Und schon wieder eine dieser Challenges…

Der Grundgedanke sogenannter „Challenges“ im Social-Media-Bereich hat sich mir nie klar erschlossen. Wobei sich die Bemühungen meiner Recherchen auch im Zaum gehalten hat, will ich fairerweise einräumen.

Dass sich die Grundidee solcher Challenges wenig verbreitet, liegt wohl auch an der gelungenen Selbstinszenierung durch im Rampenlicht stehende Personen. Sogenannte Prominente jeglicher Kategorie wollen ja stets auf ein bestimmtes Anliegen aufmerksam machen. Die dafür verwendeten Mittel, vorwiegend Titten und Ärsche (bewusst verwende ich die unflätige Wortwahl um aufmerksam zu machen) lenken jedoch vom Thema ab, dass zu guter Letzt hauptsächlich der Promi auf seine Person aufmerksam macht und damit die Challenge dem, wenn auch nur im Subtext genannten, eigentlichen Zweck zuführt.

Mitmenschen welche sich nicht konsequent den Promischlagzeilen entziehen erinnern sich daran, dass sich Helene Fischer im weissen Top mit Eiswasser übergiessen liess. Den Grundgedanken der Ice-Bucket-Challenge müssten wir googeln.

Inwiefern es Menschen mit Prostatakrebs zugute kommt, wenn ich mir im November einen stattlichen Schnurbart stehen lasse weiss kaum einer, aber sich einen Monat lang nicht rasieren und dies als Solidarität verkaufen ist doch eine gute Sache. Und ob wir nun Zimt fressen, planken, in kalte Seen springen, einen Schnaps mit einer Dose Bier auf ex runter spülen oder die Zehennägel wachsen lassen, unterm Strich ist es stets die Selbstinszenierung.

Nicht alle Nebeneffekte sind von übel. So motivierte mich mein guter Marsch- und Trekkingkumpane zur Gipfelchallenge 2021. Mit seiner ihm eigenen Art, mich mitzureissen.

„Ich mache die Gipfelchallenge 2021. Brauche eine Motivation den Arsch zu heben. Du?“

„Ok.“

„Gut“

Hätte ich ein „Nä“ geschrieben, wäre auch ein „Gut“ gekommen, eine Charaktereigenschaft, welche ich so sehr an ihm schätze. Wenn das Gegenüber Nein sagt, bedeutet dies einfach Nein und kein „Ich ziere mich jetzt ein wenig, was im Gegenzug bedeutet, dass du mich richtig beknien sollst und ich dann doch einlenke“.

Wenn der eine sagt, ich sehe die Hand nicht vor Augen, stapfe jetzt aber dennoch durch den Hüfttiefen Schnee zur Schwägalp und der andere meint „Nä“, muss hier nicht in der Brise von gefühlten -10 Grad diskutiert werden und ich stapfe einfach zurück zur behaglichen Gondel.

Der Grundgedanke der Challenge war, dass eine Marketingorganisation den grossen Reibach macht. Die publizierte Idee „Jeder Höhenmeter zählt!“. Wer schafft im Monat Februar die meisten Höhenmeter.

Man legte sich ein Ziel fest.

1000 Höhenmeter für den gelegentlichen Spaziergänger, die „Alltagsaufsteiger*innen“.

2962 Höhenmeter für die etwas Ambitionierteren, die „Zugspitze“. Die Zugspitze steht in Deutschland als synonym für das Dach der Welt.

3798 Höhenmeter für den „Grossglockner“ und ich müsste googeln, wo der steht. Vermute mal in Österreich.

4478 Höhenmeter für… komm, das wisst Ihr. Richtig, das „Matterhorn“.

5895 Höhenmeter für den „Kilimandscharo“ und zu guter Letzt,

8848 Höhenmeter für den „Mount Everest“.

Natürlich wählten wir letzteres, weil da einfach nichts Höheres mehr kam. Dies im Team. Was für mich ganz gut war, da ich im Sinne der Kameradschaft daran gehindert wurde, bei 5000 Hm einfach den Bettel hinzuschmeissen und des Kollegen Ambitionen im Sinne des Wettbewerbs durch meine Trägheit egalisiert hätte.

Wie erwähnt, war der Grundgedanke der Challenge, dass sich die W3 Marketing GmbH ein goldenes Näschen verdiente, und Marketingmenschen haben sich dann auch mit Höhenmeter auseinandergesetzt. Was Schweizer Wanderfreude aus dem FF berechnen sind Leistungskilometer. Dies, weil zum Beispiel die Überwindung eines Gefälles über 20% nicht einfach ein Sonntagsspaziergang ist und entsprechend in die Berechnung einfliessen muss. Hat die Marketingfirma nie davon gehört, es zählen nur Aufwärts-Höhenmeter.

Einen Unterschied, ob diese nun durch hüfttiefen Schnee, auf einer Asphaltstrasse, auf dem Stepper im Fitness oder gleich mit E-Bike und Seilbahn bewältigt werden machen sie auch nicht. Obwohl sie nach unserer Rückfrage die eingesandten Daten genauestens analysieren!

Unterschiedliche Kategorien sucht man ebenfalls vergeblich. Profisportler, welche Zeit und Musse fanden, im Schnitt angeblich täglich 3600 Höhenmeter (am 28. mal eben 7094) hinzuwerfen traten gegen berufstätige Hobbywanderer an.

Die Zahlen wurden selber eingetragen und durch einen Screenshot von der App, der Uhr oder einem Eichhörnchen am Wegesrand bestätigt. Letzteres wollte ich zu gerne versuchen, fürchtete aber die Disqualifikation des Teams.

Das Ganze war also sehr intransparent, ich möchte durchaus von unlauterem Wettbewerb sprechen. Als würden die Formel-1-Teams jeweils ihre Rundenzeiten bekannt geben, eine Stoppuhr fotografieren und darauf wird die schnellste Runde und der Tagessieger ermittelt.

Unter den Zweier-Teams fanden sich richtig illustre Namen. Straight to the top. Mountain Addicts. Running Girls. Speedteam. International Spirit 4 um nur einige zu nennen.

Als Kontrast zu all diesen kraftvollen, motivierenden und pushenden Ausdrücken, wohlklingend respekteinflössend und teamgeistfördend, hatten die Schweizer Vertreter, also wir, auf dem Trikot den klangvollen, bodenständigen Namen „Wurst mit Brot“.

Geht auf einen Emil-Sketch zurück.

Wir hatten nichts weniger zum Ziel, als diesen Namen in der Siegerehrung zu hören und arbeiteten uns unter Einhaltung aller Regeln kontinuierlich vor. Es reichte für das Stockerl, auf einem grandiosen 3. Platz, so würden Schweizer Ski-Kommentatoren berichten, beendeten wir die Challenge. Nicht, dass wir etwas davon gehabt hätten. Ausgezeichnet wurden die werbeträchtigen Profis, welche den Februar vollumfänglich in den Dienst des Events stellten.

Rückblickend bleiben doch einige positive Aspekte.

Die körperliche Fitness hat keineswegs Schaden genommen und ich stellte fest, gar meinem Seelenheil ist es zuträglich, jeden Abend den Hügel vor der Haustür hochzusteigen. Diese Stunde Auszeit um drei bis vierhundert Höhenmeter und fünf bis sieben Kilometer im dunklen Wald zu gehen, verlieh dem Tag den Sinn, welchen die tägliche Arbeit vermissen liess.

Manchmal agierten wir tatsächlich als Team.

Nahe der Herisauer Psychatrie marschierten wir sechsmal über den Hügel mit der Burgruine Rosenburg und zurück um Höhenmeter zu sammeln. Eigentlich rechneten wir fest damit, dass bei der zweiten Umkehr freundliche Herren in weiss bereitstehen würden, die ausgebüxte Klientel wieder in sichere Obhut zu bringen.

Nichts dergleichen geschah und so konnten wir uns eine Woche später am Hohen Kasten versuchen, bis die Schneemassen uns zu verstehen gaben, nun wäre es auch wieder gut. Kein Grund, um nicht auf halbem Weg die Richtung zu ändern und auf der anderen Seite nochmals hochzusteigen. Jeder Höhenmeter zählt.

Die Definition von Wahnsinn sei, etwas stets aufs Neue, dieselbe Weise zu versuchen und sich ein anderes Resultat zu erhoffen. Daher waren wir am letzten Wochenende am Kronberg zu gange. Mit grossen Rucksäcken, ausgerüstet für ein Biwak. Der eine wintertauglich, der andere etwas weniger. Das letzte Wochenende im Februar sollte ein versöhnlicher Abschluss der Challenge werden.

Nach dreihundert Höhenmeter drohte der Abschluss alles andere als versöhnlich zu werden und wir entschlossen, die Wetterlage auf dem Gipfel zu checken.

Kurz mit der Bahn hoch und uns an der Nebelsuppe den Kopf gestossen. Es gibt Zeitgenossen, welche sich von solchen Widrigkeiten auf das Sofa treiben lassen und andere, welche erst richtig herausgefordert werden.

Im Team und „Wurst mit Brot“ waren beide vertreten.

„Bis zur Gabelung Schwägalp – Jakobsbad komme ich mit, da treffe ich eine Entscheidung.“

„Gut“, lautete die Antwort und ich trotte dem Kollegen hinterher. Im Instrumentenflug.

Der Wegweiser kam überraschend früh. Angesichts der Tatsache, dass ich kaum die Hand vor Augen sah, im Schnee stapfte und geländeunkundig war, beschloss ich, den Rückzug zur Bergstation anzutreten, während mein Kollege zur Schwägalp weiterziehen wollte.

„Gut.“

„Tschau.“

Und während ich so in der Gondel sass, bemerkte ich schon die Kratzer an meinem Stolz. Nach dem Abzweiger „Herisau – Schwägalp“ wendete ich mein Fahrzeug und fuhr auf die Schwägalp hoch. Mal die Gegenseite checken.

Mein Kollege hatte sich mittlerweile entschlossen das Biwak aufzuschlagen, nachdem jeder Schritt Buddelarbeiten im Schnee erforderte.

So ganz alleine wollte ich ihn doch nicht lassen und beschloss, von der Schwägalp aufzusteigen.

Der Akku meines GPS war bei den letzten Strichen und da es sich abzeichnete, dass es ein reiner Instrumentenflug werden sollte beschloss ich die Batterien zu wechseln. Um festzustellen, dass die Ersatzakkus, seit Finnland 2020 nicht mehr gebraucht, leer waren. Stellte ich natürlich erst fest, als ich die Schuhe geschnürt hatte und losmarschiert bin.

Ab ins Hotel Säntis, dort ist ein Shop, welcher mir bestimmt Batterien verkaufen würde. Hätte vielleicht, wäre er nicht dank Corona geschlossen gewesen.

Zähneknirschend gab ich auf und fuhr zurück.

Bis mir in Urnäsch die Coop-Filiale quasi vors Auto sprang.

Mit neuen Akkus zurück auf die Schwägalp, der Salzstreuwagen bremste mich ungünstig aus. Noch eine Stunde und zwanzig Minuten Tageslicht, meldete das neu zum Leben erweckte GPS.

Einem Handyzombie gleich, stapfte ich mit dem Display vor Augen durch Schnee und Nebel. Eigentlich war das Tageslicht nicht weiter massgebend.

Noch rund 1.5 Kilometer lagen zwischen uns, ich hätte nun absteigen sollen. Worauf ich so gar keine Lust hatte.

Wir sind beide grosse Jungs, können auch alleine schlafen.

Am nächsten Morgen ergab es sich, dass wir doch noch zusammen den Frühstückskaffee einnehmen konnten. Bei gefühlten minus zehn Grad, aber bei Sonnenaufgang und einer grandiosen Aussicht auf das Nebelmeer.

Auch wenn das gesteckte Leistungsziel für das letzte Wochenende, zumindest meinen Anteil betreffend, nicht ganz erreicht wurde, fand die Challenge doch einen versöhnlichen Abschluss. Und es zählt ja die Teamleistung.

Der teaminterne erste Platz, ergebnisbereinigt, geht an Fabian mit 13434.4 Höhenmetern und ich trug 10895 bei.
Dafür legte er eine Wegstrecke von 324 Kilometern zurück, ich brachte es auf 200.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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