, weil man so ja nicht das Käfer-Hüpf-Spiel spielen kann. Zudem sind diese Dinger schlecht für das Trommelfell. Und den Kindern würde schlecht. Frag nicht, sagt die Coop-Zeitung.
Hintergrundsound, Shrek und Nemo im Wettstreit und die Lautstärkeregelung des Interdiscount-Schnäppchen scheint gegen oben endlos zu sein. Zur Rechten rattert Mutti gebetsmühlenartig alle 12 Minuten das Nahrungsangebot aus der Coop-Superpunkte-Kühltasche zwischen ihren Füssen runter und aus dem Radio klingt der Sheriff Nepomuk.
Alle sind Coop-Zeitung-konfom tiefenentspannt und abgelenkt. Bis auf Papa. Doch nun hat er bei Thusis die Autobahn verlassen und seine Finger krallen sich energisch in das Volant.
Er lockert die Schultern, streichelt den Ganghebel seines Familienkombis und fühlt sich wie Colin McRae, Friede seiner Asche, und Sébastian Loeb in einer Person. Aus der Zeugungsfähigkeitsbescheinigung am Heck – ‚Hupsi und Pupsi fahren mit‘ gesponsert von Milupa links und ‚Baby an Bord‘ von Hipp rechts, wird im Geiste ein sportlicher Remus und Brembo-Sticker. Nicht so schnell, klingt es von nebenan und die Füsse klemmen die Kühltasche fest, sonst wird es den Kindern wieder schlecht.
Nein nein… Ich hoffe nur, dass ich nicht wieder einen verdammter Unterländer vor mir habe, der nicht weiss wie man durch die Berge fährt und nachzuckeln muss.
Jetzt noch überholen was geht; Sprachs und tritt energisch das Gaspedal. Um den Vierzylinder richtig heulen zu lassen hätte er aber zumindest auskuppeln müssen. So äussert sich diese unterstreichende Geste nur in einem erstickten Ruckeln und der Sohnemann kippt seinen Jogi-Drink in die Spielwarentasche welche hinter dem Fahrersitz hängt.

Nein, ich bin kein Familienvater.
Ich bin der entnervte Typ hinter dem Familienvan. Hinter dem Nissan-Kleinwagen, hinter dem deutschen Brummi.
Nicht, dass ich mich als herausragender Autolenker bezeichnen würde, aber zumindest weiss ich welche Dimensionen die französische Traditionsfirma meinem Automobil verpasst hat, was mir erlaubt, eine Kurve vernünftig zu fahren und nicht bei jedem kreuzenden Fahrzeug wahlweise in den Abgrund runter oder die Felswand hoch zu fahren. Kaum zu glauben, aber dies unterscheidet einem schon von 73 Prozent aller anderen Autolenker. War das Erste, was mich mein Vater lernen liess, bevor ich drei viertel meiner Fahrstunden auf Grimsel, Julier, Albula und Oberalp absolvieren durfte.

Unter zuckelnden Autofahrern existiert ein ungeschriebenes Gesetz; Man muss mindestens in Vierergruppen auftreten. Nicht, dass sie sich kennen oder so, auch die Automobile sind willkürlich gewählt, alles was sie verbindet ist das gemeinsame Ziel und das Gefühl jedes einzelnen, er könnte schneller als der Vordere und sei gewiss schneller als der Hintere.
Aus diesem Grund fahren sie Stossstange an Stossstange. Langsam fahrende Fahrzeuge sollten Lücken lassen um den schnelleren das Überholen zu ermöglichen. Lernt man so beim Lenken von Militärfahrzeugen. Das Problem ist, weder Papa Müller-Loeb noch Papa Schmidt-McRae halten sich für ein langsam fahrendes Fahrzeug. Also im Moment schon, aber sie könnten ja schon schneller, nur werden sie gerade ausgebremst. Daher immer schön Kontakt halten, bis ein dreitausend Meter langer, gerader Strassenstreifen ohne Gegenverkehr erscheint um den korrekten Überholvorgang einzuleiten. Mindestens 7 Meter breit.
Erschwerend dazu, jeder will nach vorne gucken um besagten Streckenabschnitt zu finden, wodurch der Konvoi gerne in der Mitte der Strasse schlängelt. Mit vierzig bis fünfzig Kilometer pro Stunde.
Möchte man einen überholen, muss man den Vordermann von der Strasse drängen. Empfiehlt sich nicht, furchtbarer Papierkrieg. Setzt man sich vor Papi im Familienvan und baut darauf, dass er sich etwas zurückfallen lässt um eine Lücke zu generieren damit man wieder einspuren kann, hat man sich auch geschnitten. Siehe oben, Papa ist der Schnellste, jeder welcher noch schneller ist, stellt einen unverantwortlichen Raser dar und diesen gilt es zu belehren. Am Besten, indem er auf der Gegenspur frontal in einen Valserwasser-Truck kracht.
Hat man tatsächlich einen Strassenabschnitt auf welchem man gleich alle vier packen könnte und prescht bereits los, findet just in diesem Moment Papa seine Eier und leitet den Überholvorgang ein. Erst auf die linke Spur fahren, dann den Blinker setzen. Sobald man das Auto positioniert hat, schaltet man einen Gang runter und latscht auf das Gas. Ganz langsam schieben keuchende 68 Pferdchen den hoffnungslos überladenen Wagen – die Schwiegermutter hat einem beim Pflichtbesuch noch eine alte Couch auf das Dach gelegt und man kann ja nicht sagen, sie soll das olle Ding gefälligst selbst entsorgen – neben den Laster, bis er registriert, dass in 800 Metern bereits eine Kurve erscheint. Man wird von Bremslichtern geblendet, Papa lässt sich wieder zurückfallen, zwängt sich hinter den Laster und selber sieht man schon sein Spiegelbild im verchromten Kuhfänger des Valserwasser-Trucks.

Hast du gesehen, das Arschloch hinter mir? Hat mich gedrängelt, dabei sieht jeder mit etwas Grips, dass dies nicht reicht. Wegen solcher Raser passieren immer wieder diese Unfälle. Gut habe ich so blitzschnell reagiert.
Ereifert sich Papa.

Zur Rechten gibt es immer wieder Buchten, in welchen ein langsam fahrendes Fahrzeug ausscheren kann um den Schnelleren die Vorbeifahrt zu ermöglichen. Natürlich kein Thema für Familienkombis und japanische Kleinwagen. Die sind ja nicht langsam. Das ist für Postautos und Lastwagenfahrer. Nur für Postautos und Lastwagenfahrer.
Sobald ein rücksichtsvoller Postautochauffeur, welche übrigens meine uneingeschränkte Bewunderung haben, oder Lastwagenchauffeur Platz macht, prescht der japanische Kleinwagen los. Würde gerne. Aufgrund der dünnen Höhenluft und nicht vorhandenem Turbolader hoppst er wie ein Marienkäfer mit Schnappatmung auf der Strecke herum. Durch den beherzten Tritt auf das Gaspedal verschluckt sich der gute noch an der Extraladung Treibstoff oder würgt sein Vehikel ab, weil der Gangwechsel allzu hektisch erfolgen musste. Zu guter Letzt wäre das Postauto oder der Lastwagen besser auf der Strecke geblieben.

Definitiv verloren hat man, wenn die Strecke so richtig kurvig wird. Nicht weil sie Angst haben, nein im Gegenteil! Papa strotzt vor Selbstvertrauen und schneidet die Kurven, wann immer sich Gelegenheit bietet. Die Linkskurve beherzt bis auf einen Meter an die linke Leitplanke heran, die Rechtskurve auch sehr mutig; Zwischen Fels und Wand bleibt höchstens eine Handbreit Platz. Mit zugehörigem Menschen. Mit noch einem Menschen an der Hand. Mit gestreckten Armen nebeneinander her gehend. Unbestritten, eine knappe Sache.
Das Überholen wird fast zur Unmöglichkeit, da einem ja eigentlich nur die Kurven bleiben. Auf den Geraden beschleunigt der Familienwagen auf halsbrecherische siebzig Stundenkilometer. Nichts, was ein Überholen verunmöglichen würde, aber wenn man auf der Bergstrecke mit 130 km/h vorbei rauscht, kann man den Führerschein schon mal etwas lockern.
Insbesondere, wenn man den Remus/Brembo-Kombi-Piloten vor Frau und Kind in seiner Ehre gekränkt hat und er eine Anzeige wegen Drängeln, Nötigen und Gefährden in Kombination mit Rasen als probates Mittel sieht, ja es als seine Pflicht erachtet, um die Strassen etwas sicherer zu machen.

Ja, etwas Mitleid habe ich mit den Bündnern, welche sich tagtäglich mit den Schumi’s aus dem Unterland rumärgern müssen.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
Dieser Beitrag wurde unter Pub, Unterwegs, Vom Leben und gelebt werden veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.