Vierdaagse Nijmegen, erster Marsch

Erster Marschtag und erste 4-daagse-Erfahrung überhaupt

Eine Welle Perskindol wabert durch das Zelt. Mit ungelenken Schritten gehen Männer über das Gelände. In sportlicher Funktionswäsche, die Naht nach aussen, ein Hauch Eau de Schweiss hängt ihnen an. Oder sie sitzen vor der Unterkunft auf einer Bierbank, die Füsse in einem Kunststoffbecken, einen verklärten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Bandagen lösen sich von den Füssen, schaukeln im eiskalten Wasser, hier und da geht ein Fetzen Haut mit.
Das Antlitz, von Schmerz verzerrt, glättet sich unter wohligen Schauern der Befriedigung.fuss

Dies sind keine Blasen, so nebenbei. Gegen die Blasen klebt man sich elastische Binden an den gefährdeten Stellen an den Fuss. Ersetzt die berühmte zweite Socke, mit welcher es bei 80% Luftfeuchtigkeit im Schuh zu heiss werden würde. Eine 50:50-Chance. Entweder schützen sie wirklich, oder es bildet sich eine Blase und man reisst sie und die umliegende Haut mit dem Tape vom Fuss. Ich verzichte auf Bilder.

Der erste Tag ist durch. Um einen Oliver Stone-Film zu zitieren „Jemand hat einmal gesagt, Krieg ist die Abwesenheit von Vernunft“. Charlie Sheen hat sich geirrt, die Teilnahme am 4-daagse scheint jedem Verständnis von Vernunft zu widersprechen.
Wäre da nicht dieser gewisse Zauber.

Auf die Sekunde um 05:15 starteten wir vor unserem Zelt. Um drei Minuten später für 20 Minuten in der Warteschleife zu stehen. Mit Blick in das hell erleuchtete, leere Frühstückszelt, dessen Besuch für den Grossteil der Marschierer mit dem Zeitmanagement nicht zu vereinbaren war. Glücklicherweise versorgte uns der Schweizer Kiosk mit erlesenem Kaffee.
Die Ansprache war in den hinteren Rängen nicht zu hören, ich könnte noch nicht einmal die Sprache benennen, doch jemand schien die richtigen Worte gewählt zu haben, wir durften den Weg unter die Stiefel nehmen.

Bereits vor sechs Uhr sitzen Zuschauer auf Klappstühlen in Einfahrten und auf dem Gehsteig. Noch etwas verhaltener Jubel schallt zu beinahe nachtschlafener Stunde durch Nijmegen. Je näher wir dem Zentrum kommen, desto zahlreicher die Zuschauer. Hier mit einem Kaffee, dort bereits ein kühles Bier und manch einer drehte sich in Seelenruhe eine lustige Zigarette.
Die Militärs starten gesondert, wir müssen erst vom Camp auf die Strecke gehen. Dies sind zwei Kilometer, welche verhältnismässig still absolviert werden.
Als der Weg der Gruppenläufer mit den Einzelpersonen zusammengeführt wird, laufen wir Tribünen entlang und werden frenetisch angefeuert. Es wirkt beinahe surreal, wir laufen nicht für einen höheren Zweck sondern nur… ja für was denn nun. Die Gründe sind vielfältig, bei manchen ändern sie auch stündlich. Bei meiner Wenigkeit in etwa. Poetisch könnte ich nun ausdrücken, ich laufe für den Moment. Realistischer würde ich sagen, kein Plan was ich hier mache, ich hielt es für eine gute Idee.

Gerne würde ich beschreiben, wo wir durchmarschierten, gewiss passierten wir die ein oder ander historisch wertvolle Brücke. In etwa wurde ‚Die Brücke von Arnheim‘ zum Teil in Nijmegen gedreht, für die Cineasten unter uns, und ich meinte, über diese passierten wir den Fluss. Da ich jedoch während des Marsches keine Hand für Notizen frei hatte und Google hier nur begrenzt zur Verfügung steht, verzeiht mir mangelnde Recherchen zum Verlauf des Weges.

Es sind wenige Teilstücke, welche man alleine geht. Also alleine in der Gruppe, versteht sich. Stets führt einem die Route wieder durch kleine Dörfer oder präziser, Festhütten. Es fühlt sich an wie die Street Parade und wir sind die Love-Mobile. In grün, in korrektem Tenue. Nur eben ohne Musik. Diese kommt vom Strassenrand. Aus offenen Lastwagen-Hängern, von DJ-Pulten mit professioneller Akustikanlage oder einfach Papis Stereoanlage, welche zur Feier des Tages vor dem hübschen Klinkersteinhäuschen mit Reetdach steht und mit wummernden Bässen die Tulpen zittern lässt. Von Happy-Hardcore über Schlager bis hin zu Live-Blasmusik oder enthusiastisch gespielter Country-Musik fliegt uns alles um die Ohren.
Die Kilometer in Dörfer laufen sich beinahe von alleine, die Ablenkung ist eine wunderprächtige Erfahrung. Und vor allem diese unglaubliche Gastfreundschaft der Einwohner. In Reih und Glied stehen Kinder am Strassenrand mit Tupperware und Tellern voller Leckereien. Gesunde Gurken, Gratis-Muffins, allerlei Gebäck, Getränke, tonnenweise Bonbons und Süsswaren. Würden wir beim marschieren nicht onehin mehrere Tausend Kilokalorien verbrennen, wir würden kugelrund nach Hause kehren. Dazu kommt, dass wir leider nicht in alle Schüsseln greifen können, weil wir so nebenbei noch marschieren sollen. Die Kinder dauern mich bisweilen ein wenig, wenn sie uns freudestrahlend verköstigen möchten und wir das Angebot verschmähen.
Wenn sie keine Naschereien anbieten, sind sie bereits glücklich, mit den vorbeiziehenden Soldaten abzuklatschen. Ich habe heute mehr Hände abgeklatscht, als ich in den letzten dreissig Jahren geschüttelt habe. Manchmal kommt auch die Frage nach einem Souvenir, weswegen wir die Taschen voller Zeughausschrott mitschleppen, wie alte Patten und Spiegel.

Nebst diesen sehr schönen Eindrücken war der Marsch eine Tortour. Dreissig Grad herrschten vor und wir marschierten grösstenteils in der prallen Sonne, da sich die Gegend nicht durch grosse Bewaldung hervortut. Die Füsse brannten regelrecht in den Schuhen. Entlang des Weges, bisweilen auch über den Weg, waren in Eigeninitiative der Zuschauer Sprinkler und Rasensprenger angebracht, welche kurzweilig für Abkühlung sorgten. Mancher kippte sich hin und wieder eine Flasche Wasser über das Haupt und vermochte den TAZ für fünf Minuten zu nässen.
Wir legten drei Pausen à 10 Minuten und eine à 15 Minuten ein. Dazu warteten alle fünf Kilometer unsere radfahrenden Betreuer zum fliegenden Bidon-Wechsel. Gleichzeitig nutzten sie die Gelegenheit, Früchte und salzhaltige Speisen durchzureichen.
Ohne dieses Betreuerteam wäre dies nicht zu handeln. Ich vermag nicht zu sagen, wieviel Wasser wir vertilgt haben, aber dieses zusätzlich in die 10-Kilogramm-Packung zu laden wäre ein Ding der Unmöglichkeit.

Im Camp empfing uns Frau Brigadier S. Persönlich, mit Händedruck und dies erlebt man nun auch nicht alle Tage. Wobei ich die werte Dame bereits zweimal treffen durfte, ich hoffe die Gelegenheit auch einmal in korrektem Tenue wahrnehmen zu dürfen. Vor zwei Tagen in Shorts und Adiletten, heute mit offenem Hosenstall und Isostar-Flasche in der Hand. Doch Frau Brigadier S. besticht nicht zuletzt durch eine herzliche Offenheit, was wohl auch daher rührt, dass sie die 4-daagse bereits mehrer Male absolvierte und es sich auch heute nicht nehmen liess, beinahe jede Marschdelegation ein Stück zu begleiten. Diese Erfahrung liess sie auch heute erkennen, dass einige Teilnehmer die Anzeichen einer Dehydration aufwiesen.
Durch Anraten des Truppenarztes wurde nun das Tragen der Mütze sowie die regelmässige Aufnahme von Wasser befohlen, des weiteren erliess unser Gruppenchef die Anweisung, dass die Marschteilnehmer sich gegenseitig kontrollieren und allenfalls zum trinken ermuntern sollen. Was am Abend funktioniert, sollte auch während des Marsches…

Morgen Mittwoch knacken wir die 30 Grad-Grenze deutlich. Challange Accepted.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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