Neulich, in der Flachleg-App

Um wirklich kompetent über eine Sache lästern zu können, muss man sich mit dieser Sache beschäftigen. Würden sich diese kleine Regel alle Menschen zu Gemüte führen, wären wir nicht nur schrecklich gebildet, es wäre auf dem Planeten wohl auch ein wenig stiller.

Wie oft habt ihr euch auf ein Vorstellungsgespräch so richtig gefreut? Konntet kaum an euch halten, den Chef in spe nicht gleich über die Palmberg-Besprechungsraum-Serie in durchaus lüsterner Absicht zu bespringen?
So ihr einer ehrbaren Tätigkeit nachgeht, wird dieses Bedürfnis wohl kaum aufgekommen sein. Obwohl sich meine HR-Verantwortliche grundsätzlich nicht zu verstecken braucht. Im Präteritum.

Die verführerische Aura eines Assessment-Center umgibt auch Portale wie das „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single“-Portal parship. Habt ihr dies mal hochgerechnet? Im Jahr verlieben sich 47781 Menschen bei Parship. Dabei grosszügig mit einkalkuliert, dass sich Menschen auch mitten in der Tiefschlafphase spontan verlieben. Diese knapp fünfzigtausend repräsentieren 6,3 Prozent der Mitglieder. Die übrigen 700’000 sind vordergründig dafür zuständig, denn 55 Millionen-Umsatz zu stemmen.

paarshipParship ist ja die Börse für verzweifelt, aber nicht mittellos. Oder ganz fest verzweifelt, ich suche die Liebe mit einem Kleinkredit. Und weil es kostet, wird der Geschichte eine gewisse Seriösität attestiert. Obwohl sich wohl die selben Trostpreise tummeln, wie in Gratis-Applikationen, ich musste sie eben kurz googeln, ehrenwort, namens Tinder, OkCupid oder once.
Und dann ist da noch badoo. Im Volksmund die Flachleg-App.

Nachdem ich Zero von Marc Elsberg gelesen habe, habe ich aus Neugier das Ding installiert. Klar, nur aus journalistischer Neugier. Gut, hätte sich nun aus der digitalen Welt eine Traumfrau manifestiert, hätte ich ihr wohl auch nicht die wirkliche Tür vor der hübschen Nase zugeschlagen. Daher liess man sich von der App mehr vereinnahmen, als man eigentlich geplant hatte, was die fiktive Geschichte in Zero erschreckend real werden lässt.

Badoo ist gratis. Also der Download. Möchte man mehr als Pixelhaufen mit der sexuellen Ausstrahlung eines Tellers Spinat sehen, muss man sich Punkte kaufen. In Paketen zu mehreren hundert Stück geschnürt.
Was nichts kostet ist ja auch nichts wert.
Damit man nie unter einem Punktenotstand leidet und vielleicht die grosse Liebe verpasst, schliesst man beim Kauf gleich ein Abonnement ab. Dies geht völlig unkompliziert, ganz im Hintergrund, ihr werdet eigentlich gar nicht gross mit dieser Tatsache belastet. Dies übernimmt die iTunes-Rechnung zum letzten des Monats.
Wer nicht von Natur aus Unternehmen, welche kostenlos zum Kundenwohl arbeiten, mit einem gesunden Misstrauen gegenüber tritt, kann hier sein Lehrgeld zahlen. Wöchentlich oder monatlich, ganz wie es ihm beliebt.

Als nächstes muss man sein Bewerbungsschreiben aufsetzen. Also Profil nennt sich dies. Nennen sie ihre drei herausragendsten positiven Eigenschaften.
Mitmenschen einfacheren Gemüts arbeiten diesen Punkt flott durch. Sie lichten ihren BWM, ihre Dolce-Gabana-Jeans, sowie das Six-Pack oder ihr Gemächt ab. Und wenn sie letzteres nicht als Profilbild erkoren haben, stellen sie es nach der dritten Nachricht ungefragt zu, wurde mir mitgeteilt. Nun, eine gesunde Einstellung zum eigenen Körper muss ja nicht per se ein schlechtes Merkmal sein.

Ich wählte drei oder vier Fotos, welche gerade so im Smartphone-Speicher lagen. Hätte ich mal ein Bild in Jogging-Hose auf dem Sofa gewählt, aber ich gewichtete den Aspekt des seriösen Auftritts viel zu hoch. Es ist ja ein Werben und ich wollte den verdammten Job.
Anschliessend wird man angehalten, sein Wesen in blumigen Worten zu beschreiben, die Hobbys kann man praktischerweise gleich aus einer Liste wählen. Jawohl, lange Spaziergänge am Strand ist verfügbar. Das Sammeln von Kaffeerahm-Deckeln hingegen nicht.
Sportlich ist sowieso jeder, vom Gigathlon-Absolventen bis zum Turnverein Passiv-Mitglied. Lesen wird auch gern als Hobby gewählt, weil das Durchwischen der 20min-App während des Stuhlganges doch irgendwie auch als Lesen gilt. Es hat diesen intellektuellen Touch, wer liest kann nicht ganz bescheuert sein. Dann reist man gerne, bestätigt es durch das Malle-Bild vom letzten Urlaub, mag Kochen, mag Kino, Hunde, Reptilien…
An und für sich ist es irrelevant. Wie beim Webdesign werden hier einfach Meta-Elemente markiert und anhand der übereinstimmenden Meta-Elemente mit anderen Usern eruiert die App das perfekte Gegenstück. Also markiert man weniger was man ist, als was der andere glauben sollte, das man sei.

Nach dem „Was bringe ich in die Konstellation“ kommt im Bewerbungsschreiben die Zeile, „Was erwarte ich von meiner neuen Herausforderung“.
Frauen wissen ganz genau was sie wollen. Also genau den Typen, welchen man auf Badoo sicher nicht findet. Dies listen sie in präzisen Worten, mit Ausrufezeichen, auf. Schränkt die Auswahl auf weltweit etwa drei Männer ein. Zwei davon hüten Schafe in Wyoming und entdecken gerade ihre Homosexualität, der andere hat kein Handy und kein badoo. Hat zur Folge, dass sie mit sechzig immer noch alleine sind, aber zumindest stets genau wussten was sie wollten.
Noch besser wissen sie, was sie NICHT wollen. Also genau den Typen, welchen man auf Badoo findet. Was sie ebenfalls akribisch niederschreiben. Perle vor die Säue geworfen, weil Typen in Badoo auf den unteren Teil des Displays geifern und den Text sowieso nie sehen. So sie ihn lesen könnten.

„Referenzen werden auf Wunsch gerne angegeben“. Sprich, du hast die Möglichkeit, dein facebook-Konto zu verlinken. Noch unsinniger ist die Option, ‚lade Freunde zu badoo ein‘. Hätte man seine facebook-Freunde nicht abgegrast oder bei allen ‚Freundinnen‘ zu landen versucht, bräuchte man wohl kaum ein badoo-Zugang. Zudem werden solche Portale doch immer noch hinter vorgehaltener Hand benutzt, man verlinkt sich also nicht direkt mit seinem offiziellen Webauftritt.
Man hat keine Zeit den Seelenpartner zu finden, es ist schwierig in der Region und vielleicht hat der perfekte Seelenparter eben auch keine Zeit… Die Ausreden sind vielfältig, auf den Punkt gebracht; Es ist die schiere, nackte Verzweiflung. Die Panik, Weihnachten, Ostern und den Lebensabend überhaupt alleine zu verbringen. Macht man sich nichts vor.

Rollenwechsel. Man sitzt nun in der HR-Abteilung und prüft die Bewerbungen.
Spricht, badoo füllt einem das Display mit Bildern und du als HR-Fachperson liest die Profile genau durch. Mit einem hoffnungsvollen Druck auf das Herz oder einem verächtlichen Wisch über das Kreuz bleibt der Bewerber, die Bewerberin, im Rennen.
HR-Fachmänner gehen da speditiv zu Werke. Hacken mit dem Tempo eines fröhlichen Buntspechtes auf die Herzen und arbeiten in zwei Minuten 150 Profile ab. Bis die Meldung kommt, um noch mehr sehnsüchtig wartende Frauen zu sehen, muss man sein Punktekonto füllen.
Frauen gehen ähnlich vor, nur nicht ganz so schnell und hacken auf das Kreuz. Weil Männer ja sowieso nur das eine wollen oder die Haarsträhne über dem linken Auge eben überhaupt nicht in das Anforderungsprofil passt. Was nimmt sich der Typ überhaupt aus, auf ihrem Bildschirm zu erscheinen, Schafseckel der Verdammte.

Nun kann es vorkommen, dass sich zwei im liebestollen Wahn, von Sehnsucht zerfressen oder einfach im Vollsuff verklicken und tatsächlich ein sogenannter Match zustande kommt. Beide haben die Herzen geklickt.
Achtzig Prozent der Männer disqualifizieren sich gleich selbst, weil sie den Match irgendwie fehl interpretieren. Im brünstigen Treiben lassen sie ihr Geschlechtsteil im Kreis schlenkern und stellen ein Foto desselbigen der Dame zu. Wurde mir so mitgeteilt, habe ja schliesslich recherchiert.

Fünfzehn weitere Prozent scheitern an der Hypothek, dass Männer a) notorische Fremdgänger sind, b) einen abartigen Fetisch pflegen oder c) nur das eine wollen. Weshalb Frauen gar nicht erst antworten.

Bleibt noch vier Prozent, welche ganz in Ordnung wären, jedoch in der Flut der digitalen Post untergehen, weil sie vielleicht die ersten drei Buchstaben der Nachricht unglücklich gewählt haben.

Dann bleibt noch der eine unter hundert, welcher zum Beispiel gestern mit einer dieser umworbenen Frauen über den Weihnachtsmarkt von Konstanz schlenderte.
Dieser eine, welcher der absolute Supertreffer wäre, würde er diesem Badoo-Konzept nur ein wenig offener gegenüber stehen.

Der einzige Vorteil gegenüber einem üblichen Vorstellungsgespräch liegt darin, man kann sich ganz offiziell mit einer, zwei, drei Tassen Glühwein die Nervosität in die Blase spülen und wirkt dabei erst noch lustig und gelöst.

Davon abgesehen bleibt es ein Vorstellungsgespräch mit all seinen grausigen Aspekten. Man versucht den Lügen im Bewerbungsschreiben irgendwie gerecht zu werden. Selber schuld, brauchst ja nicht zu lügen. Habt ihr schon recht, aber der Köder muss ja dem Fisch und nicht dem Angler zu schmecken. Und wenn man schon nichts im Laden hat, soll man zumindest das Schaufenster hübsch schmücken.
5 Euro ins Phrasenschwein.

Nach gefühlten 487, durchaus schönen, Textnachrichten hat sich langsam ein Treffen abgezeichnet. Etwa fünfzig brauchte ich, um die Dame in das Etablissement eines normalen Messengers zu locken, damit ich diese unsägliche App wieder löschen konnte.
Irgendwann kam der Hinweis auf mein Profilbild. Schokoseite. Mit Wampen-Filter Level-pro. Kurz, es verzauberte, weckte Lust auf mehr.
Hätte ich mal das Jogging-Hose-Sofa-Bild genommen. Nun hiess es eben Eisen fressen. Einer Winkler-Chartoff-Produktion gleich rannte ich Meile um Meile, wuchtete Gewichte, absolvierte Sit-Ups im Akkord und riss Klimmzüge.
Der Schweiss rann, alles straffte sich und an diesem schönen Samstag Morgen stand ich vor dem Spiegel und fragte mich; Habe ich nun ein Tessinerbrot im Ganzen verschluckt? Hallo Six-Pack, alter Freund, hast dich lange versteckt.
Gut, nur mit ganz leerem Magen, wenn ich genau so stehe, das Licht von hier hereinfällt, ich die Augen ganz leicht zusammenkneife, aber hey; Mehr schafft Rocky in vierzehn Tagen auch nicht und ich bin keine 20 mehr.

Mit geschlossener Jeans, adrett hergerichtet tritt man zum Vorstellungsgespräch an.
Ein Kennenlernen ist es ja eigentlich nicht mehr.
Was bleibt nach 983 elektronischen Nachrichten und einem Bewerbungsschreiben? Nur noch dies, was man nicht sagen oder fragen wollte. Weil man gewisse Sachen einfach besser Angesicht zu Angesicht austauscht, um die Tragweite der Kunde anhand der Reaktion gleich vernünftig abschätzen zu können.
Nach harmonischem Übereinstimmen, warum man Badoo eigentlich ganz doof findet, dem Rezitieren bereits ausgetauschter Nachrichten gelangt man endlich an den Punkt „Nennen sie mir drei negative Eigenschaften“. Nicht, weil man sie wissen will, sondern weil man einfach nichts anderes mehr zu bereden hat und man noch nicht soweit ist, gemeinsam über die umstehenden Personen abzulästern. Weil dies ja doch etwas Vertrautheit oder zumindest 1,87 Promille braucht.

Das Pferd wird vom Schwanz her aufgezäumt.
Statt, dass einem eine Person ins Auge sticht, man diese nach und nach kennenlernt, wohldosiert dies oder das von sich preis gibt, die prickelnde Neugierde geniesst, Aspekte zu lieben lernt und über ander generös hinwegschaut sitzt man in einem Kino und sieht sich die Verfilmung eines Buches an, welches einem beim Lesen ganz gut gefallen hat.

Der Film muss nicht schlecht sein, aber da man alles schon kennt, hat man sich der Spannung beraubt.
So attraktiv, nett und freundlich das Gegenüber auch erscheint, es ist ein Unterschied, ob man über die Prärie jagt, die Stute im Schweisse seines Angesichts mit dem Lasso fängt oder das Tier aufgrund eines Steckbriefs beim Pferdehändler ersteht.
Und so geht einem vielleicht ein wunderbarer Mensch durch die Lappen, einfach weil man die essentielle Grundlage einer Beziehung an einen Algorithmus delegiert hat.

Für 100 Punkte. Im Monatsabonnement.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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