Ein Schaffhauser in St. Moritz

Nun habe ich es getan; Ski-Urlaub in St. Moritz.
Ja, lasst es euch auf der Zunge zergehen, ich war im mondänen Top of the world.

Einen Punkt auf meiner Bucket-List abgehackt. Nicht, dass ich die nächsten Jahre gedenke das Besteck zurück zu legen, doch kratze ich nur noch ein paar wenige Tage unter der Hälfte der durchschnittlichen Lebenserwartung eines durschnittlichen Schweizers. Da darf man sich schon Gedanken machen. Wobei, in der Hälfte der Schulzeit denkt auch noch niemand daran für die Abschlussprüfung zu lernen, also hoch die Tassen.
Jedenfalls pflegte ich stets die Meinung, einmal muss man seinen Ski-Urlaub in St. Moritz verbringen. Dann hat man es geschafft. Flitzte denn nicht schon Roger Moore als britischer Spion über die verschneiten Hänge des Oberengadin?
Nun, es war kein richtiger Urlaub, lediglich vier Übernachtungen. Und bereits nach der ersten wusste ich, wieso der Prince of Wales nach Klosters fährt.

Als Unterländer stellt sich schon die Frage, lässt man seinen Wagen von der RHB durch den Vereina transportieren, oder ist man ein Mann und flitzt über den Julier. Mit meiner aktuellen Winterbereifung würde ein auf Sicherheit bedachter Formel 1-Pilot bei Regen in die Box fahren, aber wozu hat man denn Schneeketten.
Mein Vater, der Beste von allen, hat mich in der Kunst des Aufziehens von Schneeketten unterrichtet. Vor 22 Jahren. Und auch dies nur im Rahmen der allgemeinen Fahrausbildung.
Der durchschnittliche Unterländer, also jener mit dem „DAVOS“ oder „LAAX“-Schriftzug nebem dem ZH-Nummernschild, kauft sich ja gerne ein SUV, weil er in einer der erwähnten Destinationen eine Ferienwohnung besitzt. Warum man deswegen einen Schriftzug auf den Wagen packt wissen wohl nur die Zürcher. Wie sagte Zuccolini; Es fährt kein Bündner mit einem „Bülach“-Schriftzug durch die Lande. Auch die „Wo ich hin will – Hinwil“-Aufkleber liegen wohl wie Blei in den Regalen. Eigentlich unverständlich, ist denn Zürich nicht der Nabel der Welt?
Der bergwelt-subventionierende Zürcher steht also im Auto-Center Wetzikon und sagt ja zum Offroad-Paket mit 4×4 und der manuellen 80%-Differenzial-Sperre.
Im näheren Umfeld unserer Feriendestination, da dieser kleine Ort keinen Souvenirshop betreibt ist meine Heckklappe leider nicht entsprechend beschriftet, bestand bis vor kurzem die Schneeräumung darin, dass der Schnee vor der Dorfbeiz flachgetreten wurde. Dennoch erreichten wir das Ziel stets mit einem langweiligen Fronttriebler ab der Stange.

In meinem Kofferraum liegt also dieser Koffer mit der Schneekette, gefüllt mit der Hoffnung, dass selbige auch passt und versiegelt mit einem Werks-Kabelbinder, welcher mich wohl an den Rand der Verzweiflung bringen würde.
Mein Stangen-Fronttriebler brachte uns elegant auf die Passhöhe. Mit den modernen Fahrhilfen ist dies auch kein Problem mehr. Sollte man meinen. Der elegante 911-er welcher nach Bivio noch mit röhrendem Boxer vorbeizischte um später verquer auf einem Parkplatz zu stehen, würde uns vielleicht Lügen strafen.
Die Fahrt nach Silvaplana war dann eher eine Rutschpartie, aber dank eines Sattelschleppers vor mir geriet ich nicht erst in Versuchung die Grenzen auszuloten. Oder anderst ausgedrückt, Mani mit dem Brummi liess mich meine Männlichkeit bewahren. Ich konnte immer noch sagen „I wür ja scho füra, aber i mag eifach nid!“

Da vorne rechts, sagte meine Begleitung, als wir auf der Höhe des Kempinski-Hotels waren.
Hatte ich da bei der Offerte den Namen falsch gelesen?
Und dann gerade aus…
Also vorbei am Kempinski, vorbei am San Gian, vorbei am Reine Jungfrau und links in das Laudinella. Ist ja auch ganz nett und ich bin davon abgekommen, dass es immer das Teuerste auf dem Platz sein muss. Was natürlich nichts mit meiner Erwartungshaltung gemein hat, dass nicht auch das Billigste das Beste sein muss.
Dennoch, sind wir ehrlich, gerade beim Skifahren schläft man im Etablissement, geht morgens raus und Abends torkelt man hackedicht wieder zurück. Solange da keine Etagendusche steht und man die Toilette nicht mit dem Nachbarzimmer teilen muss, ist man doch ganz zwecksmässig untergebracht.
Sprich, ein Urlaub in St. Moritz muss nicht teurer sein als in Davos. Das klingt nur so.

Wenn wir gleich bei Davos sind; Der prättigauer Kurort ist wohl die einzige zivilisierte Gemeinde, in welcher man während der Wintersaison trotz gefüllter Brieftasche gemütlich verhungern kann. Spontan einen Tisch zu finden ist ein Ding der Unmöglichkeit.
In St. Moritz, respektive im Laudinella ist dies anders. Selbstverständlich haben sie Platz. Sie parkieren einem einfach zwischen Salatbuffet und der Eingangstür im Durchzug der frischen Engadiner Bergluft, bis ein Tisch frei wird.
Seine Worte hat man bei der Bestellung mit Bedacht zu wählen. Besser fährt man, wenn man des portugiesischen mächtig ist. Ein lautes Nachdenken oder gar Nachfragen endet darin, dass der Kellner schlichtweg alles anschleppt, was man im Verlauf der Bestellkonversation einmal erwähnt hat.
Ein Engadiner Bier oder meinetwegen ein Calanda sucht man vergebens, man hat sich mit einer eingeschleppten Franziskaner Pfütze zu begnügen. Dafür kriegt man hier aber auch Pouletbrüste welche einem Bein unglaublich ähnlich sehen. Der Knochen am Brustfilet lässt auf Ukraine-Import oder einen lausigen Speisekartenlektor schliessen.

Wir logierten in einem Eckzimmer und dies leistet sich nun auch nicht jeder. Gut, es wurde uns zugeteilt. Die hinterste Türe im äussersten Flügel des Anwesens. Solche Dinge pflege ich unbewusst persönlich zu nehmen.
Dass sich besagtes Eckzimmer auch noch direkt über der Anlieferung befand, wurden wir erst am Freitag Morgen gewahr. Als gegen sieben Uhr der befliessene Paco sämtliches Leergut entsorgte. Gewissenhaft nach Farben sortiert und mit morgendlichem Elan in den Glascontainer beförderte. Jede Flasche einzeln.
Kaum fertig kam die Wäschelieferung. Auf einem grossen Truck, welcher mit lauter Rückfahr-Sirene sehr langsam die Rampe anfuhr. Dies alles konnte ich feststellen, ohne einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Der Radiator hat zwei Stellungen. Lava und Antarktis. Weswegen wir das Fenster öffnen mussten und ich quasi mittendrin im Geschehen war. Das Ventil des anderen, unser Etablissement hatte doch eine gewisse Grösse, pfiff je nach Stellung über 13 Halbtonschritte durch die Suite. Nur ein konsequentes Schliessen sorgte für Ruhe.

Da gibt es diese eine Komponente eines Hotelzimmers, welche noch nie erfüllt wurde. Wobei das Südamerika-Themenzimmer im Bell Rock des Europa-Park nah dran war, aber auch nur, weil man fünf Minuten brauchte um die Suite zu durchschreiten. Ich spreche von einer vernünftigen Trennung des Bades, möchte beinahe Nasszelle sagen, von den Wohnräumlichkeiten.
Und wenn ich von einer vernünftigen Trennung spreche, meine ich vor allem Schallisolation. Unter uns, man kann sich noch so mögen, gewisse Grenzen müssen bestehen bleiben. Nur ist es schwer diese zu wahren, so zwischen Toilette und Bett nur ein Vorhang hängt.
Natürlich waren da Angeln und eine Klinke, aber dieses Stück Balsaholz, versehen mit zwei Lüftungsgitter durch welche man sich ungezwungen zuwinken konnte, hatte mit einem Vorhang mehr gemein, denn mit einer Tür.
Der Lärm der Lüftung stand in keinem Verhältnis zur Abzugleistung, war aber immernoch zu leise um einem wenigstens eine akustische Privatsphäre zu gönnen.
Natürlich, aus Rücksicht aufeinander guckt man dann das regionale Wetterfenster im TV mit erhöhter Lautstärke, doch kommt man um eine gewisse Verkrampftheit nicht herum.

Doch sonst war das Zimmer nett. Nach einem verrücken der zwei Bettstellen, es geht doch nichts über ein konservatives Bsuechergräbli, fanden wir auch die Steckdosen um unsere Smartphone zu laden.

Fünfundneunzig Prozent der Hotelgäste verprassten hier die Rente, es war dann wohl auch der senilen Bettflucht geschuldet, dass der Frühstücksraum bereits um neun Uhr komplett überfüllt war.
Doch ich will mich nicht beklagen. Wohl verschütten sie auf dem Weg zum Tisch die Hälfte des Kaffees und das Rührei wirkt schluckfreundlich püriert, aber zumindest spielen sie nicht schreiend fangen zwischen Brotkorb und Früchtetheke. Rollator sei Dank.
Darüber hinaus war das Frühstücksbuffet wirklich nahezu oppulent und liess keine Wünsche offen. Davon abgesehen, dass sie das Ei nur gerade zufällig sechs Minuten lang kochen. Es ist eine Lotterie.
Für die Flachländer; Auf 1800 Meter liegt der Siedepunkt von Wasser etwas über 90 Grad, daher lässt man das Ei eine Idee länger schwimmen.

Ab auf die Piste.
Ein Winterfahrplan für den Skibus lag nicht auf, also stiefelten wir den halben Kilometer zur Signalbahn in Skischuhen. Um mittendrin vom Bus überholt zu werden, welcher wohl doch öfters als nur alle halbe Stunde fuhr.
So nebenbei, man kann mit dem Postauto von St. Moritz bis Chur fahren. Wenn man 150 Minuten Zeit hat. Spätestens bei Marmorea beginnt man zu heulen, vertraute mir meine einheimische Begleitung an.

Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt das Drehkreuz an der Signalbahn passieren durfte.
Also mit den Stöckli-Skiern brauchte ich mich nicht zu verstecken. ‚Da bisch agleit‘ sagen wir in unseren Breitengraden. Die Salomon-Skischuhe, waren bei Athleticum im Angebot, gehen ja auch noch. Sind sie doch zu zwei Dritteln unter der Hose. Doch da beginnt es. Eine viel zu weite Salomon-Hose, auf dem linken Oberschenkel die Rückstände einer halben Flasche Calanda Glatsch, rechts ein Kebabsaucen-Fleck. Da ich an chronischer Überhitzung leide, neige ich dazu die Lüftungsschlitze zu öffnen, was dem Beinkleid den Anstrich einer SS-Stiefelhose verleiht.
Die Spyder-Jacke ist ja zumindest markentechnisch vertretbar, würde ich nicht das Modell 14 tragen. Der linke Ärmel kriegte im Bolgen-Plaza einen Schwall Kaffee-Baileys ab, die rechte Seite wurde mit einem Kräuter-Luz auf den Namen ‚Oh fuck sorry‘ getauft.
Und so getraue ich mich auf die Pisten der Corviglia.

Bisher dachte ich, Bogner ist ja in etwa das Schlimmste was man tragen kann. Also nicht falsch verstehen. Willy Bogner hat meinen Respekt. Immerhin fuhr er mit George Lazenby vom Piz Gloria / Schilthorn auf Skiern den Abhang hinunter. Insofern noch keine Leistung. Dass er dabei quasi verkehrt in den Skiern stand, rückwärts fuhr und James Bond filmte finde ich dann hingegen schon sehr beeindruckend.
Aber…. das war doch der Bernhard Russi! schreien die Schweizer empört. Ja, er fuhr auch, er war derjenige, welcher in die Schneeräummaschine geriet. Im Geheimdienst ihrer Majestät, so nebenbei.
Doch seine grösste Leistung ist es zweifelsohne, dass er es mit einem simplen „B“ am Reissverschluss schafft, dass geltungssüchtige Menschen Kleider tragen, welche sich jeder Primarschüler empört vom Leib reissen würde. Und dafür auch noch 2000 Franken abdrücken. Mit lächerlichen „Polarexpedition“ und „Adventure Team“ Aufnähern versehen sollen sie wohl den Forschungsgeist des Trägers unterstreichen. Auch wenn seine einzige Kälteerfahrung darin besteht, dass eines Tages die Standheizung des Mercedes G nicht termingerecht angesprungen ist.
Dank den schreienden Farben und Mustern erkennt man einen neureichen Trottel bereits auf hundert Meter Entfernung.

Doch wie gesagt, es geht noch schlimmer.
Wenn man auf dem Sessellift in die Tiefe sieht, ist man unschlüssig, ist da nun ein schrecklicher Unfall passiert und das unglückliche russische Model in eine Rettungsdecke gewickelt, oder hat da einfach eine Trulla in Jetset-Klamotten Schnee gefressen.
Silber ist das neue schwarz. Glitzern wie eingerollte Dürüm’s auf Skiern. Dazu eine Hose, so eng geschnitten, dass nichts der Fantasie überlassen wird und ich mich unweigerlich frage, welches Zaubermaterial verwendet Jetset um bei einem Millimeter Stoffdicke noch etwas wie Kälteschutz zu versprechen.
Ebenfalls in der Bogner-Preisklasse zu erwerben, wir haben im Dorf recherchiert. Für den Preis eines Handschuhs kaufe ich mir eine komplette Ski-Ausrüstung. Inklusive Saisonkarte.

Wir hatten Wetterpech, ich will das Skigebiet nicht verurteilen. Im Gegenteil, ich würde gar sagen, es hätte Potential.
Die Hänge schienen jedoch schon länger keinen Pistenbully mehr gesehen zu haben. Es fühlte sich an, als würden wir durch Zuckermasse fahren.
Wir gehören ja dann doch eher zum Typ Skifahrer, welche auf dem Weissfluhjoch losfahren und bei der Klosters Talstation die Beine zum ersten Mal wieder durchstrecken.
Vielleicht waren die Pistenverhältnisse den Skiläufern geschuldet. Wie ein Daunenkissen den Sturz abfedern.
Ganz salopp möchte ich sagen; St. Moritz ist gesamtschweizerisch der Idiotenhügel aller Skigebiete.
Hinter jeder Kuppe liegt jemand mit der Nase im Schnee, daneben ein bemühter Kempinski-Privatlehrer und auf jede Biegung folgt ein neureicher Spross im Stemmbogen einem privaten Pistenführer in Badrutt-Palace Ski-School-Jacke.
Es ist ein Slalomkurs zwischen den Reichen und eigentlich gar nicht so Schönen.
Auf keinem anderen Hügel der Schweiz sind Pizza-Pommes so vertreten wie auf den Hängen über St. Moritz.

Irgendwann kriegt man Hunger und seit ich meine Tageskarte selber kaufe, muss ich diese auch nicht mehr herausfahren.
Dank des gelobten Zwiebelprinzips trägt jeder Skiläufer mindestens 5 Jacken übereinander. Jede mit speziellen Eigenschaften, von heizend über kühlend bis transportierend und formend. Dazu natürlich auch einen Rückenpanzer und den Helm. Gut 110 Jahre fuhren die Schweizer über tiefverschneite Hänge, die Wanderschuhe in irgendwelche Kabelzugbindung gequetscht. Die Menschheit ist nicht ausgestorben. Doch plötzlich kam dieser bescheuerte Helm auf und der Siegeszug dieser Ausrüstung ist so weit gediehen, dass man sich nackt fühlt ohne.
So braucht die Familie mit den schweizerisch durchschnittlichen 1,5 Kindern gut und gerne sechs Stühle und einen entsprechend grossen Tisch.
Auf die Frage ob hier noch frei wäre können sie natürlich nicht „Nein“ sagen, aber immerhin den gesamten Krempel unter Brummeln und mit einer solche missmutigen Miene beiseite räumen, dass die Gerstensuppe auf dem Tablett hinüberkippt.
Wird der Tisch von einer Bank umrandet kann man keine vier Minuten sitzen, ohne dass die süssen Kleinen mal eben vorbeikrabbeln müssen. Um daraufhin sinnlos in der Gaststätte herumzutollen, bis sie dank der Kombination von nassem Plattenboden und glatten Skischuhsohlen unter grossem Hallo Kopf voran in das Kuchenbuffet rauschen oder dem fleissigen Servicepersonal die Beine weggrätschen.
Während man früher von den Erziehern eigenhändig aus der Gaststätte geworfen worden wäre, hört man heute bestenfalls ein „Nein, nicht, Justin-Dylan, komm her!“

A propos Plattenboden; Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Toilette stets im Untergeschoss sein muss. Und wenn da kein Untergeschoss wäre, würde man eigenst eines buddeln. In dieses führt eine steile nasse Treppe mit einem viel betatschten Handlauf. Die Toilettentüre muss ein wenig streng gehen. Der automatische Schliesser gerade soviel Widerstand bieten, dass man sich gefährlich dagegen lehnen muss und Gefahr läuft, elegant in das Urinal zu schlittern, so jemand im Begriff ist die Toilette zu verlassen und seinerseits an der Tür zieht.
Mit dem Helm auf dem Kopf, der Skibrille halb im Gesicht, den Handschuhen in der Achselhöhle und einem wackeligen Stand versucht man sich irgendwie durch die Lagen vorn Thermowäsche zu… ich erspare dem Leser den Rest.
Das Händewaschen verkommt zur Farce. Weil einfach alles nass und versifft wirkt, wird man den Verdacht nicht los, man holt sich beim Einhandmischer die Krätze, unter dem Seifespender einen Tripper und spätestens am Türgriff ein nässendes Ekzem.
Zudem muss man sich danach an dem vielbenutzten Handlauf wieder ins Obergeschoss ziehen.
Aber wir tragen Helme, es kann nichts schief gehen!

Natürlich war es auch toll! Aber dies will ja niemand lesen.
St. Moritz ist auf eine spezielle Klientel ausgerichtet.
Statt auf einem Coca-Cola Liegestuhl, bettet man sich auf eine Veuvet Clicquot-Rattanliege. Nicht eine Armeedecke aus dem Liq-Shop hält einem warm, ein Merino-Schaf musste Federn lassen. Selbstverständlich konnten wir keine Liege beziehen. Zum einen hatten wir weder Cüpli noch Weisswein in der Hand, darüber hinaus hätte unsere zwecksmässige Skikleidung das Gesamtbild versaut. So durften wird an einer Ecke der Holzbar sitzen und wurden bereits nach 20 Minuten flehendem Winken bedient. Für einen ordinären Café Baileys und ein proletenhaftes Calanda macht die Kellnerin im Descente-Anzug ungerne den weiten Weg.
Ich darf mit Davos vergleichen? Bei 50 Rappen Trinkgeld wird die Treichel geschmettert und die Bedienung lässt einem hochleben, als hätte man soeben im Bolgen Plaza eine Lokalrunde geschmissen.
Statt, dass sich Andreas Cabalier hinterfragt was ein Hulapalu ist, wird einem ein Trancebeat auf die Ohren gehauen. Versucht der Lokale Plattendreher, also das iPhone unterm Tresen, sowas wie Feierstimmung zu generieren, ist ein Sommerhit aus dem Animationsprogramm des Club Med auf Teneriffa das Höchste der Gefühle.

Meine umsichtige Begleitung hatte dann doch ein Gespür für das einzige schöne Restaurant auf dem verdammten Hügel. Der Jetset-Lift, ich nenne ihn so weil er in silber und weiss gehalten ist, trägt uns auf Las Trais Fluors und wir gleiten zur Glünetta. Beim zweiten Anlauf erhielten wir gar einen Platz.
Das Tellersujet beschreibt einen Appenzeller Alpaufzug, aber da waren wir nicht kleinlich. Feines Essen, die Sonne und Calanda-Schaum im Gesicht.
Am sonnigsten Tag war nichts mit Tageskarte herausfahren, wir blockierten den Tisch gute 90 Minuten lang.

Die Hoffnung auf Apres Ski hatten wir nicht aufgegeben.
Vor dem Hotel standen zwei schmucke Blockhütten mit einer einladend blinkenen Lichterkette. Mittendrin eine verwaiste Terrasse aus gefährlich rutschigem Teakholz.
Das Wetter war auch nicht so für draussen stehen, also wagten wir uns in den bebenden Festtempel.
Da gibt es Beerdigungen, auf welchen bessere Stimmung herrscht.
Es war totenstill. Etwa 10 Personen sassen in dunklen Ecken, ein einsamer Skifahrer geiferte über den Tresen die Bedienung an.
Langsam wurde wieder im Flüsterton gesprochen, das Zippen unserer Reissverschlüsse klang wie das Kreischen einer Kettensäge durch die Hütte.
Die Getränkeauswahl war so bescheiden wie die Stimmung. Während meine Begleitung einen widerlichen Holdrio in die Kehle zwang, schüttete ich mit Todesverachtung einen Zwetschgen-Luz in den Kragen. Sie hätten mir guten Gewissens auch den nicht vorhandenen Kräuter verkaufen können, denn mehr als ein Glas heisses, eingefärbtes Wasser hatte ich nicht erhalten.
In unser scheu eingestimmtes „Reisst die Hütte ab…“ wollte niemand einfallen, also hoben wir unsere Helme auf und verliessen diesen Platz der Freude wieder.

Am zweiten Abend war die Hütte nicht abgerissen, aber geschlossen. An unserem letzten Abend genehmigten wir unsere Biere auf dem Parkplatz der Signalbahn. Eine aufopfernde Seele hatte da einen Barwagen und auf dem Asphalt ein paar Liegestühle platziert. Auf die Nachfrage meiner Begleitung hin erklärte ein Saisonier, dass dies hier etwa der Gipfel des Apres-Ski in St. Moritz darstelle. Zumindest für Normalsterbliche.
Der Jet-Set steigt natürlich in den Apres-Ski-Bogner, geht beim Friseur vorbei und hebt dann Cüpli im Dracula-Club oder dem Cascade.
Offen gesagt, da laufe ich lieber Gefahr, dass mir ein Luz über die Hosen gekippt wird, weil ein Besoffner über seine Skischuhe stolpert und sich am Bartisch festklammert.

Nun, ich habe St. Moritz gesehen.
Es ist nach wie vor ein netter Ort in einer atemberaubenden Landschaft. Sie haben wohl schlecht präparierte, aber schön gelegene Pisten.
Der Zauber ist der Realität gewichen, aber es waren doch tolle Tage.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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