Neulich in der Klubschule

Guten Abend, ruft es jedesmal über die Theke.
Eine Frau mit gelocktem, zusammengebundenen Haar, welche ich nur von Mitte Brust aufwärts kenne, begrüsst mich jeden Freitag um sechs Uhr abends. Dabei strahlt eine unerklärliche Freude aus jeder Falte ihres gefühlte, mitte anfang vierziger-Gesicht, als wäre gerade ein Engel winkend vom Himmel herabgestiegen und nicht einfach ein weiterer, schweren Schrittes schlurfender Kunde an der Theke vorbei geschlichen.

Ich habe mir nun angewöhnt die Treppe zu nehmen. In der Angst, so ich die dreissig Sekunden auf den Fahrstuhl warte, würde sich eine erzwungene, die Peinlichkeit der Stille überbrückende Konversation ergeben um nach der Erörterung des schlimmen Sommers 2014 in eine noch viel peinlichere Stille überzugehen, oder dieser missgelaunte Kunde würde mit seiner Aura von negativen Schwingungen die Dame ihrer Freude an der Arbeit berauben. Das Glück einsaugen wie ein Dementor.

Stets mit etwas Neid, aber auch ein Quentchen Freude, darob die Welt doch kein hoffnungsloses Jammertal wäre, blicke ich auf Menschen, welche mit der Sonne im Herzen und einem Lied auf den Lippen ihre Arbeit verrichten.
Menschen, welche ihrem Tun einen gewissen Sinn abgewinnen können. Wie der Herr, welcher eben auf dem Herrenacker stand, in Knickerbocker-Hose und einem Bücki auf dem Rücken. Dies ist eine hölzerner Rucksack, in welchen die Trauben geworfen werden, für die Nicht-Rebbauern unter uns. Der Herr ist darauf angewiesen, dass die Sonne scheint, dass Touristen aufkreuzen und, dass die Bevölkerung im unsinnigen Treiben unseres Tourismusunternehmens etwas ähnliches wie einen Sinn erkennt, dass weiterhin ein Batzen gesprochen wird und er seiner Berufung nachgehen kann. Dem zugeströmten Volk etwas über Weinkeller zu erzählen.
Dessen Einkommen ist von solch vielen nicht beeinflussbaren Faktoren abhängig, auch wenn er noch so schön von Weinkellern und Fässern erzählt, wird der Herr Hübeli deswegen nicht morgen nochmals eine Führung buchen, dass ich mir schon morgens prophylaktisch einen Strick um den Hals legen würde.

Mit dieser mir eigenen Begeisterung, Freitag Abends in eine Art Schulzimmer zu sitzen, bewege ich mich die Treppen hoch, als würde ich durch Uhu Alleskleber im Endstadium waten.
Erwachsene, welche einen Kurs in der Migros Klubschule besuchen, haben sich vor ganz langer Zeit einmal ganz entsetzlich falsch entschieden und versuchen nun aus den Trümmern ihres Lebens etwas sinnvolles zu zimmern.
Nicht, dass ich gegen die Klubschule wettern möchte; Ganz im Fahrwasser der Migros-Linie liegt dasselbe Angebot auf wie im Schokoregal. Die Imitation einer Marke, dem kleinen Geldbeutel gerecht werdend, nicht direkt schlecht, aber ein Mahony-Schokoriegel ist nunmal keine Toblerone.
Neben dem korrekten Gehen in High-Heels, Zehn-Finger-System für Einarmige und Kochen für unzureichend assimilierte Ehemänner, werden auch diverse Sprachkurse angeboten. Deutsch für Immigranten, Spanisch für den zweiten Frühling mit einem Latino oder Englisch für Dummies.
Heute einen Englisch-Kurs zu besuchen fühlt sich in etwa so an, als würde man mit fünfundreissig Jahren in einem Herblinger Kindergarten anklopfen, man würde gerne das Treppensteigen erlernen. Es wird einfach vorausgesetzt, dass man dies spricht. Natürlich, wenn nicht findet man sich uneingeschränktem Verständnis gegenüber, dennoch fühlt es sich stets etwas gönnerhaft an; Das muss man ja auch nicht unbedingt können, beim Zuschnitt von Dachlatten und Spanplatten im örtlichen Baumarkt, gehört es nicht zum zwingenden Anforderungsprofil und im Neckermann-Ferien-Resort spricht sowieso jeder Deutsch, isn’t it?

Als ich also feststellte, dass mein Gehirn schneller Synapsen aufbröselt als Wasser durch die Finger rinnt, wollte ich etwas dagegen unternehmen. Bevor ich für meinen Namen eine Zeichenschablone benötigen würde. Da sich meine Englischkenntnisse auf Filmfragmente, lustige Bilder im Internet, T-Shirt-Aufdrucke und den Abenteuern der Famous Five beschränken und ich bei meinen Gehversuchen im Englischen an Hotelrezeptionen regelmässig zu den Garderoben der Stand-Up-Comedians verwiesen werde, bot es sich doch an, meine Gehirntätigkeiten durch ein Festigen der Grammatik und dem Pauken von irregularen Verben wieder zu reaktivieren.

Ab der dritten Lektion wurde es mir langweilig. Selbstverständlich habe ich den Powerkurs gebucht. Schnurstracks ans Ziel, walisisch in der vierten Lektion und schottisch-gälisch kurz vor dem Abschluss. Oder so. Mit wehenden Fahnen unter Trompetenfanfaren und Rosen werfenden Jungfrauen durch den Eignungstest und beim Betreten des Schulzimmers war ich einen Moment versucht, gleich am Lehrerpult Platz zu nehmen. Meiner Natur gemäss wählte ich dann doch den hintersten Tisch, nahe dem Fenster.
Ich bin noch immer derselbe faule Sack, welcher mit sechzehn Jahren wider aller Erwartungen die Schule abgeschlossen hat. Natürlich mit einem Minimum an Aufwand und dem Lehrvertrag zwei Wochen vor Schulende in der Tasche. Den dämlichsten Beruf welcher sich je ein Berufsberater ersinnen konnte, mit einer Zukunftsperspektive wie eine Mäusefamilie im Katzenheim, aber Bedingung war nur, dass ich eine Lehre absolvierte.

Entgegen meiner Schulzeit lerne ich dieses mal wirklich für mich. Meine Erziehungsberechtigen wurden vor achtzehn Jahre ihrer Aufgabe erlöst und die Frau Lehrerin ist in erster Linie daran interessiert, dass die Kursgebühren pünktlich überwiesen werden, der Rest ist meine Sache.
Grosser Fehler.
Da der Eignungstest nur dazu dient sich selbst einzustufen, mir danach wäre, ich wohl gleich beim Cambridge Exam einsteigen könnte, wurde Kraut und Rüben in den Kurs gepackt. Einfach jeder, welcher die Gebühren entrichten kann.
So sitzt zu meiner Linken das Blick-Girl Oktober 2010, kein Scherz, und fährt mit dem Finger über das Blatt. Die Satzmelodie erinnert mich an die stakkatohaften Geigenklänge aus Hitchcocks Psycho, mit der Geschwindigkeit einer anfahrenden Dampflokomotive, betrieben von einem Heizer, dessen Gewerkschaft verbietet, mehr als eine Schaufel Kohle die Stunde in den Ofen zu werfen.
Man sitzt nebenan, die Hände unter den Oberschenkeln, um der Versuchung zu widerstehen, ihre Nase in das Übungsheft zu klatschen. Jedes Wort mit mehr als drei Vokalen wird von der Lehrerin korrigiert, was die Dame mit einem solch jämmerlich erschöpften ‚Oh Gott‘ quittiert, als müsste sie besagte Lokomotive an einem Strick über den Gotthard ziehen. Hat man den Text nicht selbst vor Augen, ist es unergründlich, ob da zur Linken eine Teufelsaustreibung in rückwärts gelesenem Latein zugange ist, oder jemand mit einer Kartoffel im Mund Hänschen Klein singt. Unterbrochen von Oh Gott.
Sämtliche ihr gestellten Aufgaben werden nur gelöst, wenn aus jeder Ecke des Raumes die korrekte Antwort gezischt wird und die Lehrerin nur daran erkennt, dass besagte Dame noch nicht zur richtigen Lösung angesetzt hat, weil kein ‚Oh Gott‘ vorangesetzt wurde.

Einen Stuhl weiter sitzt ein Jüngling mit einer Fistelstimme, welche unweigerlich darauf schliessen lässt, dass er seine Freizeit im Knabenchor verbringt. Oder Slips träget. Etwas knapper im Schritt, dafür etwas weiter im Gesäss.
Dieser zeichnet sich vorwiegend dadurch aus, dass er an jedem Kursabend einmal Ukraine und ein weiteres Mal Irak sagt. Auf die Frage der Lehrerin, was in der Welt denn so geschähe. Nicht weil die Frau Lehrerin speziell schlecht informiert wäre oder es sie brennend interessieren würde, der Grundgedanke liegt darin, eine Konversation anzuregen.
Ukraine.
Ja was geschähe denn in der Ukraine.
Putin… walk…. army… in…. Ukraine… war…
Vielleicht fistelt er zwischen den Verben und Nomen noch ein paar Pronomen oder Adjektive, aber jemand, der nicht mit den Ohren einer Fledermaus begünstigt wurde, kann unmöglich aus dem Gestammel einen Satz bilden, oder gar in das Gespräch einsteigen, weil schlicht nicht erkennbar ist, was dieses Kerlchen mitteilen möchte. Nach seinem ersten ‚Ukraine‘ oder ‚Irak‘ folgt eine Schweigeminute. Vielleicht aus Betroffenheit, vielleicht, weil niemand wirklich informiert ist, aber gewiss auch, damit Fistelchen seine nächsten Buchstaben aus dem imaginären Scrabblesäckchen klauben und auf den Tisch legen kann.

Die Lehrerin übernimmt für gewöhnlich und rattert BBC-mässig die aktuellen Tagesnachrichten zur Ukraine herunter. Oder Irak. Um die Stunde zu einem Ende zu bringen.
Das wäre die Konversationsübung gewesen.

Gut, worüber soll man auch sprechen. Ich gestehe, in Sachen Ukraine und Gazastreifen bin ich furchtbar schlecht informiert. Der Rest der Gruppe auch. Bis auf Fistelchen, aber auch da weiss man es nicht genau. Putin, war und Ukraine habe auch ich den Schlagzeilen entnommen.
In Sachen Literatur hat noch keiner seit Anna Göldin – Letzte Hexe in der zweiten Oberstufe ein Buch von innen gesehen. Ich war etwas entzückt, als die Lehrerin den kleinen Hobbit behandeln wollte. Es scheiterte jedoch daran, dass die Gruppe noch nie etwas von einem Buch dieses Namens gehört hat und vom Film blieb bestenfalls ein Stückchen Pop-Corn-Schale in den Backenzähnen hängen.

Und so dümpelt man Freitag für Freitag drei Stunden in einem stickigen Schulzimmer und ich würde wohl mehr Synapsen knüpfen, wenn ich zuhause TKKG lesen würde. Gestern habe ich mich für den nächsten Kurs angemolden.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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