Den Dummen gehört die Welt

Selig sind die Armen im Geist, denn ihr ist das Reich der Himmel.
Matthäus 5,3

Es mag etwas anmassend klingen, doch bisweilen stelle ich mir die Frage, überfliege ich meine irdischen Mitstreiter tatsächlich, oder bin ich mit selbigen einfach inkompatibel.

Mein Arbeitgeber erwies mir die Gunst, mich im Rahmen eines Kurses in das Berner Seeland zu entsenden. Die Gewichtung eines solchen Kurses hängt stets von den Mitarbeitern ab. Der eine wähnt sich an einer Hochschule, der andere, oder ich, geniesst lediglich die Abwesenheit von Chef und Stempeluhr.

Was, oder wer, garantiert nicht fehlt, ist jener, welcher bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise völlig überflüssigerweise hier ist. Jener, welcher die Weisheit mit der Muttermilch aufgesogen hat. Aus der Not eine Tugend machend, geniesst er nun eben den ganz grossen Auftritt. Von fünf Teilnehmenden zeichneten sich deren drei durch diesen unbestreitbaren Vorsprung an Wissen aus. Zehn Prozent des restlichen Bestandes entfielen auf meine Wenigkeit, während der Letzte ein Gast älteren Semesters war, welcher seine Stellung nur noch wegen der Aussicht auf das pralle Pensionsbeutelchen behauptet. Er begnügte sich damit, dümmlich in die Luft zu gucken und seinen Schulbeutel mit den bereitgestellten Snacks zu füllen. Angenehm unauffällig, bis auf die Tatsache, dass er fortwährend krampfhaft versuchte, den abwechslungsreichen Aspekt der Tätigkeit zu erörtern, ob man Zeltheringe in Brigels oder in Chur zähle.
Vielleicht etwas dümmlich stellte ich die Frage, wie zeitgleich Signale über einen Lichtwellenleiter in beide Richtungen übertragen werden, meiner Erfahrung gemäss seien dafür zwei getrennte Leitungen notwendig.
Der Kursleiter setzte an, mir das Multiplexverfahren zu erklären, bis zu meiner Rechten der Kollege den Begriff Optokoppler in den Raum warf. Lässig im Stuhl liegend, von oben herab an mich gerichtet. Lichtwellenleiter und Optokoppler mag in seinem Kopfmemory zusammenpassen wie Hund und Knochen, dennoch war es nicht die erwartete Antwort, der Kursleiter ging auch nicht näher darauf ein und bemühte sich, das Verfahren zu erklären.
Bis von links „Optokoppler“ erklang. Meine Güte, nun lasst den guten Herren doch einmal ausreden. Doch die Sache war schon gelaufen, der dritte setzte an; „Beim LWL-Kabel ist es einfach wichtig, du darfst dies nicht biegen.“
Dies wäre mir schon klar, ich sei kein Idiot, wüsste nur gerne… „Nicht biegen, dies geht kaputt!“, im Sperrdruck.
Is nich wahr?!
„Mich würde einfach interessieren, wie das Verfahren funktioniere.“
Der Herr in der Mitte des Raumes wollte eben wieder zur Erklärung ansetzen, als es von rechts ertönt; „Deswegen haben wir auch diese robusten Stecker. Ganz einfach anzuschliessen, in diesem Sinne.“; nickend wandte er sich dem Kursleiter zu, die Gestik drückte aus; Du kannst weiterfahren, keine Ursache, ich unterstütze dich gern. Verzeih, dass wir einen solchen Idioten dabei haben.

Dies zog sich über Tage dahin. Einer dieser feinen Teilnehmer wusste sich immer in Szene zu setzen, indem er die Aussagen des Kursleiters mit Jawohl, Genau und Richtig unterstrich. Dabei auf dem Stuhl immer leicht zu den Übrigen gewandt. Ein anderer las den projezierten Textteil von der Wand und fiel dem Herrn Lehrer ins Wort, sobald sich aus dem Kontext ergab, dass nur noch besagte Aussage folgen konnte, während der Dritte wie ein Papagei die letzten Silben nachplapperte. Ganz im Sinne von; Wollte ich auch eben sagen.
Wobei wir dem Umstand, dass die Herren lesen konnten durchaus Respekt zollen möchten, was ich so auch zum Ausdruck brachte. Zur Hervorhebung des sarkastischen Untertons hätte ich wohl ein entsprechend beschriftetes Schild schwenken müssen, da sich die Herren nicht etwa auf die Zunge bissen, sondern beflügelt noch unterstützender in den Unterricht eingriffen.

Schrecklich diese Geltungssucht, wider jeder menschlicher Vernunft. Sagt einer, welcher einen Blog schreibt, ich bin mir der Ironie sehr wohl bewusst.

Da der Röhrenfernseher in meinem Hotelzimmer bestenfalls ein Mäusekino darstellte, die Programmreihenfolge jeglicher Logik entbehrte und vernünftige Sender komplett fehlten, verbrachte ich viel Zeit an der Bar und sprengte mein Spesenkonto.
Leicht angetrunken lässt sich auch die Gesellschaft leichter ertragen. Zu meiner Rechten platzierte sich ein computerbegeisterter Personenschützer. Wenn er nicht über sein Mobiltelefon lauthals schreiend die Kollegin beim Einrichten ihres E-Mail-Accounts unterstützte, „SSL, DU MUSST SSL ANKLICKEN“ – ich muss unbedingt solch kluge Wörter in meinen Alltag einbauen, etwa Türklingel oder Computer – berichtete er von seiner wilden Kindheit, der Ausbildung beim Personenschutz und seinen Heldentaten bei der Schweizer Armee.
Ich befürchtete, mein Fremdschämen würde erst enden, wenn ich sturzbetrunken vom Hocker rutschte, als ihn die Bardame mit seinem Mobiltelefon vor die Tür verwies.
Damit er sich den nächsten Faux-Pass leisten konnte.

Korrigiert mich, aber ein gewisser Reiz beim Kennenlernen anderer Personen liegt doch darin, dass man nichts über selbige weiss und wird durch spielerische Geheimniskrämerei noch gesteigert.
Als der Herr Bodyguard, seine Ausbildung hat er wegen nicht näher umschriebenen Umständen nie abgeschlossen, wieder zurückkam, wollte er die Dame beeindrucken. Vor der Tür hat er aufgrund ihrer Autonummer den vollen Namen und die Adresse in Erfahrung gebracht, sie gegoogelt und lebte nun tatsächlich die Meinung, wenn er seine Stalkerqualitäten offenlegte würde sie wie Wachs schmelzen. Dies wäre eben sein Job.
Ich rechnete damit, dass er jeden Augenblick seinen Micky-Maus-Detektivklub-Ausweis und die YPS-Fingerabdruck-Ausrüstung zückte und wäre am liebsten mit leisem Plopp in einer blauen Wolke verschwunden.
Doch statt mich aus der Sache rauszuhalten, wollte er nun altersmässig geschätzt werden und konnte es nicht umgehen, zu erwähnen, dass wir uns einen Jahrgang teilten.
Ich tu mich schwer mit meinen Lenzen, gebe ich offen zu und schätze es, dass ich in selbem Masse von meinem Babyface profitiere, wie ich die ersten 25 Jahre darunter litt. Doch dies ist natürlich hinfällig, wenn mich ein abgehalfterter, verkappter Jerry Cotton dermassen bloss stellt.yps-detektiveDass solche Trottel erreichen was mir wohl zeitlebens verwehrt bleibt, gehört in meinen etwas voreingenommenen Augen zu den Mysterien des Universums. Er ist tatsächlich verheiratet und hat zwei Kinder. Daher, betonte er, er wolle die Frau für mich klar machen. Nicht, dass ich darum gebeten hätte.
Ich versuchte ihm daraufhin klar zu machen, dass selbst eine tote Ratte auf dem Barhocker neben mir einen besseren Wingman abgeben würde, als die Vorstellung, welche er die letzte halbe Stunde geboten hätte. Unter schallendem Gelächter gab er mir ein Bier aus und ich gab mich der Überlegung hin, ob ich eigentlich rätoromanisch spreche.

Der nächste aus der Gruppe setzte sich an den Tresen und knüpfte beinahe nahtlos da an, wo der Bodyguard geendet hatte.
Seine Stärken waren jedoch anders gelagert. So bezeichnet er sich als eine Mischung von Rocco Siffredi und John Holmes. Die Sprüche flacher als ein Bierdeckel und das Niveau nicht höher angesiedelt, als selbiger, wenn er einem wippenden Bartisch unterlegt ist.
Auf meinen verzweifelten Ruf, dass ich gerne noch ein Bier hätte, reagierte die Dame, sie komme gleich. „Höhö, jetzt kommst du schon zum dritten Mal, ist der so gut?“. Ganz professionell lachte die Barfrau natürlich, ist ihr Job, was den Herren im Glauben ob der Wirkung seiner Sprüche noch bestärkte. „Und geh ihm noch an die Nüsse hähä, meine fülle die Nüsse nach, höhöhö“, schlägt sich vor Begeisterung gleich selbst den Schenkel rot.
Obwohl es sogar dieser Typ geschafft hat, eine Frau zu ehelichen bitte ich dennoch; Schlagt mich auf der Stelle tot, wenn ich es nicht mehr schaffe ein Gespräch zu führen, ohne mir ob meiner unglaublich sorgfältig gewählten, schlüpfrig zweideutigen Bermerkungen selbst auf die Schulter zu klopfen. Obwohl es natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass genau dieser Weg zum Ziel führt. Aber lieber darbe ich in Einsamkeit.

Irgendwann kommt der Moment, da die Sturzbetrunkenen tiefgründig werden.
„Eigentlich wäre das Verhältnis Arbeit und Kaugummi, nicht ausgeglichen und ein Papier würde doch erst leben, wenn man… und darum…. er lieber 500 weniger verdienen, dafür jedoch weniger Weihnacht… aber wenn dann der Schnee und darum Gänseblümchen… es gehe doch um die Kinder!“
Zustimmend brummt es links und rechts und die Helden der Theke weinen in ihr Bier, weil sie doch so hart schuften und überhaupt, alles Arschlöcher.
Richtig glücklich wären sie doch eigentlich, wenn sie in einer Höhle leben und jagen würden.
Durch meine Aussage, dass ich mir aufgrund der letzten drei Stunden sehr wohl vorstellen könne, dass sie mit Fell und Keule in einer Höhle leben könnten, versicherte ich mich der Freundschaft, dieser tollen Leute.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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