Über’s Wasser gehen

Abgesehen von lastwagenlenkenden Ziegenhirten, dafür können die Briten ja nichts, ist England schon ganz hübsch.
Vor der Fahrt auf der Fähre war ich schon etwas nervös. Weniger des Wellengangs, als der ganzen Logistik wegen, bis mein Wagen und ich auf dem Kutter stehen würden.

Dementsprechend hielt ich es für weise, mich des Abends vorher schon in Calais niederzulassen. Ich konzentrierte mich eher auf die Nähe zum Hafen, als mein Augenmerk auf die Sterne der Unterkunft zu richten.
Ob die wacklige Holzpforte der offizielle Eingang war brachte ich nicht in Erfahrung, aber der herumlungernde, rauchende Koch und die Servicekraft machten jedenfalls keine Anstalten, mich am eintreten zu hindern. Durch einen schummrigen Flur folgte ich dem Fischgeruch, trat durch eine fleckige Tür über welligen Linoleum und stand vor einer Art Theke. Fischköpfe auf Pappteller, diverse Ordner und lose Papiere, dahinter ein unscheinbares Männchen, welches hektisch auf französisch in sein Telefon bellte und mich durch eine Handbewegung entweder des Platzes verweisen wollte oder warten hiess. Es war acht Uhr abends, ich brauchte ein Bett, also wartete ich.
Mit meiner Kreditkarte, welche ich bei der Buchung angegeben hatte, sei was nicht in Ordnung, meinte er, als ich seine Aufmerksamkeit hatte.
Freitags vor den Ferien war meine Geldbörse wie vom Erdboden verschluckt und in der todsicheren Gewissheit, Opfer eines böswilligen Diebstahls geworden zu sein, liess ich alle meine Bank- und Kreditkarten sperren.

Für diese Fälle erhält man von der Firma Viseca einen Notfallzettel mit der Nummer der Karte und einer 24/7 Notfallnummer zum sperren derselbigen. Nur, wo bewahrt man diese Zettel auf? Natürlich in der Geldbörse. Da einem jedoch kaum ein Spitzbube nach dem entwenden selbiger diesen Zettel wieder zukommen lässt, ist der Zettel so sinnvoll, wie der Wohnungsersatzschlüssel, welcher in der heimischen Küchenschublade liegt.
Gibts ne App für, die Nummer ist kein Problem. Um sicher zu gehen ob man auch wirklich der Eigner der Karte ist, stellt einem der Seelsorger an der Hotline diverse Fragen, in etwa, wo man zuletzt eingekauft hatte. Könnte unter Umständen noch peinlich sein. Nun, ich sperrte erfolgreich alle Karten um kurz darauf mein Portemonnaie wieder zu finden. Mit 23 Franken Bargeld.
Etwas knapp um nach England zu reisen.
Ein Fuchs, wie ich einer bin, hat eine Notfallkreditkarte in der Hinterhand und da ich im Ausland unterwegs war, lief ich auch nicht Gefahr, wegen des Aufdrucks ‚Supercard‘ ausgelacht zu werden.

Diese Supercard-Visa reichte ich nun dem Männchen hinter dem Tresen, worauf er mir einen Ziegelstein mit angehängtem Zimmerschlüssel reichte.
Zehn Stunden vorher verliess ich das Hotel New York in Paris, beladen mit sämtlichen Duschartikeln, Schreiber, Briefpapier, Handtüchern, einem Lampenschirm, dem Bügeleisen; Was einem eben so in die Tasche fällt, speziell wenn die Kreditkarte gesperrt ist, welche bei der Hotelbuchung als Rückversicherung hinterlegt war.hotel-new-yorkhotel-new-york-suitehotel-new-york-suite-2Nun trat ich ein in eine Besenkammer, mit einem Doppelbett und einem Einzelbett. In der Befürchtung, es werden noch mehrere Leute einquartiert, klemmte ich einen Stuhl unter die Türklinke. Im Fernsehen hatte ich wohl einige deutsche Kanäle, aufgrund des Sturmes an der Küste, ich tippte auf Satellitenempfang, dominierte die Meldung ‚No signal‘ oder ich konnte in abgehackten Fetzen dem Herrn Zwegat folgen, welcher soeben
Hartz IV-Empfänger aus der Schuldenfalle rettete.
Ich musste dem Etablissement zugute halten, dass ein Rest Gummiboden von der Rezeption seinen Weg auch in das Zimmer gefunden hatte, vermittelt dieser einem zumindest das Gefühl, dass man die Unterkunft mit einer überschaubaren Anzahl von Parasiten teilt.
Kurz überlegte ich, meinen Schlafsack im Auto zu holen, entschloss mich dann aus Gründen der Faulheit dagegen und gönnte mir eine Dusche.
Erst etwas gehemmt, da war weder Duschwand noch ein Vorhang welcher einer Überflutung des Badezimmers Einhalt geboten hätte, entschied dann aber in meiner Sorglosigkeit, dass dies nicht mein Problem wäre. Allerdings musste man sich schon anstrengen, das Wasser träufelte so sparsam aus dem Duschkopf, dass ich mich auch bei längerem Aufenthalt unter dem Strahl kaum vollständig benetzen konnte und die ganze Aktion einer Katzenwäsche glich.

Durch die fehlende Klimaanlage herrschte eine drückende Hitze in dem Zimmer, glücklicherweise war das Gebäude sehr durchzugfreudig. Mit dem Aufstemmen des Fensters hörte ich diverse Türen zu schlagen, gedämpfte Flüche drangen herauf und die Staubfusel glitten nahezu geordnet unter der Tür durch in den Flur. Da befand sich eine ordentliche Lücke, vielleicht ursprünglich für eine Schwelle gedacht.

Das Frühstück bestand aus halben Baguettes, etwas angeschmolzener Butter und einer Auswahl an Brotaufstrichen. Marmelade, Honig und Nutella. Unter Umständen hätten sich unter den Fliegen noch Fleischwaren befunden, ich verzichtete grosszügig.
Für sieben Euro fünfzig – wenn ich das Gefühl habe, etwas überbezahlt zu haben, und dies kommt beileibe selten vor, kann ich mich genau an den Betrag erinnern – labte ich mich an braunem, handwarmen Wasser, Baguettes und kristallisiertem Honig.

Also, bevor ich mich wieder mit sowas einlasse, stelle ich lieber mein Zelt auf einem Rastplatz auf.

Die SMS der P&O-Fährenbetreiber bezüglich eines Streiks der britischen Zöllner war wohl etwas übereilt, somit stand ich 90 min zu früh in der Verladespur. Natürlich Priority, soviel Luxus muss sein. Ich hatte keine Lust in Dover zu warten, bis Opa Helmuth seinen Reisehut aufgesetzt, den Koffer auf das Deck gekippt hat um den Ersatzschlüssel für seinen Opel Astra zu finden, weil er den anderen in den 24 Taschen seiner Jack Wolfskin-Reisehose verloren hat und so er dann endlich mit schleifender Kupplung und heulendem Motor bereit zur Abfahrt wäre, feststellt, dass er seine Trudi auf einer der 9 Toiletten der Fähre hat sitzen lassen, als sie ihn hiess im Duty-Free-Shop Feuchttücher zu kaufen und er an der Bar vergessen hatte was er eigentlich wollte und auf diesen Schreck hin erstmals ein Bier genehmigte.faehreSeht ihr ihn? Den zweitvordersten, gleich neben dem Laster.

Ja, das Wetter war eher stürmisch, meine Bewunderung für die Brummifahrer, welche in Adiletten auf das Oberdeck schlurften und schon vor dem Ablegen eine Dose Bier vernichteten. Morgens um halb zehn. Solange der Kutter noch im Hafen lag fühlte ich mich wie Admiral Nelson, so schlimm ist dies gar nicht, trotz der Wellen.
Etwas später, irgendwo auf dem Ärmelkanal versuchte ich das Mineral auf dem Tisch und den Blaubeer-Muffin im Magen zu behalten. Ich dachte nicht direkt ’nie mehr‘, aber hatte es mir doch lustiger vorgestellt.
Ich begann zu spazieren, Deck rauf, Deck runter, Backbord zu Steuerbord, Bug zu Heck und etwa in der Mitte des Kanals hatte ich mich an die stetige Bewegung gewöhnt. Zu guter Letzt fand ich es direkt einlullend und nickte auf einem hübschen, grossen Sofa ein, bis eine Stimme verkündete, der Shop würde geschlossen und man solle sich zu den Fahrzeugen begeben.

Mit dem Linksverkehr ist es nicht so schlimm, wie man denken mag. Bis auf die Kreisel. Und die Engländer lieben ihre Roundabout, am liebsten alle 5 Meilen eines und nach Möglichkeit zweispurig. Was man betonen muss, im Gegensatz zur Schweiz laufen diese flüssig, beinahe zu schnell, man traut sich kaum bei der Einfahrt einen Sicherheitsstop einzulegen. Aber dies hat wohl damit zu tun, dass der Engländer im Strassenverkehr grundsätzlich zügig unterwegs ist. Überland, ich habe mich mittlerweile erkundigt, sind 60 Meilen, 96 km/h, gestattet und wenn man mit 110 km/h fährt provoziert man keine wagemutigen Überholmanöver und alle sind glücklich. Inklusive der spärlichen Polizeipräsenz auf der Strasse.
Mit den Meilen tat ich mich etwas schwer, so interpretierte ich bisweilen eine blinkende ’40‘ Tafel falsch und sorgte für Stau, wie auch die Distanzangaben, welche mit meinem Tomtom so gar nicht übereinstimmten. Aber man hatte ja Urlaub, dies kann man gelassen sehen.
Langweilig wird einem nie. Obwohl man mit 110 über die Landstrassen brettert, muss man sich stets Gewahr sein, dass ein Traktor in selbige einbiegt und diese fahren auch auf der Insel nicht schneller als bei uns. Auch die doppelspurigen Linien sind nicht allzu verbindlich, da wird überholt, abgebogen und gewendet, der Adrenalinspiegel wird permanent hoch gehalten.

Und so machte ich mich auf nach Wales.
Etwas verkrampft, aufgrund der Mautpflichtigen Severn-Brücke, welche England mit Wales verbindet. Nicht, dass mich die 6.40 £ gereut hätten, es war eher eine Herausforderung physischer Natur. Wie bezahlt man eine Maut, wenn der Eintreiber auf der Beifahrerseite selbige in Empfang nehmen will. Und selbstverständlich auf Höhe Dachreling, dies ist ein PKW-LKW-Kompromiss. Also zog ich von Swindon nach Gloucestershire hoch um dort elegant oberhalb zu queren, stand eine Stunde im Stau und tuckerte danach sehr zufrieden mir selbst, mich so elegant aus der Affäre gezogen zu haben, wieder nach Süden, um in Bristol festzustellen, dass ich irgendwo eine Ausfahrt verpasst habe.routeNur so lernt man das Land kennen.
Erst noch über Opa Helmuth gespottet stehe ich an der Mautstation im Feierabendverkehr, schalte den Motor aus, krabble auf den Beifahrersitz, verheddere mich im Ladekabel des TomTom, schürfe mir heftig den Ellbogen am Sitzpolster und entrichte den Brückenzoll. Mit aller Zeit der Welt klaubt der Mautmann das Wechselgeld aus der Kasse, reicht es mir und ich krabble zurück und starte den Motor wieder.
Geht schon, man muss nur wollen.severn-bridgeBrückenzoll entrichten übrigens nur die Engländer, wer von Wales nach England will fährt kostenlos.

Two lands at last connected
Across the waters wide,
And all the tolls collected
On the English side.

Der anglo-walisische Dichter Harri Webb (1920-1994)

Ich brauchte einige Zeit um festzustellen, dass ‚milltir‘ nichts mit der Armee gemein hat sondern für Meilen stand, ‚araf‘ kein arabischer Ausdruck war, sondern bedeutet, dass ich langsam fahren soll und unter den Ortsbezeichnungen schon die Englische versteckt ist, wenn man sich nur etwas Zeit nimmt zum suchen. Während man eher noch etwas schneller auf eher etwas noch schmaleren Strassen daherbraust.

Aber ich erreichte Fishguard. Abergwaun, meine ich.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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