Der alltägliche Bürowahnsinn

Hend ihr Mitteilig gläse?

Grammatikalisch eine Frage, formuliert im Befehlston von hinten links. Erster Fehler. Man spricht mich nicht von hinten links über die Schulter an. Zivilisierte Menschen machen dies einfach nicht. Also was immer auch kommt, es muss nun schon sehr überzeugend sein.

Stand mittig in der Betriebskantine, eine Schale Salat auf dem Tablett balancierend.
Die Frage war rhetorischer Natur, die Antwort der Anwesenden nur ein drehen des Kopfes und irritierte Mienen.

Nur ei Person pro Tisch.
Nun im befehlenden Befehlston. Die Gesichtsausdrücke formulieren ein stummes „Ach?!“.

Ich habe es befohlen er hat es nur aufgeschrieben.
Mit „er“ war der Kantinkoch gemeint.
Ja, du bist ein guter Junge, ganz ein guter! Gut hast du das befohlen, ganz fein hast du das gemacht. Ja, fang den Keks, fang ihn du Grundguter.

Ei Person pro Tisch! En Guete!

Erstick an deinem verdammten Salat.
Irgendwann ist auch mal gut, ganz ehrlich. Und wahrscheinlich in diesem Moment, in welchem ich sage, auch Social Distancing hat seine Grenzen.
Wir sassen zu dritt um den Tisch, ohne selbigen seiner eigentlichen Bestimmung zu zuführen. Er fungierte nur noch als Orientierungspunkt, denn irgendwie muss man ja um was herum sitzen, weil es sonst komisch wirkt. Die Kaffeebecher hielten wir in den Händen.
Im Grundsatz bin ich ein grosser Freund der Abstandsregeln, aber wenn ich einmal in die Kantine gehe und mir einen überteuerten Kaffee gönne, brauche ich mich nicht anblaffen zu lassen, ich hätte Abstand zu halten. Ich werde mich ganz gewiss an diese Episode erinnern, wenn der gute Herr wieder einmal denkt, man müsse den Gemeinschaftssinn pflegen und gemeinsam trinken.

Nämed Gipfeli. Do hets Gipfeli. Nämed. Gipfeli. R…. wieso nimmsch kei Gipfeli?
Danke, isch grad guet.
Hesch nid gern?
Doch, ab und zue scho.
Also nimm eis.
Nei danke.
Hesch e Allergie gege öppis?
Ja, gege Fettansatz und en Ranze.

Meinen Triumph zog ich daraus, als ein jeder verstohlen mit der Hand die Krümelsammlung von hervorstehenden Bauch wischte.
Hä, mer mues sich au mal was gönne.
Der Belohnungsbedarf scheint bei den Herrschaften sehr ausgeprägt zu sein. Stellt sich die Frage, welche Leistung diesem zugrunde liegt, die tägliche Arbeit kann es nicht sein.

De Hubert hätt sitem Mai 54 Kilo abgno.
Wow! Gratuliere!
Die Gratulations-Hymne ging einmal im Kreis, stockte bei mir kurz, übersprang mich schliesslich und wurde nach meiner Wenigkeit fortgesetzt.

Der gute Hubert hatte auch 180 Kilogramm Übergewicht und hat seine ersten Socken noch nicht durchgelaufen. Deine und meine Prämien haben diesem disziplinlosen Kerlchen ein Magenband gesponsert und nun ist wohl nach drei Bissen eines Doppel-Whoppers Schluss.
Warum soll ich jemandem gratulieren, der Dank eines Eingriffs nun nicht mehr so viel essen kann wie er gerne würde? Da gratuliere ich vorher jemandem von Herzen, der nach zwei Tafeln Schokolade, motiviert durch Selbstdisziplin, die dritte zurück legt.
Das Hubert in den beinahe transparenten Sack mit den Buttercroissantes griff, macht ihn auch nicht sympathischer.

Ich bin abgeschweift; der gute Mann in der Kantine schaffte es. Eine Person, welche ich bis heute respektvoll angesehen hatte, ist irgendwo in die gesichtslose Masse all jener Personen gerutscht, welche mich Tag für Tag umwabbern. Man muss irgendwie durch den Sumpf durch, bemüht sich aber, dem widerlichen Pfuhl nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken und hofft einfach am Absatz bleibt nicht zu viel davon hängen.

Befehlen hat durchaus seine Berechtigung. Ein Dialog ist nicht immer die Lösung, manchmal muss es schnell und entschieden gehen.
Dazu zählt jedoch nicht meine lukullische Tätigkeit in der Betriebskantine. Und wenn die ganze Sache noch auf einem briefmarkengrossen Kommuniqué begründet, welches am Wandpfeiler der Kantine angeschlagen ist, verliert die ganze Sache an Gewicht.

Nun müssen wir in der Kantine also 5 Meter Abstand halten.
Die angeordnete Home-Office-Pflicht ignoriert man jedoch nach allen Regeln der Kunst. Wir unterstreichen unsere Wichtigkeit, indem wir jeden Tag in diesen Büroturm sitzen. Eine Abwesenheit ist mit verhältnismässigem Aufwand nicht umsetzbar.
Ganz ehrlich; ich wäre zuhause bereits zehnmal produktiver gewesen. Einfach, indem ich irgendwas erledigt hätte. Und ich meine wirklich irgendwas. Wäre es nur der Abwasch meiner Kaffeetasse von heute Morgen.
Aber wo kämen wir hin, wenn wir uns nicht weiter getreu in die Tasche lügen?

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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