Die Blockchain

Aufgrund totaler Unterforderung betreibe ich gerne etwas Gehirnjogging.
Heute erkläre ich euch die Blockchain.

Der Bitcoin steht gerade bei 33’000, also das Dreifache vom letzten Oktober. Ich habe keine. Ihr wahrscheinlich auch nicht, also konzentrieren wir uns auf die Technik.Unabhängig davon, ob sich Kryptowährungen halten (sie werden), wird sich die Blockchain als Technologie durchsetzen. Nicht zuletzt in der Logistik.

Ich gehe in die Migros und kaufe mir ein Springbock-Steak. Keine Ahnung wie sowas schmeckt, aber ich brauche ein Beispiel, welches in der Beschaffung etwas komplex ist.Betrachten wir die Beschaffungskette, die Supply-Chain, vom glücklich springenden Böckchen bis zum Steak auf meinem Teller. Und bei diesem Gedanken vergeht mir eigentlich schon wieder ein wenig der Appetit.

Da ist nun also der Jäger, welcher es jagt. Dieser muss wohl belegen, dass die Springböcke nicht geschützt sind. Ich nehme an, mit einer Abschuss-Legitimation für Springböcke, ausgestellt von einem überarbeiteten Beamten im Springbock-Populations-Kontroll-Amt. Diese muss der örtliche Fleischeinkäufer kontrollieren.

Dann wird das Tier ausgenommen und muss in die Kühlkammer. Der Fleischverarbeiter muss belegen, dass er dabei nicht dreissig Kinder aus dem Slum beschäftigt, sondern Arbeitnehmer, welche geschützt, versichert und überhaupt im Grundsatz sehr glücklich sind.

Nun muss der Springbock auf das Schiff, es gilt Zollformalitäten zu erledigen.

Der Springbock-Container wird in Rotterdam vom Schiff auf den LKW verladen. Der Zollbeamte will kontrollieren, ob im Springbock-Container wirklich besagter Springbock und nicht ein Sack Kokain und ein Beutel Blutdiamanten liegen. Der Einkäufer wiederum wird wohl einen kurzen Blick in den Kühlcontainer werfen und kontrollieren, ob das Ding auch schön tiefgefroren ist. Während der Spediteur beim Leben seiner Grossmutter versichert, dass dies auch bei der gesamten Überfahrt so war. Paco hat es stündlich gemessen und auf seinem Blatt eingezeichnet, welches der LKW-Fahrer nun übernimmt.

Vor dem Grenzübertritt in Basel hat der Zollbeamte mittlerweile einen kompletten Bundesordner an Bescheinigungen und Frachtpapieren durchzublättern. Macht er und lässt sich Zeit. Ist ja Beamter.

Im Verteilzentrum der Migros werden die Papiere abermals gewälzt, Übersetzer und Kryptologen herbeigezogen, weil der Schlachter in Afrika eine furchtbare Schrift hat. Aber, morgen könnte der Kassensturz vor der Tür stehen und dann muss man versichern, dass der Springbock gesund war, der Schlachter glücklich, der Kadaver gekühlt, der Transport bezahlt, der LKW Co2-Neutral, die Zoll-Formalitäten korrekt abgewickelt wurden, der Preis nicht überrissen ist, dass im Berner Oberland keine Springböcke leben und man deswegen aus Afrika importieren musste und dieser nun in der Filiale Oberwinterthur im Regal 35, Ebene B liegt. Und gekühlt ist. Dies alles will der Konsument wissen, er zahlt ja schliesslich 3.95 CHF für das Kilo und ist sehr daran interessiert, dass alles seine Ordnung hat.

Wir sehen, ein Stück Fleisch macht nicht nur eine ziemliche Reise bis auf meinen Teller, es sind auch unzählige Formalitäten zu erledigen. Und verbraucht dabei wohl drei Schwimmbäder Wasser, weil die Ökologieverträglichkeit in Liter Wasser gemessen wird, wie jedes an sich gängige Flächenmass in Fussballfeldern. Das Publikum will es so.

Bei der ganzen Logistikkette, und ich will Paco ja nichts unterstellen, stehen wir vor ein paar Herausforderungen. Wenn der fleissige Paco am vierten Tag der Überfahrt bemerkt, er ist ja nicht dumm, dass die Temperatur plus-minus immer dieselbe ist, wird er das Formular doch nach Gutdünken ausfüllen. Wie Du und ich auch. Und wenn er am 6. Tag feststellt, dass sein Lidl-Badethermometer in Froschform seit Beginn der Fahrt hinüber ist geht er auch nicht hin und bricht den ganzen Transport ab. Der Schlachter vergass ein Kreuz, welches der Kapitän noch kurz hinzugefügt hat und weil der Brennstoffzellen-Brummi gerade an der Ladestation steht, ist der Fahrer eben mit einem alten Saurer 10DM von Rotterdam nach Basel gefahren. Ich bin Migros-Kind, aber nehmen wir mal an, ich hätte das Fleisch bei Crazy-Achmed gekauft, wäre vielleicht auch noch die ein oder andere Haltbarkeitsdatum-Korrektur angebracht gewesen.

Der Jäger arbeitet mit Handschlag, der Schlachter in Afrika benutzt Block und Bleistift, der Frachter-Kapitän hat schon einen Bleistift, der Zollbeamte mit Durchschlagpapier und Schreibmaschine, der Brummi-Fahrer sagt „Passt schon…“ und die Migros nutzt SAP.

Wir haben hier also eine Versorgungskette mit sieben völlig unterschiedlichen Systemen, sie ist so fälschungssicher wie eine Adidas-Trainerhose in der Hand von Chinesen und aufwändig wie ein Antrag zum Corona-Kredit.

Und hier kommt die Blockchain ins Spiel.

Eine Blockchain ist wie ein Gruppen-Chatverlauf.Wenn ihr in die Feierabendbiergruppe tippt, haben das 5 Kollegen auf dem Handy. Obwohl ihr zwei Sekunden später feststellt, dass die „Mutti hab dich lieb“-Nachricht in den falschen Chat geraten ist, gibt es nichts mehr zu löschen. Dies macht die Blockchain so sicher. Die Information ist nicht auf einem Server gelagert, sondern auf unzählige Rechner verteilt. Schmiert einer ab, sind noch 599 im Netz, da geht nichts verloren.

Fügt nun jemand eine Information hinzu, wird diese erst von allen vorhandenen Rechnern kontrolliert, verifiziert und wenn diese finden, passt, wird diese der Blockchain hinzugefügt. Dies ist das Prinzip vom „Schürfen“ und deswegen benötigt dieses Schürfen pro Bitcoin wohl etwa fünf Hallenbäder. Ja wie jetzt, verfiziert… Nichts ist übler, als einen Hergang oberflächlich zu erklären und darauf bauen, dass die Menschen nicht nachfragen, weil sie nicht als dumm gelten wollen und man sein eigenes Halbwissen gut kaschieren kann.

Die Information, dass die Arbeiter beim Schlachter sehr glücklich, weil krankenversichert, sind, steht auf einem Happiness-Index-Formular. Oder so. Statt dieses Formular mit seinen drei Durchschlägen in einen Bundesordner abzulegen, wird es digitalisiert. Es entsteht ein Block. Dieser Block soll nun in die Kette. Damit das Happiness-Index-Formular gültig ist muss es vom Amt genehmigt sein. Verwendet man das Einwickelpapier des Pausenbrotes, mag das Seelenheil des Mitarbeiters wohl festgehalten und in Ordnung sein, ist aber ungültig, weil kein amtliches Formular. Ihr kennt dies, wenn ihr schon einmal einem Mieter gekündigt habt. Ähnlich zu dieser amtlichen Genehmigung muss der digitale Block den Code des vorangegangenen Blockes beinhalten. Dies wäre also jener Block, welcher bescheinigt, dass der Jäger Springböcke schiessen darf. Nur wenn dieser Code vorhanden ist, akzeptieren die verifizierenden Computer den Happiness-Index-Block als gültigen Bestandteil und fügen ihn der Kette zu.

Der nächste Block besteht aus den Zollformalitäten. Und dieser Block muss den Code des Happiness-Blockes beinhalten um als gültig erkannt, sprich verifiziert zu werden.

Dieses Codes nennt man Hash. Die Hashs werden aus der Prüfsumme der Blöcke generiert und sind fälschungssicher. Hey, fälschungssicher gibt es nicht. Stimmt. Aber es wäre eine nicht zu stemmende Rechnerleistung dazu erforderlich. Gut, hat man vor Turing auch behauptet, aber wir wollen nun nicht abdriften.

Eine nachträgliche Änderung eines Blockes ist unmöglich. Will der Jäger zum Beispiel die Angaben nachträglich etwas korrigieren, weil der WWF verlauten liess, dass Springböcke geschützt sind, würde die Prüfsumme des Blockes verändert. Sprich, der Hash wäre nun ein anderer. Das heisst, dass der Happiness-Index-Block des Schlachters auch nicht mehr stimmt und so stürzt das ganze Kartenhaus ein.

Daher ist die Blockchain so sicher, wie etwas eben sicher sein kann.

Reisst also die elektronisch gemessene Kühlkette auf dem Transport ab, wird dies in der Blockchain vermerkt. Der Zoll kann innert kurzer Zeit nachverfolgen, woher die Lieferung kommt, ohne Papiere zu wälzen. Die Rechnung und deren Bezahlung wird gleich über die Blockchain abgewickelt. Die Migros kann mit drei Mausklicks belegen, dass der Schlachter dem Jäger ganze 75 Rappen für zehn Springböcke bezahlt hat und der Jäger gemäss UNICEF-Zertifikat davon drei Monate lebt und acht Kinder auf die Schule schicken kann. Oder so.

Natürlich wird die Blockchain nicht alle Systeme ablösen. Die aktuelle Situation zeigt uns, wie stabil ein Staatenverbund und stark das grenzenlose Miteinander ist, wenn es hart auf hart kommt. Da wird man sich kaum global auf eine Datenbank einigen. Aber sie wird Einzug halten. Alleine, weil die Papierersparnis pro Springbock-Lieferung 3.14 Fussballfelder voller Bäume retten wird.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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