Zu erschöpft, einen Titel zu tip…

Noch wenige Stunden und ich habe es geschafft.
Eine ganze Woche nichts gearbeitet.

Ja, wir wollen es nicht schmälern, dies ist sogar für einen Bundesangestellten eine ordentliche Leistung!

Montags bin ich noch los, mit der Sonne im Herzen und einem Lied auf den Lippen. Beinahe pünktlich im Betrieb eingetroffen und voller Elan den Schreibtisch umrundet. Die pflichtbewussten nehmen ihr Notebook nach Hause, man rechnet jede Minute mit der Apokalypse. Ich bin mir jedoch sehr gewiss, auch wenn der Büroturm einstürzt, wird meine kleine Schreibtischecke noch unbeschadet da stehen, dass ich einen Platz finden und sofort mit der Arbeit beginnen möge. Deswegen bleibt auch das Notebook hier, fährt nun hoch und erwartet die wichtigen Mailnachrichten.

Da meine Assistenz noch nicht da war, ja, wäre da Arbeit vorhanden, könnte ich diese sogar delegieren, legte ich vorsorglich selber ein neues Paket Papier in den Drucker. Vom Umweltschutzpapier aus irgendwelchen Sandwich-Tütenleichen bis hin zum handgeschöpften, schneeweissen und shiny beschichteten 200 Gramm Papier. Denn etwas, was in einem ordentlichen Bundesbetrieb immer läuft, ist das Vernichten von Bäumen.
In meinem Fach hatte ich vier Versionen des Ferienplan auf blütenweissem A3 in Urkundenstärke, weil letzte Woche einer seine Urlaubsplanung geschoben und wieder rückgeschoben hatte.
Als ich an den Schreibtisch zurückkehrte, wartete da der Chef mit dem Ausdruck in der Hand; „Dies habe ich dir eben als Mail gesendet…“

Ich trauere dem Faxgerät nach.
Die Anrufe; „Du, ich habe dir eben ein Fax gesendet, es geht um…“ hatten doch einfach ihren Charme.

So gegen halb zehn weckte mich der Klinkenputzer. Ja, wir haben eine Kolonne, welche jeden Tag zweimal patrouilliert und jede Klinke desinfiziert. Finde ich saumässig wichtig. Könnte mich schlau machen, aber behaupte nun einfach, dass die Sache in ihrer Sinnhaftigkeit irgendwo zwischen einer Traktorenlieferung in ein Drittwelt-Land (Kinder meiner Generation kennen die Problematik) und einer Corona-Impfung für einen 101-jährigen rangiert.
Also der Herr Klinkenputzer mag wohl die aktuellen Viren und Hinterlassenschaften abwischen, aber wenn jemand nach 5 Minuten hingrabscht, sind wir soweit wie vor der Aktion. Aber drei Personen verdienen so ihr täglich Brot und ich muss ihnen zugute halten, sie arbeiten zumindest für ihr Geld.
Das „Guten Morgen“ und „Grüäzi“ des Herren mit der Schirmmütze und den unanständig neuen Adidas-Schuhen wird jeden Tag ein wenig zynischer, ich fühle mich ertappt. Und mit jedem Tag geht er mir ein wenig mehr auf den Senkel. Zu Beginn war er ein wenig mein Lichtblick; sieh dir den an, es könnte noch schlimmer kommen. Mittlerweile stehe ich kurz davor, ihm Sprühflasche und Lappen zu entreissen, nur um irgendeine Beschäftigung zu haben.

Dienstags erhielt ich ein nettes Telefon.
„Wir müssen ihr Vorstellungsgespräch verschieben… Corona…“.
Wieviel wolltet ihr denn dazu einladen? Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich ein Vorstellungsgespräch will, an welchem mehr als 5 Personen teilnehmen. Hat mehr was von einem heissen Stuhl.
Zudem „Echt jetzt? Ich habe frei genommen und ein Hotel gebucht, weil ihr dies in aller Frühe angesetzt habt!“
„Ja… die HR… Aber kannst ja ein Tag Skifahren oder so… Will Dir nichts versprechen, aber könnte März, eher April werden…“.

Gleichentags setzte ich mich zum Chef-Chef ins Büro.
Irgendwie übergehe ich meinen direkten Chef nicht so gerne, aber der ist dank meiner Vorgänger so sehr in der Illusion gefangen, dass meine Stelle ein 120 Prozent-Pensum erfordert, dass er die Wahrheit nicht sehen will, auch wenn ich in Shorts in meinem Stuhl liege und Mai-Taj aus einer Kokosnuss schlürfe. Und ihn jedesmal auf den Boden der Tatsache zu holen wirkt auf mich, als würde der an Demenz leidende Opa jeden Tag aufs Neue erfahren, dass seine Frau nicht mehr lebt. Nicht, dass ich mir aus seinen Gefühlen etwas mache, aber wie bei Schulkindern, irgendwann muss man auf Bestehendes aufbauen können um vom Fleck zu kommen. Man kann nicht jeden Tag aufs Neue das Geheimnis von 1+1 ergründen.
Und deswegen greife ich eben auf den Chef-Chef zurück.

„Was denkst du, kannst du deine Arbeit auch im Home-Office erledigen?“
Dies fragte er mich tatsächlich und ich war einen Moment sprachlos. Mich, der ihm seit 5 Monaten in den Ohren liegt, ich würde eigentlich gerne arbeiten und nicht nur präsent sein und gut aussehen.
„Zeitung lesen kriege ich zuhause hin. Denke ich. Ja, ich bin mir ziemlich sicher.“
„Ja, wir müssen ja prüfen ob es geht…“
„Falsch, es ist kein Wunschkonzert. Wir müssen ins Home-Office. Punkt. Und wenn wir gleich so nett plaudern. Wir müssen an den Arbeitszeiten schrauben. Ich sitze wegen der Präsenzzeit jeden Tag zehn Stunden hier und habe Arbeit für vielleicht eine. Wenn ich sie strecke.“
„Ja, die Zeiten haben wir schon lange…“
„Wunderbar, dann ist der Januar ja ein perfekter Zeitpunkt, das System zu überdenken.“

Wenn der Chef-Chef etwas bespricht bedeutet dies leider noch lange nicht, dass ich darauf eine Antwort erhalte. Denn im Gegensatz zu mir hält er den Dienstweg ein und geht zu meinem Chef. Und bei meinem Chef habe ich eine Hol-Schuld, weil er irgendwie stets um Worte ringt und nichts zur Sprache bringen kann.

Donnerstags hiess es; „Also wenn du mal denkst, die Arbeit gehe im Home-Office… also wenn du es schaffst, das alles… ungeniert einfach im Kalender eintragen… und sagen“.
Mögt ihr dies auch? Dieses „Ja mach einfach. Aber frage mich vorher“.
Im Geiste sah ich mich schon im verlängerten Wochenende; „Gut, morgen bleibe ich zuhause.“
„Hmmm, ja… also Morgen… der Chef und ich haben eine Konferenz… gut, der Max wäre auch noch da… aber irgendwie…“
„Soll ich her kommen?“
„Ja… also ich weiss nicht… vielleicht“
„Also, ich komme morgen ‚arbeiten'“.
„Ja gut… wenn du willst… ja, vielleicht wäre es nicht schlecht…“

Ich startete heute mit dem Lesen von „Laufen, Essen, Schlafen“. Also eigentlich bin ich bald fertig, habe schon Anfangs Woche begonnen. Eine Frau, welche ihren geschätzten Job aufgab um nur noch Fernwanderwege zu absolvieren. Wie einfach müsste es mir fallen, den verhassten Job zu schmeissen? Aber da steckt einfach zu sehr Schweizer in mir. Ja was machst du denn im Alter. Du brauchst doch eine Arbeit. Die Krux ist, dass ich mit grösserer Gewissheit sagen kann, dass ich mit 65 nicht mehr trekken kann, als dass ich behaupten könnte, ich hätte mit 65 eine gesicherte Altersvorsorge. Also eigentlich sollte man, aber… Eben. Zuviel Schweizer in mir.
Gegen zehn Uhr, während des Lesens der Zeitung wurde ich gewahr, dass ich ja die Börsenkurse checken wollte. Verkaufte gestern Mittag zum perfekten Zeitpunkt Optionen, was mich seelisch über den Tag rettete und wollte heute reinvestieren. Aber alle Titel hatten das Morgentief überwunden, strebten nach oben, also liess ich die Schäfchen im Stall.

Danach war mir nach Gehirnjogging. Ich löste zwei Logistiker-Zwischenprüfungen in VWL und Finanz- und Rechnungswesen. Nicht weil ich Logistiker werden will, sondern weil ich bei einer Bewerbung aufgrund Ermangelung dieser Ausbildung ins Hintertreffen geriet, und mir dies am Selbstwert nagt. So in etwa: „ja, ich sehe, sie können Lastwagen, Frachtschiffe und einen Airbus lenken, aber wir suchen jemanden, der den Staplerausweis besitzt, sie verstehen…“
Obwohl ich diese Entwicklung als Wink des Schicksals sehe, welches mich in einer Weise gewiss vor grösserem Übel bewahrte.

Grösseres Übel, als täglich zehn Stunden Löcher in die Luft zu gucken?

„Hoi, wie gehts?“
Ich weiss nicht, wie ironisch ich mein „wunderprächtig“ auf diese tägliche Frage des Chef-Chef noch formulieren kann, bis er diese sinnentleerte Phrase lässt. Nachteil der Maske, Emotionen gehen unter.
Natürlich könnte ich darauf eingehen, aber irgendwann fühlt man sich wie ein trotziges Kind, wenn man gebetsmühlenartig die eigene Unzufriedenheit wieder und wieder runterleiert. Mir ist mittlerweile klar, dass ich die Sache selber regeln muss und freue mich… wollte gerade tippen, wenn ich die Arbeit hier niederlegen kann.

„So Kopf durchlüften… Uff…“
Mein direkter Chef ist beileibe kein böser Mensch, aber eine verdammte Dramaqueen.
Ich könnte schwören, wäre da nicht eine solide Tür dazwischen würde ich jeden Tag um 14:30 hören „Uff, ja… das ist ein schöner Haufen, kein Wunder musste ich so pressen….“.
Der liebe Gott müsste auf Genesha zurückgreifen, weil einfach zwei Hände nicht ausreichen, ihn so oft zu verdammen, wie er den Herrn darum bittet.
„Gopferdammi das Excel versecklet mich…“
Also Excel verseckelt ihn ungefähr fünf Mal pro Stunde und wenn es nicht Excel ist, dann hat der Dienstleister „zwenig Fäde im Bode“ oder sie „hocked in Bern uf de Leitig“. Eigentlich egal, denn auch wenn er nur einen neuen Packen Papier in den Drucker legt, wird der ganze Büroturm darüber informiert, weil er einfach nicht einen Bogen in den Drucker legen kann, ohne zu rufen „Scho wieder das huere Papier fertig…“
Es würde viel weiter reichen, würde er nicht jeden hueren Seich ausdrucken, aber…

So, ich glaube, das wäre es für den Moment. Nur noch 90 Minuten absitzen und ich kann in das Wochenende.
Habt ihr überhaupt eine Vorstellung, wie dünn sich ein solches Wochenende anfühlt, wenn man es sich überhaupt nicht verdient hat? Ja, hätte ich auch nie gedacht. Aber beruhigend, dass ich noch so empfinde.
Denn der eine, wahrhaftige und vollendete Bundesbeamte bin ich erst, wenn ich mich nach einer solchen Woche mit Schweiss auf der Stirn verabschiede und endlich ins Wochenende kann.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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