Überspitzte Dramen im Mittelmeer

Gestern wurde wurde ich von einem bulgarische Lastwagenlenker, offensichtlich dem morgendlichen winterthurer Verkehrschaos nicht gewachsen, regelrecht abgeschossen.
Kurze Sache, Auto ging in Flammen auf, Affe tot.

Natürlich nicht.
Aber es drängt mich, wieder einmal einige kritische Zeilen zu verfassen, in Kauf nehmend etwas zu polarisieren.

Morgens drängen die Arbeitswütigen in ihre Büros. Flink die Spur wechselnd, drängelnd und zwängend.
Abends flitzen die Heimwehgetriebenen durch das Oberland und über die A1. Zwängend und drängelnd, flink die Spur wechselnd.Mittendrin meine Wenigkeit. Ausweichend, stets bemüht einen arbeitswegbedingten Kollateralschaden zu vermeiden.

Was nimmt der Typ auch diese Tortur auf sich?
Um zu überleben.

Nicht zwei wie der Volksmund glaubt, nein, mittlerweile sind es vier Stunden. Ein Arbeitsweg, welcher als zumutbar gilt. Das RAV zwingt einem nicht den Arbeitsweg auf sich zu nehmen. Man kann auch verweigern. Der Geldfluss wird daraufhin eingestellt, der Arbeitsverweigerer motiviert, alternative Verpflegungsmethoden und ein kostenloses Dach über dem Kopf zu organisieren.

Spitzen wir die Lage noch ein wenig zu.
Die zwei Stunden für eine Strecke erlauben mir nicht, auf die öffentlichen Verkehrsmittel auszuweichen, da mir die ÖV schlichtweg keine Möglichkeit bieten um sieben Uhr in Pfupfingen zu sein.
Der Arbeitgeber besteht auf 90 Minuten Mittagspause und 8,5 Stunden Arbeitstag. Die Leistung von Überstunden kann angeordnet werden. Alles legal und durchaus üblich. Es ergibt sich ein vierzehn Stunden Arbeitstag. Im Idealfall. Da sind noch keine Einkäufe getätigt und der Haushalt macht sich nicht von alleine. Fürsorgliche HR legen wert auf eine aktives Sozialleben. Work-Life-Balance, nennt sich dies.
Somit turne ich in der Männerriege und trage für Benevol alten Damen die Migros-Taschen nach Hause. Auch mein Tag hat nur 24 Stunden, es geht zwangsläufig an der Schlafenszeit ab. Chronisch übermüdet setze ich mich ans Steuer, lenke den Wagen durch den Berufsverkehr, welcher mich massiv überfordert. Ständig Angst im Nacken, mein alter Datsun gibt den Geist auf und beraubt mich der Möglichkeit, meiner Arbeit nachzugehen. Das RAV würde mir mangelndes Engagement unterstellen. Und Taggeld streichen.
Ein Umzug ist nicht möglich, da der halbe Monatslohn für Treibstoff und auswärtige Verpflegung flöten geht. Da bleibt nicht viel über und zu allem Überdruss wurden die Pendlerabzüge noch limitiert. Keine Steuergeschenke für raffgierige Pendler stand in grossen Lettern der Tageszeitung. ‚…arbeiten nur des Geldes wegen in auswärtigen Kantonen…‘ ’sollen nicht belohnt werden…‘ entziffere ich noch durch das Gitter des Mülleimers.

Und dann, dieser eine Mittwoch Morgen. Als der LKW den Datsun unter sich begrub.
Die Steuererklärung habe ich noch eingereicht, zahlen werde ich nicht mehr müssen. Betrachte die ganze Sache nun von oben.

Wen zieht man zur Rechenschaft? Meinen Arbeitgeber? Das RAV? Die Regierung?
Mitnichten.
Der Bulgare wird wohl eine Busse erhalten. Wer jemanden unter Zuhilfenahme eines Fahrzeugs um die Ecke bringt, hat die geringsten Konsequenzen zu fürchten.
Es wir darauf hinauslaufen, dass mein Datsun wohl jeglichen Gesetzen des Strassenverkehrs widersprochen hat. Nur deswegen war der Unfall tödlich. Ich habe den Datsun todmüde gelenkt. Fahruntauglich. Nur deswegen passierte der Unfall überhaupt. Einen Tag nach dem Foto des Leserreporters von 20min interessiert die verkohlte Leiche kein Schwein mehr, der Ärger der Automobilisten, Mittwochs zu spät zur Arbeit gekommen zu sein hält länger.

Kann man so unterschreiben, oder?

Zwischen Afrika und Italien schwimmt ein Schiff.
Ein alter Kutter, wohl noch knapp schwimmfähig. Der Kapitän skrupellos, korrupt und im allgemeinen fahruntauglich.
Der Kahn voller Menschen auf der Flucht. Vor allem junge Menschen. Auf der Flucht vor Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit, Korruption und Armut.

Der Kahn säuft ab. Affe tot.

Unsere Bundespräsidentin stellt alles und jeden an den Pranger. Die EU hat versprochen und nie gehalten, jetzt wäre aber höchste Eisenbahn.
Amnesty International fordert, dass Europa für alle geöffnet werde. Das UNHCR prustet ins selbe Horn und erwartet, dass Europa die Flüchtlinge in Afrika aufgreift und nach Europa bringt. Und zwar sicher. Und sofort! Lieber gestern als morgen. Afrikanische Medien bezeichnen unsere Region als „die Festung Europa“ und betiteln deren Bewohner als „Hartherzig“.

Ich bin zutiefst überzeugt; Diesen Missstand zu beheben ist kein Aufwand zu gross und sind keine Kosten zu hoch.

Der zivilisierte Abendländer hat aufgrund seines Wohlstandes die Fähigkeit verloren, Dinge in einer vernünftigen Relation zu sehen.
Im Zuge des Bestrebens, stets in der Ferne die Ärmsten der Armen zu suchen, sich durch schöne Worte und generöse Geschenke in der ureigenen Gönnerhaftigkeit in den weltlichen Schein zu stellen, vergisst Frau und Herr Schweizer vor die Tür zu treten und den Blick über die Seinen schweifen zu lassen.

 

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
Dieser Beitrag wurde unter He works hard for the money, Kurz nachgedacht, Vom Leben und gelebt werden veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.