Trittbrettfahrer

Beinahe, ich habe es beinahe geschafft. Stand schon auf dem Parkplatz, hatte beinahe den Schlüssel gezogen.

Kürzlich erhielt ich wieder einmal Gelegenheit im Fitnesscenter meines Vertrauens zu trainieren. Ein zweischneidiges Schwert, natürlich ist es toll einen italienischen Sportwagen zur Probe zu lenken, nur erscheint einem hernach sein eigen Vehikel wie ein Schuhkarton auf Rädern, mit einem Gartenstuhl als Fahrersitz, selbst gehäkelten Sicherheitsgurten und einem speichenlosen Topfdeckel als Lenkrad.
Sollte ich nun also wirklich diese Treppen hochsteigen, eintreten in diese langgezogene Halle, gefüllt mit lieblosen Maschinen der Ertüchtigung. Gewiss, wohl das neueste was Japan zu bieten hat, zweifelsohne, dem höchsten Anspruch an gesunde Bewegung entsprechend, alles hübsch plakatiert, beschriftet und auf Hochglanz poliert. Doch wo bleibt die Seele. Die Klientel wird kategorisch eingeteilt, vom Tagesbesucher über den Sommerschnäppchenjäger bis zum Langzeitkunden, gekennzeichnet durch unterschiedliche Armbändchen mit welchen man sich beim Antritt und Austritt zu identifizieren hat und wäre mit diesem Band der Schande noch nicht genug, werden Trainingspläne mit identischer, farblicher Kennzeichnung abgegeben, welche sorgsam von Maschine zu Maschine getragen werden.
Aufgrund der ein-Satz-neun-Wiederholungen-Philosophie – ob dir die Übung nun alles abverlangt hat oder nicht ist sekundär, dieser System ist ausgefeilt und wird durchgezogen – herrscht eine Betriebsamkeit und ein Gewusel, dass Paul Emsig, Nick und Anton vor Scham in ihren Ameisenbau zurückkriechen würden. Und wehe man wagt es nach einem Drei-Satz-Prinzip zu tranieren, die zugeworfenen Blicke decken das gesamte Spektrum von Verwundert bis Was-fällt-dir-ein ab und damit nicht genug, da auf einen Besucher fünf Instruktoren kommen, steht ein deutschstämmiger Herr in gestreifter Hose und weissem Jacket neben einem, bevor der erste Schweisstropfen aus den Poren quillt. Wer so trainiert, der kann die Übung nicht richtig machen und es widerspricht völlig der Philosophie, daher auch der Trainingsplan, welchen ich übrigens nachzuführen hätte…

Nach Vertrag steht mir eigentlich noch eine Planerweiterung zu, auf welche ich gerne verzichte. Es entspricht gewiss Dr. A. Vogels tiefsten Grundsätzen und den neuesten holländischen physiologischen Erkenntnissen, wenn ich an einem Gummibändchen so langsam ziehe, dass ich befürchten muss, es falle der alterungsbedingten Zerbröselung zum Opfer, bis ich die erste Wiederholung ausgeführt habe, aber wo bleibt der Spass dabei. Spass in Gänsefüsschen, wohl gemerkt, beschwerte ich mich schon seit eh und je, aber ist es nicht mit allem so, man weiss erst, dass Fitness auch Spass machen kann, wenn man im M-Fit in Zeitlupe unter den Augen von drei Instruktoren zu Mozarts kleiner Nachtmusik eine mittels fünfundzwanzig individuellen Einstellungsoptionen präparierte Maschine bewegt hat.

Relativ bald verzog ich mich in den Freihantelbereich, wobei die Ecke der Schande kaum als Bereich bezeichnet werden kann, zumal man während der Übung mit einem Fuss zwischen Frau Hubers gespreizten Schenkeln steht, welche eine komplexe Dehnübung an der Sprossenwand vollführt und seine Bewegungen mit dem Herrn Doktor Dummgesicht synchronisiert, welcher sich auf der Rückenbank hinter einem selbst verwirklicht. Inmitten dieser schlängelnden Bewegungen mit den Apothekergewichten platzt gewiss der gestreifte Instruktor rein und erklärt, man solle ruhig stehen. Würde man ja gern, aber dann verbeisst sich der Herr Doktor in meine Schulter und die Frau Huber wirft mir sexuelle Belästigung vor, obwohl mein Bedarf an ausgebeultem Spandex schon nach einem scheuen Blick gedeckt war.

Natürlich, man kann sich auch auf eine Hantelbank verziehen, nahezu neuwertig und gepolstert wie Tante Emmas TV-Sessel von Stressless, inklusive hämorrhoidenschmeichelnden Sitzdonut. Beim Versuch sich zu stabilisieren, schleift man mit dem Schuh über den frischgebonerten Parkett, wie Donald Duck beim Start auf der Flucht vor einem Gläubiger. Unterhalb des Sitzes ist ein Gestänge montiert, welches denn einzigen Zweck verfolgt, dass man die Kurzhanteln nicht mit Schwung auf Schulterhöhe katapultiert, es sei denn, ein geprelltes Schienbein ist einem kein zu hoher Preis. Gewiss kann man auch die Füsse darauf platzieren, ich habe es versucht und einen kleinen Eindruck gewonnen, gerade unter Zuhilfenahme meines Abbildes in der Spiegelwand, wie sich die Sitzhaltung einer Frau beim gynäkologischen Untersuch anfühlen muss.

Ganz grundsätzlich kann man wohl sagen, die Instruktoren sehen es nicht gerne, wenn die Kurzhanteln bewegt werden, es scheint mehr ein optisches Accessoires zu sein; Man gibt sich jugendlich frisch, man schreibt Fitness über die Tür, man will sich vom Physiocenter Alpenblick und Turnverein Silberfüchse abheben.

Dies alles schoss mir in Sekundenbruchteilen durch den Kopf, bevor ich mich versah, hatte ich den Rückwärtsgang eingelegt und brauste davon, als würde mir der Leibhaftige im Nacken sitzen.
Nun sitze ich einigermassen unbefriedigt hier, fühle wie mein Körper sich langsam zurückbildet, in einen um die Knochen schlabbernden Sack, gefüllt mit nutzlosem Gewebe, kalorienreduzierten Getränken und zuckerfreien Bonbons.
Was für ein Leben.

Dachte ich auch, als ich bei Herrn Hübeli einen jeglicher elektrotechnischer Physik widersprechenden Fehler suchte. Einmal mehr ein Problem der Verträglichkeit zwischen elektrischen Komponenten, obwohl sich die Hersteller in Fernost auf eine Norm geeinigt hatten. Aber mal ehrlich, würde ich etwas nach China verschiffen wäre es mir genau so lang und breit ob dies funktioniert oder nicht. Hauptsache billig, dann verkauft sich der Schund von selbst.
Sass ich auf dem Dachvorsprung, getragen von Frau Hübelis Beschwörungen nicht in ihr Blumenbeet zu rauschen, bekräftigt von Herrn Hübelis fachlichen Halbwissen und tauschte neue gegen neue Bauteile, bis sich zwei miteinander verstanden. Dies unter der Aufrechterhaltung der kompetenzwahrenden Fassade, nicht dass der gute Kunde den Eindruck hat, ich wüsse nicht was ich da oben zaubere und zu guter Letzt noch die Rechnung geschenkt erhält.
Arbeit hat noch nie sonderlich Spass gemacht, mittlerweile widert es mich nur noch an und die Ausschreibung auf der kantonalen Stellenbörse für den Posten eines Strassenkehrers gewinnt täglich etwas an Reiz.

Man stelle es sich nur mal vor. Wische den Laubhaufen von A nach B, lade ihn auf ein kleines Kommunalfahrzeug, tuckerle mit dreissig Stundenkilometer zur Müllhalde, kippe ihn aus, ziehe einen Kaffee am Automaten, tuckerle mit dreissig Stundenkilometer zurück zum zweiten Laubhaufen und so es noch nicht sechzehn Uhr ist lade ich diesen auch noch auf. Wir wollen nicht vergessen, ich muss mit dem Kommunalfahrzeug mit dreissig Stundenkilometern noch zum Bauamt zurückfahren, es parkieren, den Schlüssel aufhängen, den Besen versorgen und ganz wichtig, punkt siebzehn Uhr das Bauamt verlassen.
Morgen würde ich etwas früher beginnen, morgen wäre die Müllabfuhr.
Ich würde hinten auf einen Lastwagen stehen, wann immer dieser hält absteigen, ein paar schwarze Säcke in die Presse werfen, wieder auf das Trittbrett hopsen und zwanzig Meter fahren. Mit der Buchenstrasse würden wir dann nach der Brotzeit weitermachen und weil ich so früh begonnen habe, in den Genuss der Spätnacht-Frühmorgenschicht-Regelung komme, würde ich schon um zwölf Feierabend machen und gewiss noch eine Spätnacht-Frühmorgenschicht-Zulage erhalten.
Also gehe ich um zwölf nach Hause, eine Handy hätte ich keines, weil keiner nach Dienstschluss Max den Müllmann sucht und einen Pikettdienst für Kompost gäbe es auch nicht.
Solange ich die schwarzen Säcke am Mittwoch und die grünen Säcke am Freitag aufhebe, meine Schaufel immer schön versorge und das dreissig-Stundenkilometer-Kommunalfahrzeug nicht kaputt mache, gäbe es keinen Grund zur Rüge, einen dreizehnten Monatslohn und ich könnte mich in der Gewissheit einer krisensicheren Anstellung wohlbehütet zu meiner wohlgefühlten Pensionskassentruhe tragen lassen.

Vielleicht macht man sich das Leben manchmal einfach zu schwer.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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