Sonnenaufgang am Boulevard

Seit gut drei Monaten erhalte ich täglich den Blick zugestellt.
Kostenlos. Glaube ich. Ich beteiligte mich an einer Umfrage, es galt das zweitdämlichste, deutschsprachige Boulevardblatt südlich zu bewerten. Ja, ich behaupte, die deutsche Blödzeitung ist noch einen Zacken einfacher gestrickt, alleine aufgrund der Tatsache, dass sie ihren Nonsens auch noch in einem kostenpflichtigen Online-Abonnement an die Unterschicht bringen wollen. Mittlerweile muss man zwischen Werbung und Bild-plus die drei verstaubten, frei einsehbaren Neuigkeiten aus der Welt des Klatsch und Tratsch richtiggehend suchen.

Anlässlich meines selbstlosen Engagements, die Antwortkarte war bereits vorfrankiert, erhielt ich als Gegenwert von zwölf Silberlingen ein Vier-Wochen-Blick-Abonnement. Nach vier Wochen und vier Stunden flatterte eine Rechnung ins Haus. Um keine Ausgabe zu versäumen sollte ich umgehend ein Abonnement für den Schnäppchenpreis von hau-mich-tot Franken lösen.
Mich deuchte nicht arg viel zu Versäumen, freute mich eigentlich direkt nicht mehr so oft das Altpapier zu kleinen Bündeln zu schnüren. In unserem Dorf sammeln die Primarschüler mit dem Bollerwagen, da nimmt man etwas Rücksicht.
Nach zwei Wochen eine seichte Ermahnung, jetzt wäre aber höchste Zeit ein reguläres Blick-Abonnement zu bestellen. Die Zeitung lag weiterhin zuverlässig in meinem Briefkasten.
Wiederum vier Wochen später; Gewiss wäre mir entgangen, dass…
Mit hübscher Regelmässigkeit schnüre ich nun die Blick-Rechnung zwischen die Tageszeitungen. Stets der Meinung, ich habe ja nichts bestellt. Ich trage mich nun mit dem Gedanken, die Firma Ringier während meiner nächsten Ferienabwesenheit zu bitten, die Zustellung für eine Woche auszusetzen und warte neugierig auf die Reaktion.

Heute also im Blick:

„Mit der Freundlichkeit hätten es die Schweizer nicht so. Manchmal bekommt man den Eindruck, die Schweizer Wintersportorte hätten es am liebsten, wenn die Gäste das Geld überweisen und dann gar nicht anreisen.“, so der Tourismus-Chef von Ischgl.
Hand aufs Herz; Er hat nicht ganz Unrecht, oder?
Man ist ja schon froh, wenn die blau-weissen Autonnummern in die Höhe kommen, aber es scheint mir eher eine existenziell bedingte „Freude“ und weniger ein Jauchzen über den Besuch von Freunden. Die mit den blau-weissen Nummern denken wiederum, die Berge sind schon ok, aber müssen die wirklich im Steinbock-Kanton stehen?
Bei meinem neuen Arbeitgeber treffen etwa zehn Ostschweizer auf einen Zürcher, aber der erklärt dann im Brustton der Überzeugung, wo der Schmiernipppel der Erdachse liege und wer das nicht so sähe, dem sei einfach nicht zu helfen.
Amen.
Art Furrer, Cowboyhut-Träger und achtziger-Jahre Skilegende, erklärt den Österreicher auch; Das mit der Freundlichkeit sei eine Frage der Interpretation.
Mit anderen Worten, die Schweizer seien auf ihre Art schon freundlich, wenn das Ausland dies nicht bemerke, dann stimme mit ihnen eben etwas nicht.
Kann man auch so sagen.

Zudem, so Furrer weiter; Die Bergler müssen erst auftauen, seien Fremden gegenüber sehr skeptisch. Aber wenn wir dann freundlich wären, sei es aufrichtig.
Ist der absolut korrekte Ansatz wenn man Freunde fürs Leben sucht. Doch wohl eher hinderlich, wenn man mit Touristen Geld verdienen möchte.
Also wenn ich bei Art Furrer für 1’800.- sieben Tage Urlaub mache, möchte ich nicht noch vier Tage um seine Gunst buhlen müssen, bis er zugesteht, dass ich wohl doch kein solches Arschloch bin, wie mein Passfoto und die Coop-Super-Visa-Card vermuten lässt und mir Freitags vor der Abreise doch noch einen guten Morgen wünscht.
Die Österreicher seien eben sehr schmalzig…
Finde ich gut. Oder fände ich, ich war noch nie in Österreich. Aber im Urlaub brauche ich nicht die offene Kritik, welche ehrlich und von Herzen kommt, sondern ich kaufe mir eine Wohlfühlatmosphäre und Entspannung. Das Zimmer und den Skipass gibt es gratis dazu.

Aber auch freudiges!
Nadine (23) und Jon (23) können wieder arbeiten! Nach einem Horrorunfall im Jahr 2012.
Eine tolle Nachricht für Freunde, Familie und Menschen, welche sich grundsätzlich für alle und jeden freuen. Inwiefern diese halbseitige Berichterstattung für den Stammtisch von Relevanz war erschliesst sich mir nicht. Aber die Zeitung kostete auch nichts, seis drum.

Morgen muss ich bei meinem Arbeitgeber vorsprechen.
Die Grünen wollen das Steuersystem umkrempeln. Mehrwertsteuer weg, dafür soll eine Energiesteuer her.
Also alle, welche Auto fahren, Heizöl brauchen und Atomstrom nutzen sollen die 22 Milliarden Steuerverluste auffangen.
Schuldig, schuldig und weiss nicht genau. Wohl beziehe ich lieben Ökostrom, aber ich habe keine Ahnung zu wieviel Prozent. Und diesen nicht aus Überzeugung, sondern weil man bösen, billigen Strom speziell bestellen muss. Ich war einfach zu faul.
Mit meinem Arbeitgeber sprechen muss ich, weil zwischen dem typischen Schweizer-Monatsgehalt und meinem Entgelt doch noch eine gewisse Lücke klafft. Genau diese Lücke verhindert, dass ich rundherum Grundstücksanteile erwerbe um mein Haus klimafreundlich in meterdicke Schafswolle packen zu können, mir eine Solaranlage sowie Wärmepumpe beschaffe und darüber hinaus in der Migros-Klubschule einen Strickkurs belege. Um meine Innentemperatur auf klimafreundliche dreizehn Grad zu senken, muss ich mir einen Poncho und passende Fäustlinge stricken. Und ein glückliches Schaf halten. Das Eier legt.

Beinahe noch peinlicher als mein täglicher Blick in den ähm… Blick, ist mein Klick in die Gruppe. Ihr wisst schon welche.
Nein, heute schreibe ich nicht über Sonnenuntergänge, obwohl ich in meiner Boshaftigkeit dem Kanton eine sieben-Tage-Sonnenfinsternis wünschen würde. Ich sehe es als gutes Zeichen, keine tiefer schürfenden Probleme zu haben, als mich wie Rumpelstilzchen über die Schaffhauser Landschafts- und Wetterfotografen zu ärgern.

Alles was nicht diesem Thema entspricht, löst einen veritablen Shitstorm aus. Jeder, der nicht Höneisen oder Scherrer heisst polarisiert mit seinen Beiträgen.

Fühlt sich jemand berufen vor einem Sturm zu wahren, geben sich die Mitglieder verbal aufs Dach, wie hoch der Reiat nun wirklich liegt.

Lässt jemand mit göttlicher Gesinnung auf dem Herrenacker Ballone gen Himmel steigen, hauen sich die Mitglieder die Rübe ein, weil nachher Ballonfetzen in der Natur liegen, Autofahrer seien Umweltverschmutzer und überhaupt sei dies mit den Silvesterraketen eine Riesensauerei.

Bemerkt einer, dass eines der stromgenerierenden Windräder in Beringen einen Flügel verloren hat, schreien die einen, dass diese sowieso die Landschaft verschandeln, während die ökologischen jene als Atom und Kohledreckskraftwerktstromverbraucher an den Pranger stellen.

Der Typ vom Wieslihof bemerkt, dass es wärmer wird, sofort hauen sich Sommerliebhaber und Schneefreudige aufs derbste die Hucke voll.

Gut, der Scharrer scheint es irgendwie zu brauchen. Obwohl er jedesmal einen Shitstorm provoziert, informiert er regelmässig über die Lidl-Öffnungszeiten in Gailingen.
Patriotische Einkäufer treffen auf Rappenspalter und die Hölle tut sich auf.

Scharrer doppelt noch nach, nicht nur, dass er knapp am Hungertod vorbei schrammt weil Lidl die einzige Nahrungsquelle ist, auch versperren die Lastwagen mit ihrem Warteraum noch die Autobahn nach Bargen. Kein Mensch verirrt sich einfach so auf Bargen, aber Hauptsache mal ordentlich Wind gemacht. Aus Prinzip.

Nun hoffe ich einfach, der Bernie vom Wieslihof kann nach 78 Kommentaren endlich sein Schnitzel essen gehen und, dass der Höneisen morgen irgendwo einen Sonnenaufgang findet. Die Zeichen stehen auf Nebel.

 

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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