Wenn der Schlips das Uhrwerk verklemmt

Gelegentlich fühle ich mich schon etwas fehl am Platz.
So auch bei Cüpli-Veranstaltungen wie einem Schnittstellenforum. Da treffen sich Vertreter der lokalen Wirtschaft, akedemische und sonst gebildete Herren, und kratzen sich kollektiv über der Problematik den Kopf, dass der Gesellschaft langsam die arbeitenden Hände ausgehen.
Sie sitzen da, die hohen Politiker in Anzug und Schlips, die Volksschullehrer im hübschen Pullover, ausschliesslich aus Wolle gestrickt welche gesunde, glückliche und zufriedene Schafe bei aller Wahrung ihrer Würde an Sträuchern und Gräsern auf völlig natürliche Art und Weise verloren haben, welche hernach vom WWF eingesammelt und zu eben besagtem Kleidungsstück verarbeitet wurde.
Sie sitzen aufmerksam, bis auf den schlafenden Herrn Dr. Schläpfer, das Kinn leicht aufgestützt, mit weit aufgerissenen Augen dem Laudator das höchste Mass an Interesse suggerierend und folgen den Ausführungen der Redner.

uhrwerk

Dieses Bild der Frau Güdel, Referentin der la Résidence, gefiel den sich selber unterhaltenden Referenten ganz besonders, es symbolisiere das Problem, so ein Zahnrad entfernt werde, würden die Zeiger nicht mehr drehen, Gott behüte!
Ich selber fand das Bild auch sehr passend; Die sich am Kopf kratzenden Schlipsträger, vor dem Werk stehend, ihr Elend ob dem geborstenen Zahnrad beweinend, nicht des Zahnrades willen, sondern der Betroffenheit über der nicht mehr rotierenden Zeiger, die Frage, wie es soweit kommen konnte und auf der Suche nach einer Lösung, wie die Uhr mit geringstmöglichem Aufwand und gegen Null tendierende Kosten wieder in Gang gesetzt werden könnte, ohne dass den bereits rotierenden Rädern mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden müsste, oder – Gott behüte – man selber an den Rädern kurbeln muss.

Zwischen den Referenten, welche in erster Linie sich und ihre Firmen präsentieren wollten, wurden videodeokumentarische Einspieler von stellensuchenden Schülern gezeigt. Entweder aus der zehnten Klasse, der ehemals 3. Real oder dann der Werksklasse, so meine Annahme, oder der Querschnitt der Jugend von heute ist da anzusiedeln, wo zu meiner Zeit die Sonderschule einquartiert war. Man soll nicht nach dem Aussehen beurteilen, aber ich erkenne einen ausländischen Mitbürger so ich einen sehe – die haben rechteckige Köpfe – welche in etwa 90% des Film-Casts repräsentierten -, womit mir die feinen Herren Firmeninhaber und Ausbilder klar suggerierten, in welcher Schicht die künftigen Arbeiter zu rekrutieren seien und wo demzufolge ich anzusiedeln sei.
Berufsstolz wecken, ein Anliegen eines Redners.
Stolz ist eine schöne Sache, aber ein recht armer Ersatz für Intelligenz. Im Kindergarten war ich auch stolz auf meinen gelben Elefanten auf blauer Wiese unter grünem Himmel, dennoch finde ich dem kleinen Tom jetzt nicht im Louvre hängend, weil es nunmal nicht genügt, so ich stolz darauf bin.
Geht der Malerlehrling also durch die Stadt, zeigt seinem kantibesuchenden Umfeld vor Stolz platzend eine von ihm gestrichene Fassade, ist bestenfalls ein freundlich gemeintes Lob das höchste der zu erwartenden Gefühle. Leider hat weder Migros noch Coop seitlich des Kreditkartenlesers einen Einwurf für Stolz, folglich kann keiner von diesem suggerierten Wohlgefühl leben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bewegten sich die Herren auf die Bühne, wo sie sich drei Mikrofone mit vier unterschiedlichen Lautstärken teilten und Herr Dr. Schläpfer moderierte ein Podiumsgespräch.
„Was macht die Schule, um die Schüler für das Handwerks zu begeistern…“, an das pädagogische WWF-Model gerichtet. Flüsterleise gab der Herr die einstudierte Phrase zum Besten, aufgrund akustischer Diskrepanzen ist es mir unmöglich sie wiederzugeben. Hernach wurde die Frage an die anderen fünf Teilnehmer weitergegeben, vor Spannung und Begeisterung biss ich beinahe in die Tischplatte.
Da man zeitlich etwas eingespannt war, der Herr Dr. Schläpfer musste noch ein Handballspiel besuchen, wurde der Fragekatalog straff durchgearbeitet. Die Meinungen unterschieden sich im Wesentlichen in der Höhe der Lautstärke, bis auf die Seitenhiebe des Malers gegen Akademiker, welche sie mit akademischem Grossmut – Eltern blicken verständnisvoll auf das trotzende Kleinkind – hinnahmen und kurz darauf wurden Fragen aus dem Publikum behandelt.
Dumm war, dass keine Fragen auflagen, was wohl für die mitreissende Darbietung des ganzen Abend als solches sprach.
Es erbarmte sich doch noch ein Herr, erhielt ein Mikrofon und der ganze Saal konnte seinem im Flüsterton vorgetragenen Anliegen folgen.
„Meine Firma erhielt den Auftrag eine Schnupperlehr-Broschüre zu drucken, ich habe diese nirgends gesehen, wird diese auch aufgelegt…?“ – dies gesagt – „… und wann darf ich mit einem Folgeauftrag rechnen?“ – und dies gedacht -.
Was für eine Frage von globaler Reichweite!
Ja, die würde aufgelegt, aber sie werden der Sache noch einmal nachgehen.
Ende Podiumsdiskussion.

Der Herr Amsler lobte sich und sein Gremium, dankte seinem Gremium und sich, und liess den Saal nach diesen bewegenden Schlussworten in das Foyer treten, wo Weine, Orangensaft, Wasser und Brotstückchen gereicht wurden.
Rundherum meinte ich Zufriedenheit zu bemerken, die Herren waren sich gewiss, nun wäre das Uhrwerk gerettet.
Und ich solle mehr Berufsstolz zeigen.

Warum erlernt wohl niemand ein Handwerk?

– Das Handwerk wird nicht geachtet und ist den praktisch bildungsfähigen, politisch korrektes Deutsch für Idioten, vorbehalten. Das Handwerk gleicht der Benzinpumpe im Auto; Solange sie funktioniert ist es in Ordnung, der Wagen läuft, aber der ganze Stolz gebührt dem Nussholz-Interieur, denn dies ist das wirklich Elementare.

– Das monatliche Salär eines Handwerkers reicht unter Umständen, eine Familie durchzubringen. Gerade so. Wenn man keine grossen Sprünge macht, keinen Urlaub braucht und die Kinder der einzige Luxus sind, welchen man sich gönnen will.

– Für gesellschaftliche Akzeptanz und ein familienkonformes Lohnlevel muss der Handwerker höhere Fachschulen besuchen, was im Endeffekt wiederum einen fehlenden, mit den Händen arbeitenden Techniker bedeutet.

– Angesichts dessen; Warum soll ich wertvolle Zeit verschwenden, das Matterhorn erst zu Fuss umrunden, so ich letztendlich doch auf die Spitze muss?

Unterm Strich bleibt also; Sie können noch so viele Vertreter mit Modellköfferchen – übrigens eine wirklich umgesetze Idee – in die Schulen senden, im Endeffekt hat keiner Interesse einer Berufung zu folgen, welche von der Gesellschaft verachtet wird und nicht genug abwirft, eine Familie zu ernähren.
Wer etwas im Kopf hat besucht gleich höhere Schulen und der Rest hat zumindest noch so viel Intelligenz, den Sisyphus dieses Broterwerbs zu erkennen.

Hätte ich dem Herrn Dr. Schläpfer auf eines der aufliegenden, gelben Zettelchen schreiben können, aber der Adler möchte dem Wurm gewiss kein Gehör schenken, schon gar nicht wenn es sich um eine unbequeme Wahrheit handelt.
Da bildet man besser noch ein Komitee und versucht zu ergründen, warum der tote Gaul nicht mehr trabt, bis man eine passende und vor allem wohlklingende Lösung gefunden hat.
Und dann rekrutieren wir im Osten.

Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole:

Vor einiger Zeit verabredete eine deutsche Firma ein jährliches Wettruder gegen eine japanische Firma, das mit einem Achter auf dem Rhein ausgetragen werden sollte. Beide Mannschaften trainierten lange und hart um ihre höchste Leistungsstufe zu erreichen. Als der große Tag gekommen war, waren beide Mannschaften topfit, doch die Japaner gewannen mit einem Vorsprung von einem Kilometer.

Nach dieser Niederlage war das deutsche Team sehr betroffen und die Moral war auf dem Tiefpunkt. Das obere Management entschied, dass der Grund für diese vernichtende Niederlage unbedingt heraus gefunden werden musste.
Ein Projekt-Team wurde eingesetzt, um das Problem zu untersuchen und um geeignete Abhilfemaßnahmen zu empfehlen. Nach langen Untersuchungen fand man heraus, das bei den Japanern sieben Leute ruderten und ein Mann steuerte, während im deutschen Team ein Mann ruderte und sieben steuerten.
Das obere Management engagierte sofort eine Beraterfirma, die eine Studie über die Struktur des deutschen Teams anfertigen sollte. Nach einigen Monaten und beträchtlichen Kosten kamen die Berater zu dem Schluss, das zu viele Leute steuerten und zu wenige ruderten.

Um eine weiteren Niederlage gegen die Japaner vorzubeugen, wurde die Teamstruktur geändert. Es gab jetzt vier Steuerleute, zwei Obersteuerleute und einen Ruderer. Außerdem wurde ein Leistungsbewerbungssystem eingeführt, um dem Ruderer mehr Ansporn zu geben. “Wir müssen seinen Aufgabenbereich erweitern um ihm mehr Verantwortung geben“.

Im nächsten Jahr gewannen die Japaner mit einem Vorsprung von zwei Kilometern.

Das Management entließ den Ruderer wegen schlechter Leistungen, verkaufte das Ruderboot und stoppte alle Investitionen für ein neues Boot. Der Beraterfirma wurde ein Lob ausgesprochen und die eingesparten Gelder wurden dem oberen Management ausgezahlt.

Eigentlich sollte dies nur eine Einleitung sein, entwickelte jedoch eine Eigendynamik. Nun denn, schreibe ich später noch einmal.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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