Pierre Brice, glücklich in der Rolle gefangen

Selbstverständlich wurde ich von den Karl May-Verfilmungen in Bann gezogen.
Ich möchte nicht sagen, dass die Helden endlich ein Gesicht erhielten, denn in der Fantasie des Lesers formte sich längst ein Abbild des legendären Apachen-Häuptlings. Wobei dies nicht ganz korrekt ist. Karl May war kein Schriftsteller welcher die Fantasie des Lesers unnötig bemühte, respektive, es war ihm daran gelegen, dass der Leser die Figur genau so sah, wie sie seiner Vorstellung entsprungen ist. Dementsprechend auschweifend, nahezu blumig, eines erotischen Einschlags nicht entbehrend, präsentierte er seine Charaktere. Natürlich aus dem naheliegenden Grund – für den Leser, welcher den Winnetou-Geschichten nicht erlegen ist -, dass in der Idee des Autors der Westmann Old Shatterhand niemand geringerer als Karl May selbst war.

Die Winnetou-Filme hätten Karl May im Grabe rotieren lassen.
Mit der literarischen Vorlage haben sie bestenfalls den Titel und die Namen der Charaktere gemein.
Böswillig möchte ich behaupten, Horst Wendlandt hatte nie eine
Karl May-„Reiseerzählung“ gelesen. Vor sich liegend zwei Kisten, die eine mit Charakteren, die andere mit Titel gefüllt. Lieblos wird zusammengewürfelt, ein Drehbuch geschrieben welches lose einen Bezug zum Titel herstellt und das ganze auf die Leinwand gebracht.
Die moralischen Aspekte werden auf ein Minimum reduziert. Gerade so weit, dass der Kinogänger mit der todgeweihten Rasse der Indianer mitfühlen kann, jedoch nicht so tiefschürfend, dass man nicht auch einmal geräuschvoll im Pop-Corn wühlen könnte, ohne Gefahr zu laufen den Handlungsstrang aus den Augen zu verlieren.

Es spricht nichts dagegen eine neue Geschichte mit bestehenden Figuren zu erfinden.
Nie hinwegsehen konnte ich jedoch über die Darstellung der Figuren. Heutiges cineastisches Schaffen gestattet es sechs und mehr Superhelden in voller Kraft und Grösse nebeneinander in einem Film zu bestehen, was in den 1960-er Jahren anscheinend undenkbar war. Um die Überlegenheit der Helden Winnetou und Old Shatterhand in eine übernatürliche Sphäre zu heben genügte es nicht die Gegenspieler mit einer abgrundtiefen Bosheit und Verschlagenheit zu zeichnen; Die Mitstreiter auf der guten Seite mussten den Heldenstatus unterstreichen, indem sie mit einer peinlichen Trotteligkeit aufwarteten, worauf ein Old Shatterhand stets nachsichtig, mit einem leicht schulmeisterlichen Tadeln reagieren konnte.
Die Nebenrollen erinnerten mich stets an die Lehrer aus der beliebten „Die Lümmel von der ersten Bank“-Filme. Figuren, welche vorrangig dadurch begeistern, dass sie über ihre eigenen Füsse stolpern. Diese peinliche Komik, welche für das Erlangen des Prädikat „Familienfilm“ unabdingbar ist.

Pierre Brice war in dieser ganzen Geschichte die Ausnahmeerscheinung.
Es ist eine Gratwanderung. Man erwartet vom Schauspieler, dass er die Rolle lebt und nicht etwa spielt. Für die Promotion ist es ein Segen, wenn das Liebespaar im Film auch privat zueinander findet (Twilight), oder der Hauptdarsteller privat Autorennen fährt (Le Mans), es verleiht eine gewisse Authentizität.
Doch spätestens zum DVD-Start soll sich der Protagonist von seiner Filmfigur getrennt haben, Sprüche wie „Wäre ich Passagier des Flugs 175 gewesen, wäre es nie zu 9/11 gekommen“ werden nicht direkt euphorisch aufgenommen und während man Chuck Norris als konservativen Haudegen unter dem Sternen und Streifen-Banner mag, oder zumindest in den 80ern mochte, wird seine Bekennung zu den Republikanern und Verachtung gegenüber nicht-christlichen Werten wie eine Homo-Ehe von Nicht-Rednecks verurteilt.

Pierre Brice mag aus der Not eine Tugend gemacht zu haben. Unbestritten begründet sein Erfolg auf der Rolle des Winnetou, welche er, im Gegensatz zu den anderen Charakteren, vorlagengetreu wiedergeben durfte. Musste. Zu seinem Unmut. In der Darstellung des Helden mit stoischem Ausdruck und einem Minimum an Text fürchtete Pierre Brice, sein Talent nicht ausspielen zu können. Den Zuschauern gefiel es und er arrangierte sich mit der Rolle.
Es mag sich angeboten haben, dass er die – etwas aufgebauschte – edle Gesinnung in seinem Privatleben weitertrug und so im Gespräch blieb, was nicht bedeuten soll, dass es ihm nicht ernst war.
Jede mehr oder minder attraktive Schauspielerin ist heute UNICEF-Botschafterin und bringt Sex-Appeal aufs Rednerpult, da ist es erfrischend sympathisch, wenn ein gealterter Indianer-Darsteller ein Bärenreservat eröffnet, Strassenhunde rettet und selbst einen Laster mit Hilfsgüter in das Kriegsgebiet steuert.
Als Pierre Brice in der Doku „Winnetou darf nicht sterben“ mit geschlossenen Augen im Kajak durch den kroatischen Canyon paddelt, war ich eher peinlich berührt denn emotional ergriffen, doch warum eigentlich?
Ich bedaure es stets wenn Schauspieler – in etwa britische Geheimagenten – Rollen welche sie berühmt und beliebt machten mit Füssen treten, sich krampfhaft abzuwenden versuchen. Da ist es doch begrüssenswert wenn ein Schauspieler in seiner Rolle die Erfüllung erfahren hat.
Er spielte Winnetou, er wurde Winnetou und jetzt ist er in seinen und den Augen seiner treuen Fangemeinde als Bleichgesicht in die ewigen Jagdgründe eingegangen.

winnetou

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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