Neulich im Bundesbetrieb

Seit einiger Zeit stelle ich einen kleinen Arbeitsrückgang fest. Ich darf präzisieren, die Menge an zu erledigenden Tätigkeiten scheint mir abgenommen zu haben. Selbstverständlich würde mir jeder Mitarbeiter bestätigen, dass die Arbeitsbelastung seit dem Jahr 1973 einer stetigen Zunahme unterliegt. Was insbesondere beeindruckend ist, da der langgediente Angestellte schon seit 44 Jahren komplett am Anschlag läuft und nur von seinen Reserven zehrt.
Mitarbeiter mit mehr Dienstjahren kann ich leider nicht auftreiben, ja selbst der Club der Elite, jene mit mehr als 40 Jahren, ist ein kleiner, überschaubarer Kreis. Es ist ein Fakt, dass der normale Bundesangestellte ab fünfzig Jahren beginnt auseinanderzubrechen.

Hier hat die Gewerkschaft kläglichst versagt. Während ein Bauarbeiter aufgrund der hohen körperlichen Belastung mit 60 Jahren in Pension gehen darf, werden Standschäden an Bundesangestellten sträflichst vernachlässigt.

Im 1. Stock meines Betriebsgebäudes sitzt ein freundlicher Herr auf einem Stuhl. Also im Wesen ist er ein guter Kerl, doch die Flut an administrativer Arbeit, welche Tag für Tag durch das Patchkabel auf seinen Rechner quillt lässt ihn bereits um neun Uhr aussehen, als wäre er drei Mal in einen kalten Fluss geklatscht und danach ordentlich gewalkt worden. Dies schlägt sich auf seine Laune nieder und ich bin ihm noch nie über den Weg gelaufen, ohne, dass er mit den Augen gerollt hätte und ein erschöpftes „mein Gott“ über seine Lippen hauchte. Gefolgt von einem kräftigeren „Diese Austrittsöffnung des Darmkanals“. Natürlich benutzte er den geläufigeren Ausdruck der Umgangssprache im Plural und bezieht es auf Bedienstete in höheren Lohnklassen in der Bundeshauptstadt.

Nun ist diesem Herren kürzlich aufgefallen, dass er an einer Entzündung der Achillessehne leidet. Wie lange er dieses Gebrechen schon mit sich trägt lässt sich nicht datieren, denn um dieses Leiden überhaupt zu diagnostizieren muss man sich bewegen und da liegt der Hase im Pfeffer.
Die fünf Höhenmeter in den oberen Stock überwindet er mit dem Warenlift. Für die regelmässige Zigarette verlässt er diesen um ungefähr drei Schritte. Gerade soweit, dass sich der linke Türflügel noch schliessen lässt und er sich erschöpft an die Aussenfassade lehnen kann. Da er nun noch langsamer und mit kürzeren Schritten tippelt, sind es vielleicht ein paar mehr.
Die grösste Gehdistanz beträgt etwa dreissig Meter. Soweit ist die Stempeluhr vom Lastenaufzug entfernt. Des Abends, also um 15 Uhr, absolviert er diesen Distanzmarsch jedoch nur mit mehreren Pausen um sich mit Arbeitskollegen auszutauschen. Auf dem Hinweg, versteht sich. Kaum ausgestempelt, flitzt er wie ein Wiesel auf den Parkplatz. Zwanzig Schritte auf der anderen Seite des Lastenaufzugs.

Ein weiterer Kollege von mir kann die Hand nicht vollständig öffnen. Eine lustige Erkrankung für einen Bundesangestellten. In etwa wie ein farbenblinder Maulwurf; Die Chance, dass der Maulwurf dies überhaupt einmal feststellt ist dann doch eher klein.
Dieses Hand-nicht-öffnen-Syndrom begleitet den Herren nun schon seit mindestens vier Jahren, so lange bin ich dabei, was darauf schliessen lässt, dass es ihn in der täglichen Arbeit nicht wirklich einschränkt. Um so diebischer freut er sich auf die Operation, man kann dies anscheinend beheben, welche ihn für Monate aus dem Arbeitsprozess nehmen wird. Wobei man sich fragt, woran ein Bundesangestellter überhaupt merkt, dass er sich gerade in einem Arbeitsprozess befindet.

Nun, ein Gespür für die Präsenzzeit haben die Bundesangestellten ja eigentlich schon.
Nicht zuletzt, weil er seine Verdauung dahingehend konditioniert hat, dass der Stuhlgang in die betriebliche Präsenzzeit fällt. Mit dieser Glanzleistung, verzeiht den Ausdruck, scheisst er sich jedes Jahr zwei Wochen zusätzlichen Urlaub zusammen.
Darüber hinaus wird er im Beurteilungsgespräch für seine hohe Präsenzzeit sowie das vorbildliche Zeitmanagement gelobt. Verbucht er seine zu erwartenden gestuhlten Stunden doch bereits im Voraus, was ein überborden des Gleitzeitsaldo verhindert. Gott bewahre, dass der arme Kerl irgendwann an Verstopfung leidet. Die mit dem Lob verbundene Prämie kann er gleich nutzen, seinen Bungalow in Bangkok zu bezahlen.

Dass ich in den letzten vier Jahren nichts gelernt habe, zeigte sich gestern wieder. Aufgrund einer zu erledigenden Arbeit liess ich das jährliche firmeninterne „Eiertütschen“ aus, immerhin eine Stunde Arbeitszeit welche man mit sitzen und Essen verbringen könnte. Dadurch war mein Auftrag zeitgerecht erledigt und ich beschloss gegen zwei Uhr, meinen Gleitzeitsaldo abzubauen und nach Hause zu gehen.
Mitarbeiter T, welcher sich gerade vor seinem Bildschirmschoner in eine bequemere Position fläzte, erklärte mir, man muss schon sehr bescheuert sein, wegen mangelnder Auslastung früher nach Hause zu gehen. Es wäre ja nicht sein Problem.
An meinem Lenkungsgespräch wird mir der mangelnde Teamgeist, immerhin habe ich keine Eier getütscht, und der niedrige Gleitzeitsaldo – arbeitest nur das Minimum, wie? – wohl zum Verhängnis und mit Prämienausschüttung wird dies nichts.

Nun ist es natürlich so, dass nie keine Arbeit anliegt.
„Irgendwas gits immer ztue“ muss irgendwo auf einem Betriebsflyer stehen. Im Notfall können wir immer noch uns selbst verwalten und dies wird im Moment wieder auf biegen und brechen betrieben.
Gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, dass Abläufe korrekt eingehalten werden.
Wie in jedem grösseren Betrieb gibt es die Linie, welche sich nach der arbeitenden Unterschicht über fünf Führungsstufen erstreckt. Von der ersten Führungsstufe hört man selten etwas. Die sitzt im Rang eines Divisionärs in Bern. Die Aufgabe der dritten Stufe besteht darin, die Anweisungen der zweiten Stufe in Worte zu fassen und sie ihrem Stellvertreter zu mailen. Dieser versieht die Mail mit Signatur und dem Text ‚Zur Kenntnis‘ oder ‚Zur Info‘ und leitet sie weiter an die vierte Stufe.  So geht das Spiel weiter, bis die Nachricht in der Arbeiterschicht anlangt.
Man scrollt sich durch bis zu sechs Signaturen und ‚Zur Kenntnis‘ bevor man bei der eigentlichen Information landet. Und selbstverständlich gibt es überall diesen einen Mitarbeiter, welcher einen Packen Papier holt und die ganze fünfseitige Litanei ausdruckt und an ein Anschlagbrett hängt.
Und spätestens am Folgetag erhält man einen Anruf, ob man das Memo auch gelesen habe.

Ist der Information noch eine Anweisung angehängt, muss das Spiel den umgekehrten Weg wieder zurück gehen. Die Linie darf keinesfalls übersprungen werden.
Ab der Führungsstufe 5 nach oben spricht man liebevoll von Durchlauferhitzern.

Ebenfalls Donnerstags, ein ereignisreicher Tag, wurde ich Zeuge, dass die Bürokratie noch lange nicht absurdum getrieben wurde.

Mittels eines fünfseitigen Mails wurden wir aufgefordert, die Betriebsstunden der Stapler zu melden. Angehängt war eine Excel-Liste um die drei Ziffern einzugeben. Da die Liste jedoch angehängt und nicht verlinkt war, kam man nicht darum herum, eine Arbeitskopie mit den Daten zu speichern und selbige zu senden. Darauf hat der Datensammelnde irgendwann nächste Woche fünfzig Listen in seinem Posteingang, auf jeder stehen drei Ziffern.
Meinem Arbeitskollegen stiess nicht dieses Prozedere sauer auf, sondern die Tatsache, dass für seinen Stapler ein falscher Betriebsort hinterlegt war. Eine rein buchhalterische Sache, braucht ihn nicht zu kümmern. Es sei denn, er hat sonst keine Sorgen und genau dies schien der Fall zu sein.

In der Hoffnung, bei ihm wäre besagte Liste vielleicht verlinkt und nicht angehängt, trat ich also an seinen Schreibtisch.

Musst du auch eine Arbeitskopie speichern, oder haben sie bei dir die Liste verlinkt?
Nein, ist sie nicht und dazu den falschen Betriebsort! Aber dem zeige ich es jetzt!
Wie denn?
Er soll so richtig Aufwand haben! Ich habe das Mail ausgedruckt.
Aha.
Nun schreibe ich die Betriebsstunden mit einem Kugelschreiber; er suchte ihn in der Tasche, auf das Mail und scanne es.
Und dann?
Dann sende ich es vom Scanner auf mein Mail, dort speichere ich es als PDF und sende dieses in einem Mail an B. zurück!
Dir ist aber schon klar, wer bei der grossen Inszenierung den grossen Aufwand hat?
Ja der B.!
Warum der?
Er muss die Zahl in seine Liste schreiben und kann sie nicht einfach kopieren.
Aber wir sprechen schon von drei Ziffern, oder?
Ja!
Und du betreibst den ganzen Aufwand, dass er drei Ziffern tippen muss?
Ganz genau!
Und wer hat nun den wirklichen Aufwand….
Na er! Und es ist mir scheissegal…

Ich brauchte eine Minute um zu realisieren, dass er wirklich dachte, er hätte dem B. jetzt so richtig eins ausgewischt. Und weitere zehn Sekunden um einen Raum weiter zu gehen, bevor es mich buchstäblich zerriss.
Ich lachte, bis mir der Bauch schmerzte. Und wann immer ich an den Dialog dachte, ging es wieder von vorne los. Irgendwann trat ich zu ihm hin und dankte, dass er mir den Tag gerettet hätte. Sein Engagement sei etwas vom witzigsten, was ich seit langem gehört hätte.
Es wäre ihm scheissegal, dass…. entgegnete er wieder und ich musste schnell meinen Schluck Kaffee in den Magen befördern bevor ich erneut losprustete.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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