Noch eine Nacht im Zelt

Es hat sich mittlerweile eingebürgert, dass ich nach Receptionsschluss auf den Campingplatz fahre.
Ich solle mir einfach einen freien Platz suchen, so der Herr am Telefon.

Unter dem wachsamen Auge der Dauercamper manövrierte ich durch das Gelände, bedacht, die Staubwolke auf ein Minimum zu reduzieren. Sie sehen es gar nicht gerne, diese Urgesteine des Campingplatzes, wenn Fremde kommen. Wohl hält ein Gartenzwerg ein „Herzlich Willkommen“-Schild, aber dessen neckische Mütze und weniger das Kommuniqué schienen wohl ausschlaggebend für den Erwerb des kleinen Mannes gewesen sein.
Auch die Willkommen-Matte, beim Übergang vom Rasen auf den ähm, ja, Rasen scheint mehr eine virtuelle Eingangspforte zwischen allgemeinem Platz und dem durch solarbetriebene, schwach schimmernde, bläuliche Totenlichtern abgesteckten Bereich hinter dem gedachten Lattenzaun zu sein, denn eine nette Einladung zum Willkommens-Bier.
Ein merkwürdig Volk, diese Dauercamper. Man beginnt wohl mit einem Wohnwagen, baut ein Vorzelt an, selbiges verschwindet nach und nach hinter einer Holzverschalung, Glasfenster anstelle des Kunststoff, ein Dach über das Dach des Wohnwagen, das Zelt, die Holzverschalung. Ein elementarer Bestandteil scheint zu sein, dass keine Baute die vorgehende ersetzt, sondern irgendwie mit einander verschmelzt; Wohl könnte jede autonom betrieben werden, aber vielleicht ist etwas Zeltstoff ein tragendes Element für das Gefühl, man sei auf dem Campingplatz.
Neben der Eckbank aus Massivholz, dem Kühlschrank, der elektrischen Friteuse und dem Bild von Opa Hubert selig, gleicht das Vorzelt mit der Schwarzwälder Kuckucksuhr und den Klompen – Groeten uit Kinderdijk – an der massiven Kaba-Sicherheitstür mehr dem gutbürgerlichen Wohnzimmer, als einer Camping-Urlaubsresidenz.
Abends sitzt man draussen, während Stechmücken, Fliegen und Mini-Fledermäuse im elektrischen Insektenkiller an einer zischenden, blauen Röhre ihr Leben aushauchen, bis um zwanzig Uhr fünfzehn der Andy Borg zum Musikantenstadel bittet.

Es sei denn, gegenüber erdreistet sich ein Reisender sein Zelt aufzuschlagen. Andy Borg begrüsst die Gäste in Österreich, Deutschland und der Schweiz, während der Dauercamper noch draussen bleibt und mit Argusaugen die Aufstellarbeiten des Passanten überwacht. Widerwillig, aber einer muss es ja machen.
Nun legt sich der Passant auf eine Decke, öffnet ein Bier und dreht eine Zigarette. So es denn eine Zigarette ist.
Passanten, was verstehen die schon vom Zelten, denkt sich der Dauercamper, während er sich mit angewidertem Blick in seinen Stress-Less-Sessel setzt und ihn mit leichtem Surren in eine 56°-Liegeposition und in Richtung Flat-TV schwenken lässt, welchen Mutti freundlicherweise zum Eingangsbereich gezogen hat.
Diese Passanten, denken, sie wissen wie es läuft in der Natur, murmelt er und aktiviert die Vibrierfunktion des Sessels und wartet auf die Pop-Corn, welche Mutti in der Mikrowelle poppen lässt.
Passanten, kaufen sich ein Zelt und denken, nun können sie campen, schiesst ihm durch den Kopf, als er den elektrischen Heizstrahler eine Stufe höher stellt.
Glücklicherweise kitzelten die Geschwister Hofmann die Libido des Ur-Campers, sonst hätte er noch auf dem Elektroroller die Strasse überquert und mir erklärt, dass ich völlig falsch campe, vor seiner Parzelle nichts zu suchen und im Allgemeinen besser verschwinden würde, doch so widmete er sich dem Fernsehbild.

Der Preis erschien mir recht ordentlich – obwohl ich schon wieder vergessen habe, was ich löhnen musste – die sanitären Anlagen mit vier Duschen pro Geschlecht, wobei ich das Angebot im Damenbereich nicht kontrollierte, eher etwas knapp dimensioniert und die Luftfeuchtigkeit im ganzen Nassbereich etwas zwischen Monsun und dem mittleren Sitzplatz in unserem Kabelzug-Wagen, besetzt mit zwei schwitzenden Frischluftphobikern bei fünfunddreissig Grad.
Der ganze Allgemeinbereich wirkte militärisch heimelig, mit dem Aushang des Wetters, dem Tagesprogramm, der Brotbestellung, den Benimmregeln und was sonst noch von Bedeutung schien. Während ich den Wetterbericht studierte – Sonnenschein, leicht bewölkt, ideales Wanderwetter, wurde so von Radio Grischa noch bestätigt – prasselte mir der Regen unaufhörlich in den Kragen.

Dennoch bewegte ich mich nach Sankt Antönien, die Gemeinde mit den höchst gelegenen Parkuhren der Schweiz. Naja, nicht direkt, St. Moritz liegt höher, aber so zwischen ein paar alten Ställen, Bergkäse und Wanderwegen eine Parkuhr anzutreffen wirkt schon befremdlich. Aber es musste sich rentieren, der Parkplatz, einer von dreien oder vieren, war bis am Abend ordentlich voll, jedes Auto hatte den Obulus von 6 Franken zu entrichten. Goldener Kies, auf welchem man parkierte.
Ja ja, hochfahren, ich weiss… Aber der Weg zur Wand betrug doch noch ein paar Gehminuten und man sollte, da angekommen, mit Vorteil nicht gleich auf die eigene Zunge steigen.sulzfluhEher Surselva-orientiert, stand ich dem Prättigau stets etwas skeptisch gegenüber. Davos einmal ausgenommen, ist ja beinahe Engadin, ich pflege da die geografischen Linien bisweilen etwas zu verzerren.
Dennoch, allen Vorurteilen zum Trotz, es gefiel mir ausserordentlich gut. Ein hübscher Fleck. alphauspartnunsee

Der Gipfel des Sulzfluh, aus zwei Ländern und gefühlten zwanzig Himmelsrichtungen begehbar, war dementsprechend regelrecht überfüllt. Schwierig zu unterscheiden, wer nun den Klettersteig genommen hatte, richtig kletterte oder hoch spazierte. So trat ich hinauf, begutachtete kurz die Masse, entledigte mich des Kletterzeugs und spazierte direkt auf der hinteren Seite wieder hinunter.sulzfluh-gipfelsulzfluh-gipfel-2
Über eine hässliche Schotterpiste, welche mich einige Male nicht sehr trittsicher unfreiwillig zum niedersitzen nötigte, kratzt stets am Ego, und auch das Torkeln im Schneefeld wirkte wohl äusserst unbeholfen. Nun, ich denke über ein neues Paar Schuhe nach, respektive, einen eins-zu-eins-Ersatz.
Der Klettersteig ist gut, nicht sehr anstrengend, da mehr Eisen verschraubt wurde als in einem modernen Betonbau. Zudem wird häufig auf Reibungsklettern gesetzt – nicht, dass ich meinen Salewa misstraute, aber ein unangenehmes Bauchgefühl bleibt – und dementsprechend häufig, ist man auf das Fixseil als Haltepunkt angewiesen.

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Der beste Schuh der Welt, eine beinahe schon emotionale Bindung

Öfters eine gute Tat, so lud ich einen alten Herren – 84, mit künstlichen Gelenken, drei Bypässe, etwas von einem Schwein und bis oben voll mit Medikamenten, wie er mir freimütig mitteilte, offen gesagt hatte ich Angst, mein nächster Halt wäre das Kreisspital Thusis oder so – zur Mitfahrt ein, welcher gar verwirrt und unsicher auf ein Postauto wartete, von dessen Eintreffen er nicht sehr überzeugt war. Ja, ich kann durchaus sozial sein, man muss mich nur von den Menschen entfernen. Dementsprechend dankbar war der Herr, so schnell und bequem sei er noch nie von einem Berg runterchauffiert worden, als er in Pany wieder aussteigen wollte. Tue Gutes und fühl dich gut dabei.

Sonntag Morgen der nächste Spaziergang; Wohl konnte man Brot vorbestellen, aber Butter hatten sie keine im Camping-Shop. Der Migrolino-Shop half mir aus der Patsche, dazu noch ein Sonntagsblick.
Zurück am Camping Receptionsshop fühlte ich mich kurzzeitig etwas veräppelt, als das vorbestellte, gute, einzigartige (so angepriesen) Bündnerbrot ebenfalls aus dem Migrolino stammte, aber dies tat dem Sonntag-Morgen-Frühstück und dem Ausflug im Allgemeinen keinen Abbruch.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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