Wir-Gefühl mit spitzen Gabeln

Zu den total überbewerteten Dingen dieser Welt gehören zelebrierte Verpflegungsrituale.

Da der Mensch mit angereicherter Hipp-Babynahrung, Kinder-Milchschnitten und gezuckerten Gummistücken vom Kiosk der Badeanstalt mit 16 Jahren seine Energiereserven für die nächsten sechzig Jahren bereits in trockenen Tüchern hat, stellt er in den Dreissigern das Essen quasi ein. Fortan werden nur noch wertige und sonstwie-kettige Kohlehydrate, Fette ungesättigt und Whey-Proteine zu sich genommen. Vom Fastfood-Junkie wird man zum Vegetarier, kriegt von zu viel Milch den Dünnpfiff, konvertiert zum Veganer und verzichtet fortan auch auf Gluten. Weil sich dies einfach so gehört, man mit einer knusprigen Bratwurst in den Fingern einfach scheel angesehen wird und selbige alsbald in einem Séparée verspeisen muss. Nicht zuletzt weil Würste, welch Überraschung, Krebs auslösen und dies treibt die Krankenkassenprämien in die Höhe. Daher ist es sehr wohl mein Geschäft, darauf zu achten, was der Nachbar isst. Stichwort Solidarität.
Um der ganzen Nahrungsaufnahme doch noch etwas abzugewinnen, lässt man den Koch das Mini-Nilpferd gleich am Tisch schlachten, isst ein Fondue mit dem Hintern im Sprudelbad, speist in einem stockdüsteren Restaurant oder gibt sich den Ritterschmaus, wo man die gute Kinderstube an die Garderobe hängt und mit einem Lätzchen behängt triefende Fleischstücke mit Händen und Füssen zum Mund führt. Erlebnisgastronomie. Oder mit dem Essen spielen.

Zurück zum Ursprung kommen wir gemeinsam weiter. Oder so. Der Mensch knabbert Wurzeln und Beeren, läuft in Barfuss-Schuhen und trägt Rauschebart. Und gemeinsames Speisen am Lagerfeuer fördert das Wir-Gefühl.

Es ist gut für das Team, wenn man sich einmal im Privaten begegnet, den Menschen von einer anderen Seite kennenlernt. In der Moderne genügt es nicht, die verordneten Arbeiten zufriedenstellend zu erledigen, wenn einem dabei das Glück nicht ins Gesicht geschrieben ist und die Zufriedenheit aus den Poren trieft, ist es irgendwie nicht richtig. So schickt man Mitarbeiter zur Paartherapie. Personen, mit welchen ich mir nur abgebe, weil ich dafür bezahlt werde, soll ich nun nach Feierabend treffen, damit ich den Zugang zu Menschen finde, welche ich noch nicht einmal kennen möchte.
Teambildender Anlass nennt sich dies.

Vor Selbstmitleid zerfliessend bewegte ich mich in das Zürcher Oberland. Am Samstag Abend. Es unterstreicht die Gewichtigkeit des Anlasses, wenn dieser in der Freizeit durchgeführt wird, der Hauch Freiwilligkeit sorgt gleich für den richtigen Spirit. Zeig mir wen du fickst und ich sag dir wer du bist, oder so; Es wird durchaus gewünscht, dass der Lebensabschnittspartner mit von der Partie sei, nicht zuletzt, weil die ganze Sause auch noch aus eigener Tasche beglichen werden muss. Weil, ist ja freiwillig und es ist einem schon nahezu eine Ehre.

Auf einem Excel-basierten Doodle-Konstrukt galt es ein Kreuz zu setzen, an welchen Daten man für die Lustbarkeit zu gewinnen wäre. Strategisch setzte ich mein Kreuz an den nicht favorisierten Daten der Mitarbeiter. Ganz im Sinne von, ich würde ja gerne, aber an diesem Abend feiert Tante Kunigunde ihren sechsundachtzigsten und wir wissen nie, ob es nicht ihr letzter…
Der feine Plan wurde schändlichst manipuliert, denn es ergab sich prompt ein Datum, an welchem die gesamte Belegschaft zur Verfügung stünde, abgesehen von jenen zwei, welche sich von vornherein abmeldeten. Da sie in den nächsten Monaten in den Ruhestand gehen, scheissen sie auf den Teamgedanken und ich kann nur mein Verständnis zum Ausdruck bringen.

Sie standen im Kreis zu zweien, immer ein Männlein und ein Weiblein. Ein wenig neugierig war ich auf das Weibsvolk, gestehe ich. Das Gros meiner Mitarbeiter hat der liebe Gott kurz vor Feierabend gemacht. Will sagen, keiner davon entspricht auch nur ansatzweise dem, was sich – nach meinem Dafürhalten – eine Dame für den Rest des Lebens ins Bett legen möchte. Die Attraktivität von Quasimodo trifft auf den Intellekt Mister Hyde, nach allen vernünftigen Massstäben dazu bestimmt alleine zu sterben. Nur schon um die natürliche Selektion nach Darwin zu bestätigen.

Ich schwanke zwischen der Überraschung, dass solche Figuren es geschafft haben in den Hafen der Ehe zu laufen und dem Trieb, mir einen Strick zu suchen, da mit mir ganz offensichtlich etwas nicht stimmen kann. Vielleicht trage ich den Hintern im Gesicht und die Gesellschaft ist zu höflich es zu sagen, oder versprühe den Charme von Bauer Hermann. Nicht, dass ich das trügerische Gewässer der Ehe suchen würde. Da sitze ich lieber zum 26. Tage des Monats an das Rheinufer und lasse die Hälfte meines Einkommens in Form von hübschen Schiffchen auf den Wellen tanzen. Nein, es ist eine Grundsatzfrage.

Auf jeden Topf passt ein Deckel. Oder für jede Station des Lebens gibt es eine dumme Phrase, welche auf ein Zuckersäckchen gedruckt werde. Wenn man sich genug verbiegt und an seinen Ansprüchen schraubt, dann verlustiert sich der Bauer auch einmal an einem Schaf und schöpft seine Befriedigung daraus. Daher stimmt es schon, mit dem notwendigen Werkzeug kriegt man Topf und Deckel stets zusammen.

Natürlich, es wurden da keine russischen Modelexporte aufgefahren, aber hässlich wie die Nacht war das Weibsvolk nun auch nicht. Zumindest nicht in diesem Masse eines abstossenden Äusseren, dass man sagen könnte, sie mussten eben nehmen, was ihnen geboten wurde.

Nach dem allgemeinen Hände schütteln, meine Keime deine Keime, begab man sich auf einen von Tuja gesäumten Vorplatz, einen Apero einzunehmen. Holzscheite prasselten in Gitterkörben, Tranksame und Zahnstochersnacks standen bereit. Wie nett.
Die Holzscheite glommen mehr als sie prasselten und knisterten, den Verlust an romantischem Wohlfühlprasseln machten sie mit einer giftigen Rauchentwicklung und wirbelnden Aschefetzen wett. Bröckeliger Käse und in Öl schwimmende Oliven ersetzten Apero-Gebäck. Blieb nur noch der Wein. Da ich jedoch als Lenker eines Fahrzeugs unterwegs war, konnte ich diesem nur bedingt zusprechen. Ich behaupte, durchaus ein angenehmer Gesellschafter zu sein, nur brauche ich Alkohol um auf diesen angenehmen Level Stufe Leckt-mich-am-Arsch zu kommen.
Schön da, nicht wahr?; proklamierte mein Chef im kumpelhaften Ton.
Kopfsteinpflaster von Tuja gesäumt und ein paar nasse, dürftig brennende Holzscheite zu Boden geworfen; Fürwahr ganz entzückend.
Und wie so oft beschlich mich das Gefühl, dass sich meine Aussagen in den Hörgängen des Chefs wie Parsel anhören müssen.

Man ist bemüht miteinander zu sprechen, das Geschäft aussen vor zu lassen. Zum einen, weil da noch externes Weibsvolk zugegen war und es einfach die Höflichkeit gebietet selbiges in den Anlass einzubinden, zum anderen, weil man nicht den Eindruck erwecken möchte, man hätte ausserhalb der Firma kein Leben. Nur ist es so, dass bei solch teambildenden Anlässen neunzig Prozent der zu zusammenführenden Teilnehmer freiwillig keine Minute miteinander verbringen würden, weil sie nunmal nur miteinander Arbeiten und keinen Lebensbund eingegangen sind. Daher trifft man sich auf dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen und referiert trotzdem über das Geschäft. Von diesen neunzig Prozent ist die Hälfte ganz froh darüber, weil sie eben gerne über den arbeitstechnischen Alltag sprechen, die andere Hälfte beginnt die innere Leere mit Wein auszufüllen und ich weine in meine Ein-Glas-ist-gestattet-Tranksame.

Nach dem alle genug geräuchert und beascht waren, wurde man angehalten, in den oberen Stock zu treten, der Hauptakt warte.
An vier runde Tische verteilt, man hatte ordentlich Bewegungsfreiheit und konnte ohne stammelndes „Verzeihung“ den Sitzplatz auch einmal verlassen. Man soll auch positives vermerken. Natürlich sassen die Köpfe zusammen, welche sich auch ohne teambildende Zwangsvereinigung zugetan waren, einer wurde gar vom Chef liebevoll aber mit Nachdruck an einen anderen Tisch verwiesen, damit die über jahrzehnte gewachsene Konstellation beibehalten werden konnte. Meine Wenigkeit sass am Singletisch – jung, wild oder einfach nur beziehungsunfähig – da prompt noch drei weitere ohne Begleitung erschienen.
Auf facebook die Ferienfotos, auf dem Parkplatz die Autos, im Lokal die Weinkarte. Männer vergleichen doch stets die Grösse ihrer Geschlechtsteile. Als Mann von Welt, kulinarisch gebildet und sowieso mit allen Wassern gewaschen versteht es sich von selbst, dass jeder ein Sommelier erster Güte ist. Der Laie hört nur uga uga uga, wenn sich die Parteien Keulen gleich Begriffe wie Barregg, Bouquet und Cru um die Ohren hauen. Ein stahliger Roter mit der Assemblage einer gesonderten Einzelgärung oder so.
Mein Verständnis der gegorenen Traube beschränkt sich darauf, dass ich ihn mag oder nicht und verzichte gerne auf die Auslese, um der Peinlichkeit der Degustation zu entgehen. Sechs Augenpaare auf einem gerichtet, man schwenkt den Wein, weil man es so einst im Fernsehen gesehen hat. Man hängt seinen Nase in das Glas, unwissend, was man da nun vorfinden sollte, setzt trotzdem eine prüfende Miene auf. Der Schluck wird im Mund geschaukelt, lässt ihn in die Kehle rinnen und schlackert hernach mit der Zunge in der Mundhöhle. Nicht zu laut, aber doch so, dass es das Umfeld mitkriegt. So der Trunk nicht gleich wie der Ausguss eines mobilen Toilette riecht sagt man so oder so, es ist gut und da die Weinkenntnisse der übrigen Gäste im allgemeinen ähnlich ausgeprägt sind, wird keiner die Entscheidung in Frage stellen.
Sollte ich dennoch in die unangenehme Situation gelangen, eine Auslese treffen zu müssen, wähle ich einen Saft in der Preislage, leicht über der Schmerzgrenze der anderen und bin mir gewiss, dass keiner einen solch sündhaft teuren Tropfen in Frage stellen würde. Bin auch nur Mensch und gebe mich bisweilen der Dekadenz hin.

Fondue Chinoise. Ich kann nicht genug betonen, wie zuwider mir dieses Gericht ist.
Luxus aber dennoch irgendwie erschwinglich, wird es gerne im heimischen Wohnzimmer zelebriert und Gaststätten verdienen sich à discrétion eine güldene Nase. Ganz speziell, wenn man in einem Gault-Millau-Lokal speist. Ungeachtet der Tatsache, dass man die Speisen selbst zubereitet, Pommes Frites auch aus der Michelin-punktierten Fritteuse nicht besser sind als an der Fritten-Bude in Rotterdam und die Saucen aus dem Gläschen stammen.
Die Speise lebt an sich davon, dass man den grössten Teil mit der Beschaffung von Nahrung und deren Zubereitung, jedoch kaum mit dem Genuss derselbigen beschäftigt ist. Gürkchen, Zwiebelchen und nicht zuletzt die Cocktail-Sauce fungiert als Katalysator zwischen den Gästen, man ist sanft dazu gezwungen, sich miteinander zu unterhalten, da das gewünschte stets ausserhalb der Reichweite liegt.
In der Deluxe-Variante sind die Teller mit kleinen Abteilen ausgestattet um eine Kreuzkontamination zwischen Pommes Frites und Maiskölbchen, Saucen und Fleisch zu verhindern. Nichts desto trotz werden alle hygienischen Grundsätze über Bord geworfen und man hantiert mit rohem Pouletfleisch, als stünde die Entdeckung der Salmonellen der Wissenschaft erst noch bevor.
Die kleinen Abteile garantieren, dass man nicht mehr als fünf Fritten oder vier Gürkchen auf den Teller legt und wäre da Platz für mehr, liesse es der Anstand nicht zu, da die Fülle des gemeinschaftlichen Versorgungstopf sehr übersichtlich wirkt und man dem Nachbarn doch nicht die Speise wegschnappen will. Über einem zarten Flämmchen steht ein Topf, die Brühe in selbigem bestenfalls handwarm und während das Fleisch in besagter Tunke gegart wird, nascht man ganz verstohlen ein halbes Pommes Frites. Nicht zu hastig, es schickt sich, eine Anstandszeit abzusitzen, bevor man den Teller erneut füllt.Obwohl rundherum wiederholt das überwältigende Hungergefühl beteuert wird, kommt beim Essen niemand in die Gänge. Weil Chinoise in erster Linie nicht zum Erreichen eines Sättigungsgrades zelebriert wird, sondern als Grund für geselliges Beisammensein dient.

Straft mich lügen, doch stehe ich dazu; Sei es im privaten Rahmen oder „à discrétion“, es ist NIE genug Fleisch da. Nie nie nie. Gut, vielleicht vom Pouletfleisch, aber gewiss nie genug Rind! Und es sind immer zu wenig Pommes Frites. Natürlich liegen noch 5 oder 6 im Topf, doch dies nennt sich Anstandresten. Die Illusion wahren, es wären genug gewesen. Niemand ist nach dem Chinoise satt, man ist es irgendwann einfach leid, jedesmal Müllers Frau nach der Sauce zu fragen und stets unter Rücksichtnahme auf das Kollektiv bei der Tellerbefüllung die eigenen Gelüste zurück zu stellen.
Es ist die Kapitulation vor der gesamten Mühseligkeit – und die Hoffnung auf ein opulentes Dessert -, welche einem verkünden lässt, man sei „pappsatt“ und hätte „wie ein Fürst gespiesen“, wie meine Grossmutter zu sagen pflegte.

„Dafür könnte man wieder blechen“, pflegte sie ebenfalls zu sagen und brachte zum Ausdruck, dass eine solch luxuriöse Speise in einem Lokal nahezu unbezahlbar gewesen wäre.
Und sie sollte Recht behalten.
Ich kapitulierte. Nicht mit dem Beteuern eines Sättigungsgefühls, sondern dem Verkünden, dass es mir nun einfach zu dümmlich wäre, für jeden Happen zum Gabentisch zu spazieren und Chinoise die mit Abstand dämlichste Art sei, sich zu verpflegen. Alkoholgeschwängertes Gelächter quittierte meine Aussage.

Wir teilten die Rechnung durch sechs Nasen, weil deren sechs Besitzer zu Tische sassen. Ich mag dieses unkomplizierte, finde es ganz schrecklich, wenn sich Erwachsene streiten, wer nun diesen oder jenen Wein übernähme und wer schon wieder einen Salat genossen habe.
Nun bin ich beileibe keiner, welcher den Rappen zweimal wendet, aber für diesen Schmus 135.- zu löhnen überstieg selbst meine Schmerzgrenze.
Für Gesellschaft welche ich nicht suchte, mit einer Speise die ich nicht mag, einen Wein, welchen ich nicht genossen habe und sieben Stunden, welche mir niemand zurück erstattet ein stolzer Preis.

Im Puff um die Ecke hätte ich wohl ein günstigeres, der Aufrichtigkeit gewiss ebenbürtiges Wir-Gefühl gekauft.chinoiseIst es nicht urgemütlich?

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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