Heul doch

Berichte aus der Midlife-Crisis

Auf watson gibt es eine Beitragsserie, welche wirklich unterhaltend und witzig ist. Ja, ich habe zwei positive Attribute und watson in einem Satz verwendet. Profiliert sich dieses „News ohne blabla…“-Medium doch eher als linkes Propaganda-Blatt. Täglich findet sich eine Gender- oder Klimafrage auf der Startseite. Ich mag keine politisch ausgerichteten Zeitungen. Watson so wenig wie die Weltwoche. Natürlich, jedes Blatt spiegelt eine gewisse Meinung, eine Gesinnung wieder. Aber ich brauche doch keine Zeitung zu lesen, nur um meine eigene Meinung zu untermauern oder mich über komplett gegensätzliche Ansichten zu ärgern. Und hüben wie drüben ist man Gegenargumenten so verschlossen wie die Tore zu Moria. Dies schafft eine Gesellschaft, wie wir sie heute haben. Es gibt nur noch schwarz und weiss. Ich grilliere mit Holzkohle und jeder, der dies nicht tut ist ein kompletter Idiot. Was so dem kompletten Idioten auch mitgeteilt gehört. Unbedingt.
Als Landkind und mit einer starken Rechtsgesinnung wuchs ich auch mit einem Tunnelblick auf, pflege ihn noch heute, aber das Leben und Leben lassen hatte in unserem Alltag noch Raum. Heute ist dies total abhanden gekommen. Was der andere macht ist einfach Scheisse, es sei denn, er macht genau dasselbe wie ich. Punkt. Doch dies soll heute gar nicht das Thema sein.

Watson hat eine Serie, die nennt sich „Wein doch“. Dabei trinken die Protagonisten ein Glas Wein und beklagen sich über das Leben. Zum Beispiel über den Fluch, bei sonnigem Wetter immer raus gehen zu müssen oder den ganzen Sommer hindurch permanent sich mit Cuscus-Salat zu verköstigen. Scheint unter sozialen Menschen, welche öfters zum Grillplausch oder Badetag eingeladen werden ein echtes Problem zu sein. Die Rubrik ist wirklich witzig, nicke ich oft zustimmend dabei.

Wein vertrage ich keinen mehr und weil Morgen ist, heule ich eben beim Kaffee und nicht beim Bier.
Das alt werden entwickelt sich bei mir echt zu einem Problem. Ich fühle mich, als würde ich auf der rechten Spur einer Autobahn fahren, das Gaspedal bis zum Boden durchgetreten, die Nadel des Drehzahlmessers wickelt sich um den Anschlag und links überholen mich laufend Radfahrer. Auf alten Drahteseln mit 3-Gang Nabenschaltung. Lässig aufgerichtet, mit ihren alten Damenlenkern, und dabei scherzend und lachend. Es ist wie Homer Simpson so treffend sagt;

Egal was du tust, es gibt immer ungefähr eine Million Menschen, die es besser können.

Als ich das erste Mal auf Trekking-Tour ging, war man irgendwie noch Exot. Also klar, mit grossen Rucksäcken zogen alle los. Aber sie bereisten Städte und lebten in Hostel. Genauer gesagt, sie bereisten Australien. Während meiner Zwanziger war nicht die Frage, hast du einen Sprachaufenthalt gemacht, sondern, wann warst du in Australien. Speziell unter den Städtern. Dann und wann kam es vor, dass du eine Wohnung betreten hast und nicht aus dem Gedankgang heraus kamst „Was fehlt da…?“. Bis du dir gewahr wurdest, da hängt kein Vorsicht-Känguruh-Schild. Moment, warst du etwa NICHT in Australien? Wann gehst du?
Wie gesagt, mit grossem Rucksack waren schon einige unterwegs, aber wenige schleppten Zelt, Kochuntensilien und Nahrung mit sich. Dies hatte schon noch einen Oooh-Effekt bei den Zuhörern.

West Highland Way? Was ist das?
Und eines Tages dachten sich zwei Komiker, sie wandern diesen mit ihrer Filmcrew und heute kennt ihn jeder. Und das Trekking mit Zelt ist nichts besonderes mehr. Natürlich lebte ich ein wenig davon, etwas zu machen, was nicht alltäglich war. Nicht einer unter hundert zu sein, und dies alleine in meiner Strasse. Und heute kann man nicht in das World Wide Web ohne über einen Blog zu stolpern, in welchem nicht jemand seine gewanderten 5000 Kilometer in vier Monaten beschreibt. Gesponsert von North-Face und sonst wem, weil, nun da Trekking jedermanns Sache ist, sich eine unglaubliche Kundengruppe aufgetan hat.

Kürzlich las ich von Vanlife. Menschen die aussteigen. Abenteuerlustig, ungebunden und frei. Heute hier und morgen da.
Wenn ich so zurückdenke; Ich hatte die Europakarte. Auf einem Fresszettel notierte ich die grössten Städte zwischen hier und Rotterdam. Auf der Bank holte man D-Mark und Gulden. In der geschätzten Menge, weil unterwegs kein Bezug mehr möglich war. Kreditkarten waren solch ein Managerding, der normale Handwerker hatte dies nicht. Und dann fuhr man los. Das Höchstmass an Sicherheit für die Reisenden in einem 1400er, 50 PS-Renault war der ETI-Schutzbrief. Und ein ominöses TCS-Scheckheft, mit welchem man angeblich Werkstätten bezahlen konnte. Wir betrieben kein Vanlife. Wir fuhren einfach zum Camping nach Holland und schliefen auf Raststätten im Auto. Mit einem gnadenlos überladenen Renault 5 rast man eben gemächlicher.
Aber die Vanlifer in ihren klimatisierten Bussen mit Navigationssystem, welche dank Datenflatrate auch mit Google Maps ausserhalb des Vans den Weg zu den Hotspots finden und jeden Abend brav ihre Abenteuer auf Insta hochladen sind die Aussteiger und Abenteuerlustigen.

Klettersteige waren da, aber niemand nutzte sie. Unter Sportkletterer und Bergsteiger gleichermassen verpönt. Für erstere war es wie ein Fahrrad mit Stützrädern an den Stützrädern und zweitere vertraten die Ansicht, dass damit alpines Geländer erschlossen wurde, welches eigentlich ihnen vorbehalten war.
Würde ich so sogar unterschreiben. Ein Klettersteig ist nichts anderes, als eine Leiter und Fixseile auf den Mount Everest. Ein alpiner Tourismus, welcher jeder verachtet und dennoch jährlich Zuwachs erfährt. Der Modern Talking-Effekt. Keiner hörte sie und dennoch wurden sie zum erfolgreichsten deutschen Pop-Duo aller Zeiten. Da verstehe ich einen Reinhold Messner durchaus.
Ich fand Klettersteige toll. Weil da niemand war. Und sich mir alpines Gebiet erschloss, in welchem ich nichts zu suchen hätte.
Gestern sass, nein stand ich auf dem Gipfel der Sulzfluh. Es war zu viel los umd gemütlich zu sitzen. Fünf Minuten. In dieser Zeit spuckte der Sulzfluh-Klettersteig etwa 15 Personen aus. Sportlich, dynamisch, nicht die Spur eines Schweisstropfens. Es erschien mir, als würde hier eine Rolltreppe hochführen. Es mag zu begrüssen sein, dass der Homo Sapiens der körperlichen Ertüchtigung frönt und die Natur geniesst, ich finde es einfach nur frustrierend. Kommst du von einem Klettersteig nach Hause, zufrieden mit dir selbst, und schaust in die sozialen Medien siehst du, dass Hunz Kunibert soeben drei K5 gemacht hat und nun noch sechs Stunden aufs Rad steigt um sich auszupowern.

Mein erster Klettersteig überhaupt war ein K3. Den Helm kaufte ich am Morgen noch in Cortina d’Ampezzo, weil ich nicht wusste, dass man einen tragen muss. Mein zweiter eine vier.
Und gestern brauchte ich bei einem K1 zwei Anläufe. Weil das Vertrauen in mich fehlte. Früher dachte man irgendwann, viel später, vielleicht daran, was alles hätte passieren können. Heute steht man beim Einstieg und denkt sich, ui ui ui, was wenn… und schon geht einem die Muffe. Obwohl man weiss, dass man ein Tau hochklettert, ohne dabei die Füsse zu benötigen. Weil ich diese Umwickel-Einklemm-Sache im Turnunterricht nie verstanden haben
Alt werden ist einfach scheisse.

Vorgestern schlug ich mein Zelt in den Bergen auf. Extra spät. Es war kalt, windig und allgemein ungemütlich. Und dennoch standen plötzlich zwei weitere Zelte in der Umgebung. Der Parkplatz war wohl einfach zu nahe. Mittlerweile appelliert der SAC an die Bevölkerung, diese Scheisse in den sozialen Medien zu stoppen. Jeder Honk schmeisst sein Zelt an einen Bergsee, posiert für ein Foto, bewirbt vielleicht noch eine Sonnencreme und teilt dies auf Instagram. Mit Ortsangabe. Ein geheimer Geheimtipp. Am Wochenende darauf sind schon zwei Zelte mehr und irgendwann schaut der Geheimtipp aus wie das Frauenfelder Open-Air am Sonntag Morgen.

Wer im Glashaus sitzt… auch ich teile gerne ein Foto von meinem Zeltplatz in den sozialen Medien. Brauche ich auch die Aufmerksamkeit. Aber meine 150 Follower bestehen zu 80 Prozent aus russischen Fakeprofilen welche ich noch nicht blockiert habe um überhaupt Follower zu haben und die restlichen 20 Prozent ticken wie ich, da ist es vertretbar. Und mit den Hashtags bin ich auch nicht so geschickt, dass Hinz und Kunz mein Foto finden.
Beeindruckend finde ich hier die Deutschen.
Nachdem der Gumpen am Königsbach zu einem Instagram Hot-Spot mutierte, richtete der Nationalpark Berchtesgarden sich an die Influencer, man möchte sich doch etwas zurück nehmen und die Natur sich erholen lassen. Versteht sich von selbst, dass sowas nicht fruchtet. Im Gegenteil. Nun ist der Gumpen gesperrt. Nicht bis im Herbst, nicht diese Saison. Nein, sage und schreibe 5 Jahre. Sowas finde ich schon sehr eindrucksvoll. Würde das Appenzell mit dem Äscher wohl auch gerne machen.

Hat weniger mit meinem Alter zu tun, ist wohl ein Auswuchs des Zeitgeistes. Und dennoch hadere ich damit. Wäre ich jünger, würde mich diese Sache kaum stören, es wäre einfach normal. Als alter Sack habe ich nur den Gedanken, was fällt euch ein! Das wild campen ist unsere Sache. Zudem ist das, was ihr hier betreibt nicht campen. Kommt hoch mit 5 Ikea-Taschen und einem alten Coop-Harass voller Fressalien. Und eurer Scheiss-Bluetooth-Box. Einfach weil der Parkplatz zu nahe liegt. Könnt aus eigener Kraft keinen Rucksack über 5oo Höhenmeter tragen, aber präsentiert euch als Aussteiger und Abenteurer in piekfeinen Outdoor-Sachen.

Kennt ihr Beatrice Egli? Das Schlagersternchen, eine Mischung zwischen Berg und Fischer. Sieht wohl adrett aus, aber figurtechnisch eher in der Kelly-Family einzuordnen. Dies kompensiert sie mit der Berg-Masche. Schlampige Outfits treiben nicht nur den Sabber in den Mundwinkel sondern lassen auch über anderes hinwegsehen und hören. Dazu noch stets betonen, dass sie sich rundum wohl fühlt, voll und ganz Frau sei und bla bla bla, kennt man doch. Influenzer welche sich rundherum wohl fühlen wie sie sind erkennt man daran, dass Fotos stehts in einem Winkel aufgenommen werden, welcher Problemzonen ausklammert, das Hüftgold hinter dem Produkt verbergen oder das Holz vor der Hütte so ins Bild hängen, dass man nichts anderes mehr beachtet. Und natürlich jeden verklagen, der ein anderes Foto schiesst. In den Boulevard-Medien wird Egli regelmässig als Sportkanone präsentiert und geht nun auf das Matterhorn. Nicht, weil sie eine erfahrere Bergsteigerin wäre, sondern weil Mammut und Powerfood sie da hoch sponsern. Wie beim Mount Everest, wenn die Kasse stimmt wird jeder da hoch geschleift. Wobei ihre Motivation natürlich irgendwas mit Frauenpower zu tun hat.

Noch etwas weiter heulen; dieses Jahr geht wohl als mein aktivstes in meine Analen ein. Was nicht bedeutet, dass ich herausragende Resultate einfahre. Es ist mehr ein verzweifeltes Aufrechterhalten der einstigen Leistungsfähigkeit. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Muskeln sich mit 40 beginnen zu verkrümeln. Dabei geht es mir nicht um das Abbild eines Adonis, sondern alleine die Tatsache, dass man, wie obenstehend beschrieben, einfach in allen Belangen überholt wird und ich damit nicht klar komme. Vor dem ersten kollektiven Marsch in der Gruppe habe ich über 900 Kilometer zusammengelaufen. Um nach dreissig Kilometer festzustellen, jeder der anderen ist fitter als ich und dabei sind solche, welche beinahe 20 Jahre älter sind und das bisherige Jahr vorwiegend sitzend und liegend verbracht haben. Da darf man schon ein wenig hadern. Und sich langsam fragen; in welchem Bereich kann ich mich noch profilieren, wenn mir überall der Rang abgelaufen wird?

Vor einigen Jahren war ich auf einem Stand-Up-Paddel auf Fuerteventura. Sich auf den Wellen des Antlantik zu behaupten, gerade für jemanden mit Hai-Phobie, ist eine tolle Sache mit immensem Spassfaktor. So habe ich beschlossen, mich der Sache etwas intensiver zu widmen.
SUP… Ja, schon gehört… macht das Spass? So der allgemeine Tenor damals.
Und heute? Beim Einwassern in Stein am Rhein muss man beinahe eine Nummer ziehen. Weil jeder Honk ein solches Bord hat. In Massen treiben sie den Rhein hinab. Und natürlich schneller als ich. Weil die Auswahl an Boards mit allen möglichen Eigenschaften immens ist und die Preise im Keller sind. Und sie wohl einfach kräftiger und schneller sind.
Irgendwie ist es nicht mehr toll, wenn es jeder macht. Und dabei noch besser ist.

Ich beginne mich zu fragen, ob ich damit beginnen soll, mich mit Shuffle-Board auseinander zu setzen. Oder der Alten Garde beitreten und fünf Kilometer-Wanderungen auf dem Randen unternehmen soll. Dann wäre ich der störende Junge, welcher den Alten ihre Sache weg nimmt. Aber wo soll das noch enden…

Bin für irgendwelche Tipps durchaus aufgeschlossen.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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