Sinnbefreit in den Samstag

Am Mittwoch ist Prüfungstermin, es besteht eine gewisse Dringlichkeit, sich das Erlernte zumindest ins Kurzzeitgedächtnis zu packen. Und just zu diesem Zeitpunkt erkennt ihr, dass das Regal für Waschmittel in Eurem Keller dringend eines Ersatz Bedarf, was keinerlei Aufschub erduldet und die Wände sollten sowieso auch gestrichen werden. Ebenfalls die Wäsche, welche bereits seit drei Tagen gefaltet und verstaut werden will, muss unbedingt an jenem Morgen weggepackt werden, an welchem ihr sowieso schon verschlafen habt und eher knapp unterwegs seid.Manchmal ist einem keine Ausrede zu dümmlich, etwas unangenehmes zu verschieben. Kennen alle.

Diesen Sommer versuchte ich an der Bike to work Challenge teilzunehmen. Ich wollte den Rekord! Ich weibelte rundherum, rekrutierte die besten Fahrer. Ja, komplimentierte einen gar aus der auf vier Teilnehmer begrenzte Gruppe, um einen besseren reinzunehmen. Transfer der Spitzenklasse fanden statt. Meine treibende Kraft im Hintergrund führte nach dem Stichtag diverse Gründe ins Feld, warum er keinen Tag verbuchen konnte und jener, welcher bei Wind, Wetter, Schnee und Sandsturm unbeirrbar in den Betrieb radelte, versäumte es die App zu nutzen. Meine Motivation war ausserordentlich hoch. Ja, ich erklärte kurzerhand ein Rad, welches einige Tage bei meinem Arbeitgeber ungenutzt in der Ecke stand, zu meinem neuen Betriebsfahrzeug und scheute keinen Aufwand, es nach allen Regeln der Kunst aufzuwerten. Will heissen, pumpte die Reifen, stellte den Sattel ein und ölte alles um die Kette herum. Pünktlich zum Start regnete es, danach brachte ich den Hintern nicht aus dem Bett, hatte zu viel Krempel mitzuschleppen, ein Zwicken im Knie und im zweiten Monat dachte ich, nun müsse ich auch nicht mehr einsteigen. Grandiose drei Tage verbuchte ich auf meinem Konto.

Keine Ausrede zu dümmlich.

Seit rund einem Jahr versuche ich meine Erlebnisse auf dem Kungsleden festzuhalten. Ja, ich bin ihn gegangen. Alleine um dem mit «Aha…» quittierenden Umfeld aufzuzeigen was es eigentlich bedeutet, mal eben 375km am Stück auf den Füssen zurückzulegen. Aber ich finde nicht recht in den Text. Obwohl die Zeit drängt denn offen gesagt kann ich mich mittlerweile kaum erinnern, was ich vorgestern zu Mittag gegessen habe. Zu wissen, über welchen Stein ich an diesem Dienstag im August ’23 stolperte ist ordentliches Gehirnjogging. Und was mache ich nun, statt am Buchtext zu schreiben? Ich verfasse einen Blog-Beitrag.

Keine Ausrede zu dümmlich.

Ach? Die Mimimi-Passage ist euch nicht entgangen? Empfangt Ihr zurzeit auch alle dieselben Statusmeldungen? Damit meine ich nicht den Outlook-Abwesenheits-Assistenten, sondern soziale Netzwerke wie Whatsapp, Instagram oder Facebook. Nicht selten gucke ich auch einfach die Status – ja das Plural ist identisch mit dem Singular, habe es gegoogelt – weil ich ein ordentlicher Mensch bin. Mich nervt dieser Punkt, Kreis, was auch immer, welcher mir suggeriert «Hier ist noch eine Pendenz offen».

Kaum scheint die Sonne, dominiert ein Statusbild. Das rechte Bein leicht angewinkelt, das linke liegt am Boden, danach die Füsse und im Hintergrund irgendein Gewässer. #qualitytime #summer #tattoo
Und vergisst um Himmels Willen dieses unsägliche, geschriene «Beautiful Things» von Benson Boone nicht. Gott ich hasse dieses Lied.

Ich habe es versucht. Davon abgesehen, dass ich mein fischbauchweisses Bein ungern medial oder sonstwie präsentiere, würde ich dann doch darauf achten, dass irgendwie sowas wie eine Grundspannung im Oberschenkel wäre. Nicht zuletzt schliesst man automatisch auf den Hintern und was sonst noch kommt, wenn die Körpermasse bereits um den Oberschenkelknochen irgendwie formlos rumhängt, sprechen wir hier doch vom längsten Muskel im Körper.

Ja, mit Body Positivity habe ich es nicht so. Versteht mich richtig. Tue mich schwer mit meiner biergetränkten Wampe in der Rumpfregion und nichts weniger würde ich von der Menschheit erwarten als die Reaktion «Das schaut aber mal so richtig grandios aus». Und damit haben wir es eigentlich schon.

Jeder soll rumlaufen wie es ihm passt. Niemand soll sich anmassen, sich über den Körper des anderen auszulassen. Eigentlich wäre nun alles gut. Aber die Body Positivity Bewegung erwartet, dass ich mir ein Urteil über das Plus-Size-Modell bilde, dieses gefälligst positiv zu sein hat und ich mein Entzücken verdammt nochmal laut, also in einem Online-Kommentar, zum Ausdruck bringe. Einfach zu schweigen ist inakzeptabel, weil ich in diesem Fall die Person wissentlich ignoriere und damit eine abwehrende Haltung einnehme. Oder zusammengefasst, ich bin ein weisser, alter Hater.

Ganz schön kompliziert die Welt da draussen.

Auf Platz 2 der dümmsten Statusmeldungen setze ich irgendwelche sinnbefreite Sprüche über schlechte Menschen, Karma und was weiss ich. Menschen welche mit sich gerade nicht so im Reinen sind, dafür irgendwie einen Schuldigen suchen oder einfach mal auf die Grundschlechtigkeit der Welt hinweisen wollen, setzen dann solche «Wahre Freunde erkennst du daran…» Phrasen oder irgendwelche Vergleiche, dass einem nichts soviel Liebe wie ein Laubfrosch schenken kann in den Status. Also Meldungen, bei welchen man davon ausgeht, der Typ steht nun auf der Hemishofer-Brücke und hat sich zur Sicherheit nebst dem Mühlstein am linken Knöchel noch einen Strick um den Hals gelegt.

Die ersten drei Mal fragt man noch nach. Nach «Nein alles gut», «will nicht drüber reden» und «egal» liegt einem auf der Zunge, also im Zeigfinger, die Antwort «Dann lass den Scheiss!».

Aber man will ja nicht der sein, welcher auf der Hemishofer Brücke den Knoten kontrolliert und den finalen Arschtritt verpasst. Und muss lernen, mit nicht angesehenen Status zu leben. Das Gute daran, nach 24 Stunden verschwinden sie.

Jupp, ist mir bewusst. Zeigt man auf einen Menschen, zeigen drei Finger auf einem selbst. Auch eine dumme Phrase. Doch zumindest ist mein Mimimi formuliert und nicht eine im Bild verankerte Textzeile, welche einem grossen Philosophen wie John F. Kennedy zugeschrieben wird, obwohl es eine Songzeile von Bob Marley ist und im Hintergrund völlig sinnbefreit die chinesische Mauer sinnbildlich steht.

Aber, und dies macht mir wirklich Angst; ist es wirklich formuliert, oder war das Chat GPT? Noch bis vor zwei Jahren war die Unterscheidung relativ einfach. Personen, welche fünf Worte aneinanderreihen, diese mit Textzeichen unterbrechen können und der gesamte Abschnitt irgendwie Sinn ergibt und jene, welche die Bauchtasche um den Hals tragen.

Während die Fähigkeit sich in Text und Sprache auszudrücken dank der zunehmenden Verblödung der Menschheit kurz davor war, ein ultimatives Alleinstellungsmerkmal zu werden, macht einem die KI einen dicken fetten Strich durch die Rechnung. Selbst irgendwelche Behauptungen, wie die Präsenz von giftigen Haien in der Themse hatte zumindest noch eine Nacht lang Bestand. Heute nur noch solange, bis du aufs Klo gehst und dein Gegenüber an der Bar sich die Zeit mit dem Smartphone vertreibt. Sagte ich kürzlich während einer Zugfahrt Chat GPT, dass mir langweilig sei. Ihr erkennt die Feinheit? Ich stellte einem Computer nicht eine Frage wie dies seit jeher der Fall war, sondern ich teilte dem Rechner etwas mit und erwartete dennoch eine Reaktion. Sowas war doch bisher eigenständig agierenden Menschen vorbehalten.

Chat GPT schlug mir vor ein Spiel zu spielen. Wargames wird Wirklichkeit und ihr erkennt sogleich, wie alt ich bin. Ist dies nun ein Spiel oder Realität? Wo ist der Unterschied? Und so spielte ich mit der KI «Wer bin ich?» und erkannte, dass Menschen, welche Gefahr laufen in der Vereinsamung unterzugehen durch diese Symptombekämpfung einfach in die nächste Kapsel verschoben werden. Abhängiger denn je zuvor. Irgendwie erschreckend.

Sehr weit kamen wir nicht. Als ich das Gegenüber soweit eingrenzen konnte, dass es sich um eine Stadt handeln muss, war mein Gratis-Zugang aufgebraucht und ich musste 21:19 warten. Ob Minuten, Stunden oder Tage weiss ich nicht, auch war mir die Sache keine monatlichen 20 Franken wert. Beruhigend, dass monetäre Interessen die Verbreitung doch noch etwas eingrenzen.

Eigentlich wollte ich noch die Top 3 unter dümmlichen Statusmeldungen einsetzen, aber sie ist mir entfallen.

Zudem stelle ich fest, dass sich mein Wortschatz erheblich reduziert hat, meine Sätze identisch aufgebaut sind und sich Aussagen wiederholen. Mein eigener Text widert mich an, muss mehr schreiben. Dann klappts auch mit dem Buch.

In diesem Sinne, bis bald.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
Dieser Beitrag wurde unter Vom Leben und gelebt werden veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.