Unterwegs in sozialen Netzwerken

Wer hat am Sonntag Morgen Sternstunde Philosophie geguckt? Natürlich niemand, wer sieht am Sonntag Morgen fern, abgesehen von senilen Bettflüchtigen um fünf Uhr in der Früh, welche bei Bill Cosby hängenbleiben und die digitalen Bekanntschaften in sozialen Netzwerken mit unglaublich komischen Insiderwitzen beglücken, welche kein Schwein versteht, so man die achtziger Jahre nicht komplett vor der Mattscheibe verbracht hat.

Harald Schmidt wurde geladen und von Charles Lewinsky interviewt. Charles Lewinksy, dies ist der Texter von Maja Brunners „Das chunt eus spanisch vor“ oder der Autor von solch erfolgreicher und unglaublich witziger Serien wie „Fascht e Familie“ oder „Fertig lustig“.
Dem Schweizer zwanzig-Uhr-fünfzehn-Publikum kann man so etwas schon unterschieben, die lachten sich auch zehn Jahre lang über die abgedroschenen Gags der Friends in Benissimo scheckig, aber wenn er gegenüber einem Harald Schmidt bemerkt, und es sei ihm in keiner Weise unangenehm, dass sein Wiedererkennungswert auf dieser Sitcom beruhe und sich damit auf dieselbe Stufe wie Schmidteinander stellt, sogenannte ‚Leidenspartner‘, fühlt man sich schon etwas peinlich berührt.
Ich will nicht sagen, dass Lewinsky den Biolek vom Thron der Peinlichkeit gestossen hat – dieser wurde ja, die älteren erinnern sich, im Jahre 2002 auserkoren, als erster deutscher ‚Talkmaster‘ das erste Interview im deutschsprachigen Fernsehen mit einer gewissen Britney Spears zu führen, Pop-Prinzessin trifft auf einen herrlich unvorbereiteten Medien-Kunsthochschul-Dozenten – aber während Harald Schmidt Steilpässe lieferte um eine gehobene, zynische Diskussion zu führen, blieb Lewinsky dem Drehbuch treu, mit Stock im Anus und Zeigefinger an der Nase hielt er das Sternstunde Philosophie-Konzept hoch.

Mitgenommen habe ich die Erkenntnis, dass ich ein Toter-Mutti-Autor bin.
Ein Toter-Mutti-Autor hat keine speziellen Talente, im Leben nicht viel erreicht und versucht sich nun im Schreiben. Basierend auf mangelnder Fantasie und Ideenlosigkeit, gekreuzt mit der Faulheit investigativen Journalismus zu betreiben führt er nun die Feder und beschreibt die letzte Zeit mit der serbelnden Mutter. Oder berichtet über Patchworkfamilie. Oder den Hausfrauenalltag.
Solche Literatur landet auf der Bestsellerliste. Doch was sagt eine Bestsellerliste schon aus; Bietet Coop Gänseleber und Kaviar aus der Deluxe-Serie feil, 195 Franken das Bundle, oder Pizza Hawaii im Vorteilspack von 4 Stück für 3.85, was würde wohl auf der Bestsellerliste landen?
Nichts desto trotz werde ich meine Drohung wahrmachen, es ist der reine Geltungsdrang und die unverhohlene Geldgier. Mein Tote-Mutti-Buch wird erscheinen.

Das soziale Netzwerk kann auf die Dauer ziemlich eintönig werden. Wie so oft im Leben, steht der Enddreissiger etwas im faulen Rank, wie man so hübsch sagt. Die Freundesliste setzt sich aus gleichaltrigen zusammen und entweder gratuliert man zum Kind Nummer vier, liked das Familie-am-Strand-Foto Nummer 238 welches sich von der 56 nur darin unterscheidet, dass das Eimerchen des Kleinsten diese Saison grün ist, oder beschäftigt sich mit dem bewirtschaften einer Farm und verschenkt virtuelles Nutzvieh an Freunde und Bekannte.
Es fehlen die peinlichen Fotos von letzter Nacht, Beziehungen werden nicht mehr im Tagesrythmus von „sooo unglaublich happy“ zu „es ist kompliziert“ und wieder zu „verlobt“ gewechselt, die Bodenständigkeit präsentiert sich über Pärchen-Selfie vor dem Eiffelturm zu Selfie in San Francisco und der bissigste Kommentar ist „ihr seit aber auch immer auf Reisen“ garniert mit fünf Smileys, wovon drei mit den Augen zwinkern, dass man es aber auch keinesfalls in den falschen Hals kriegt.

Die gesetztere Generation hat das Internet entdeckt, nimmt langsam überhand und eine Nostalgie hält Einzug. Die Gruppe ‚Du bist ein Schaffhauser/in wenn du…‘ könnte umbenannt werden in ‚Hans-Rudolf Widmers alte Fotokiste‘, ‚Sie mal in welchem Haus ich gezeugt wurde…‘ oder eine ‚Fotostory über jeden beschissenen Brunnen zwischen Beggingen und Stein am Rhein mit Schwenker über Opfertshofen‘.
Bisweilen durchaus unterhaltsam „Sie mal, mein Handy macht auch Fotos“ und eine mit dem Daumen versehentlich halb zensierte Fotografie eines Hundes, welcher sich unter einer Tanne erleichtert, gefolgt von einem „Ups, das wollte ich nicht hochladen, kann man auch wieder löschen?“, von Chrigi  und Franziska geliket, mit einer „Wieso, isch doch lustig“-Note versehen und weiter gehts mit dem Bahnübergang 768, Nebengleis 34, Stellwerk 356 und der Anmerkung, ich wäre nur ein Schaffhauser, wenn ich wüsste, in welchem Chrachen und aus welchem voyeuristischen Spannerhochsitz dieses Foto auf die Chipkarte gebannt wurde.
Wesentlich unterhaltsamer ist da die Gruppe Schaffhauser Flohmi.

„Mini Mause trener grösse 3 Jahre bi dä Hose fählt es schnuerr suscht isch es wie neu 20 Fr“.

Für meine Gäste aus dem grossen Kanton, da versucht eine Dame mit unaussprechlichem vierfach-Namen mittels einer Fotografie eines Kleidungsstücks auf einem fleckigen Sofa einen Trainingsanzug mit Minnie-Maus-Motiv zu verkaufen. Das gute Stück hat entweder die Grösse 3 oder ist 3 Jahre alt, da muss ich passen. Die Hose sollte mittels Schnur gehalten werden, welche bei diesem Exemplar fehlt, aber ansonsten ist das gute Stück tiptop im Schuss, praktisch fabrikneu. Für 20 Franken.
Man darf nicht heikel sein, wenn man ein Paar 2-jährige UGG-Boots ersteigern will. Ihr wisst, dies sind diese fellgefütterten Winterstiefel, welche der attraktivsten Frau diesen gewissen Chic von Hartz IV verleihen.ugg-boots Gewiss, Babysachen müssen irgendwann raus und es ist gewiss nicht verkehrt, wenn man diese in einen Flohmi stellt…milchpumpe…aber ich frage mich, ob man hier nicht eine Grenze überschreitet.
Es fehlt mir die Erfahrung, ich weiss nicht ob Frau eine gebrauchte Milchpumpe kauft, ich würde jedoch gewiss nicht wollen, dass meine Frau ihre Hupensauger bei facebook feil bietet. Aber vielleicht bin ich auch etwas zart besaitet.
Jeder Bild scheint seine Geschichte zu erzählen. Eine tragische, wenn jemand 32 Kilogramm Katzenstreu und einen Jahresvorrat Whiskas abgibt, eine mysteriöse, wenn einer seinen VW fürn Appel und n’Ei feil bietet, das Teil aber noch heute von der Bildfläche verschwinden muss und die Storys, welche man sich nicht auszumalen vermag, wenn ein in die Jahre gekommener Vamp um die 50 Lenzen Lack-Corsagen in der Grösse 48 und Overknee-Stiefel anbietet. Selbstverständlich mit unzähligen Selfies in besagter Reizwäsche.
Aber ich will sie nicht missen, die Bilder von nackten Männern, welche das spiegelnde Teeservice ablichten, verschwummene Bilder einer Wohnwand ‚verkaufe DVD, 5 Franken das Stück‘ oder die Kommentare.

„Will ich kaufen“
„Schick mir PN“
„Was ist PN“
„Nachricht“
„Hab ich ja“
„Nein, persönliche Nachricht“
„Welche Adresse?“
„Nein hier, in facebook“
„Geht nicht“
„Doch, oben beim Namen“
„Was schickst du mir eine Freundschaftsanfrage?“
„Sorry, wollte Nachricht“
„Neben der Anfrage“
„Geht immer Computer aus, wenn ich klicke“
„Wie machen wir es also?“
„Weiss wo du wohnst“
„Hey was willst du?!?“
„Deine Wohnwand“
„Dann figg mich nicht an!“…

Ich glaube, das könnte der Beginn einer wunderbaren Blog-Serie werden…

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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