Zum Geburtstag alles Gute

So gleich zum Einstieg etwas Off-Topic; Im Hintergrund läuft Giacobbo / Müller und ich frage mich, weswegen der Viktor Giacobbo seit Jahren wiederkehrend in Frauenrollen spielt. Übertrieben geschminkt, im schmuckesten Kleidchen, welches Beyeler-Mode im Angebot hat, mimt er oft gesetztere Damen.
Worin liegt die Motivation? Muss man Frauenrollen einfach weniger überzeugend spielen – keiner erwartet die ausgefeilte Verkörperung, da man als Mann ja kaum die perfekte Frau mimen kann ohne der Lead-Sänger von Tokio Hotel zu sein – oder empfindet er eine sexuelle Erregung, so er sich in Damenwäsche einem breiten Publikum präsentieren kann?

Wo wir bei Beyeler-Mode sind; Mutti feierte im Oktober ihr sechzigstes Wiegenfest und lud zur feierlichen Begehung desselbigen letzten Samstag zum grossen Fest in einer Turnerhütte.
Für Freunde und Familie. Die Familie wurde infolge Todesfällen und Paarungsunwilligkeit der Söhne empfindlich dezimiert, demzufolge war die Familie mit vier Personen vertreten, so wir die Cousine einer Cousine in vierter Linie noch hinzurechnen. In Bezugnahme auf die Beziehungsunfähigkeit meiner Wenigkeit wurde mir im Nachhinein die Option eingeräumt, das ‚+1‘ auf der Einladung dürfe auch mit einem Freund besetzt werden, ihr seht, auch mit 60 Lenzen ist meine Mutter eine sehr fortschrittliche und offene Person.
Gut, der Verdacht mag begründet sein, ich hoffe sie jedoch dahingehend beruhigt zu haben und war froh, dass ich für das ‚+1‘ keine Polin importieren musste. Welche Tragik, dass man sich aufgrund eines seriösen Lebenswandels, dem Vorwurf der Homosexualität erwehren muss.

So schneite ich also hinein, sah mich um, verliess die Hütte noch einmal und suchte nach einem Klingelschild. Da hingen Ballons, aber keine Anschrift „Alterssiedlung zur schattigen Pinie“. Ich schien also richtig zu sein.
Meine Mutter, nicht sehr hochgewachsen, ging unter zwischen Silberfüchsen und der einzige Fixpunkt war meine Cousine der Cousine im vierten Grad, welche mit schickem Dekolloté – aufgrund der Blutlinie bin ich gegenüber solchen Reizen glücklicherweise unempfänglich, dies hat nichts mit homosexualität zu tun – den männlichen Anteil der Rentnergesellschaft etwas aus der Fassung zu bringen schien. Also steuerte ich die Dame an und wurde zugleich zu meiner Mutter weitergelotst, begleitet von verwunderten Blicken der Anwesenden.
Da gab es wohl den Mythos des zweiten Sohnes, aber keiner hat ihn je gesehen. Meine Bemerkung, es gäbe den guten Jungen – ich verwies auf meinen Bruder, welcher sich dazugesellte – und den Bösen, welchen ich demzufolge ich representiere, traf wohl den Kern, amüsierte meine Mutter nicht direkt, aber tat aufgrund des geflossenen Alkohols der Stimmung keinen Abbruch.
Als gute Gastgeberin, welche meine Mutter ganz sicher ist, wollte sie mich im Kreis führen und den Herrschaften vorstellen. Insbesondere einer gewissen Franziska, mit langem blonden Haar, etwa einen Meter sechzig gross und wohl um die dreissig Jahre alt. Unglücklicherweise stand die junge Dame, ganz gewiss eine nette Persönlichkeit, zwei Meter entfernt und wandte mir die Kehrseite zu, welche von einem äusserst ausladenden Hinterteil dominiert wurde. Ein gebärfreudiges Becken, ganz gewiss, aber nicht motivierend, den vorgängig bedingten Akt einzuleiten. Mit den Worten „Es wäre gerade gut“ bedankte ich mich höflich bei meiner Frau Mutter, zog mir ein grosses Bier und verliess mit meinem Bruder die Hütte um eine Zigarette zu rauchen; Rauchfreie Räume, ein Segen, in der Tat. Und so werde ich die nette Franziska wohl nie kennenlernen und meiner Mutter ein weiteres Jahr die Enkel verwehren.
Man kann nicht den ganzen Abend rauchen, worauf wir uns wieder unter das Volk mischten und ich drei Ernas, sieben Esthers und einen Herbert kennenlernte. Wohl prostete ich mit der Halbliter-Bierflasche gegen feine Weisswein-Gläser, überspielte diesen gesellschaftlichen Fauxpas aber lässig mit meinem Charme und stellte fest, mit Komplimenten der alten Schule, steckt man gesetztere Damen lustig in die Tasche. Je geschwollener man spricht, umso geschmeichelter fühlen sie sich und ich war nur ein halbes Bier und einer Apfelsinenkiste davon entfernt, eine wunderbare Prosa zu zitieren.

Liess ich dann bleiben, weil ich zu den Tellern gerufen wurde. Was auf der netten Einladung vergessen ging, war der kleine Satz, dass der Tellerservice der Familie obliegt und so gelang meiner Mutter die Überraschung, dass ich mich als Kellner versuchen durfte.
Nach dem Salat, die Teller durften wir gar noch abräumen, was mitunter eine sehr ekelige Angelegenheit war, stand die Hauptspeise an, als der schon etwas angetrunkene Herbert im Hawaiihemd zu uns stiess.
Er feuerte Gag über Gag ab, bis sein „Da gseht ja nid mol so gruusig us“ (Alleine der optische Reiz der Speisen, scheint meine Erwartungen zu übertreffen) endlich zündete und sich mein Bruder und ich vor Lachen ausschütteten. Nicht weil der Witz so urkomisch war, sondern lediglich weil man genau eine solche Aussage von unterirdischem Niveau von einem alkoholisiertem Herbert im Hawaii-Hemd erwartet. Nichts desto trotz fühlte er sich bestätigt und unter Schulterklopfen bekundeten wir gegenseitig unser Wohlwollen.
Um der Stimmung willen, muss man sich gelegentlich anpassen, dies übe ich letztendlich fünfundvierzig Stunden die Woche.

Das Essen war in Ordnung, kann man nichts sagen, und der Vorteil beim Tellerservicedienst liegt daran, dass man sich sicher sein kann, dass beim Tragen besagter Nahrungsbehälter kein fremder Daumen im Kartoffelgratin wühlte.

Nach dem Hauptgang die Bescherung, ich glänzte mit einem wunderschönen Nichts und stand dahingehend meinem Bruder in keiner Weise nach, aber drei Ernas und eine Anni vom Turnverein rissen uns aus dieser Misere, so man dies als solche bezeichnen mag.
Ganz kurz überlegte ich, ob sich wohl andere Söhne für einen runden Geburtstag der Mutter weit aus dem Fenster lehnen, aber wir sind ja alles ander als eine DIN-Familie und solange ich mich noch nicht mit einer importierten Polin und Nachwuchs umgebe, sehe ich auch keinen Anlass, als Einzelperson irgendwelche Familienfeste zu subventionieren.
So überreichte also der Turnverein einen Wellnessgutschein unter grossem Hallo und der beschwipste Herbert zog gar die Handharmonika dazu.

Anschliessend kam der alte Bademeister hinzu, welchen ich ohne seine Jeans-Hotpants und mit bedecktem Oberkörper nicht auf Anhieb einordnen konnte – „Nid vo de Site iegumpee“ (Bitte nicht das Wasserbecken mittels eines Sprungs über den Seitenrand begehen) – und es ist mir ein Rätsel, wie er an dieses Fest kam. Ganz im Allgemeinen scheint meine Mutter sozial so breit vernetzt zu sein, dass der Hans den Franz nicht kannte.
Der Bademeister trug ein nettes Gedicht vor und leitete damit auch gleich den spielerischen Teil ein. Ohne ins Detail zu gehen, schrabbten mein Bruder und ich infolge alkoholisierter Zwischenrufe wohl knapp an einer Hausverweisung vorbei.

Ein kleines Dessert mitzubringen hätte zum guten Ton gehört, auch dies habe ich irgendwie überlesen, aber die Tische krachten so schon unter den backtechnischen Erzeugnissen diverser Rentner. Schüsseln über Kuchen, Muffins über Cremes. Wohl hätte der eine oder andere Gast, in etwa 90 Prozent der anwesenden Personen, aus figurtechnischen Gründen besser dem Dessert entsagt, aber die Hose mit dem Gummibund mag was wegstecken, weswegen mir gegenüber eine Dame einen wohlgefüllten Teller mich wohllüstigem Blick zu Tische balancierte.
Angesichts der undefinierbaren, bunten Süssspeisen, erkundigte ich mich, ob der Teller auf dem Weg von der Speiseausgabe zum kärtchenmarkierten Sitzplatz zu Boden fiel, was die Dame mit verwirrtem Lächeln quittierte und nur der beidseitige Alkoholpegel verhinderte wohl, dass sich die Pracht über mein chicces T-Shirt ergoss, insbesondere, da der grösste Unfall auf dem Teller der Küche der angesprochenen Dame entsprang.

Der Herbert wurde an der Ziehharmonika nicht müde und damit neigte sich der Abend für mich auch bald zu Ende.
Meine Mutter hatte grossen Spass, dies ist ja auch die Hauptsache und gewiss würde ich es schaffen, die ganze Sache in einem netten Licht zu beschreiben, aber, liebe Leser, deswegen klickt ihr hier nicht rein, oder.

A propos Klick; Sonntags geht die Traffic stehts durch die Decke – viele Leute scheinen nach wie vor Hintergrundinfos zu „Schwiegertochter gesucht“ zu googeln – und ich möchte mir diese Besucher gerne erhalten, weshalb ich mir ein neues Konzept überlegen werde.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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