Geld aus dem Nichts

Man könnte sagen, ich habe es geschafft. Unternehme ich eine gedankliche Zeitreise von 10 bis 15 Jahren war es mein Traum, in einem öffentlichen Betrieb zu arbeiten. Kein Gedanke daran zu verschwenden, woher kommt mein Lohn und welche Leistung wird dafür gefordert.
Ein geschätzter Arbeitgeber plauderte aus dem Nähkästchen; „morgens schaust du einen Ordner an, nachmittags ziehst du einen anderen aus dem Regal, widmest dich selbigem und abends gehst du heim. Glaube mir, das willst du nicht. Das kannst du nicht. Nicht du.“ Nach meinem damaligen Dafürhalten hat der gute Mann soeben das Vorzimmer des Paradieses beschrieben.
Doch er sollte recht behalten.
Um etwas philosophisch zu werden, der Wert der Zeit lässt sich nicht mit Geld beziffern. Ich weiss noch nicht einmal genau, wieviel jede Minute sitzen in meinen Klingelbeutel spült, doch wäre es mir ein Ding der Unmöglichkeit einen Betrag festzusetzen, ab welchem mir der Aufwand nicht mehr zu schade wäre. Wobei, ich behaupte, ab 18 Millionen verkauft jeder seine Grossmutter, so ehrenhaft seine Gesinnung und Moral auch sei

Doch vielleicht ist Hans Dampf auch einfach notorisch unzufrieden. Also drehe ich mich einmal im Kreis, entnehme meiner höchstpersönlichen und nur durch mich genutzten, heute kann man mit Corona alles begründen, Nespresso-Maschine einen Kaffee und erfreue mich daran, dass ich während der Arbeitszeit einen Blog tippe.

Von oben beschriebenem Erwerb träumt so mancher Erdenbürger. Wobei, die gehen noch eine Stufe weiter und ergänzen den Traum mit einem Tausch des Bürostuhls gegen eine Hängematte.
Ist man ein wenig in sozialen Netzwerken unterwegs, führt sich dann und wann ein Promi-Magazin zu Gemüte, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, eine gewisse Bevölkerungsschicht hat geschafft wovon Alchimisten seit Anbeginn der Zeit träumen und haben es noch übertroffen; sie machen Geld aus dem Nichts. Natürlich, Herr Binswanger hat es mir erklärt, unsere Banken schaffen dies Tag für Tag. Aber der angesprochene Menschenschlag benötigt dazu noch nicht einmal einen Hauptschulabschluss, dies ist dann doch nochmals eine andere Liga. Der erforderliche Stein der Weisen verliert seinen mystischen Zauber, da sein Geheimnis nicht auf einer Smaragdtafel verewigt, sondern, dies ist noch idealisiert, als Blaupause in der Schublade eines fernöstlichen Smartphone-Produzenten liegt.

Was war zuerst; das Huhn oder das Ei? Formen die Stars der Stunde eine Gesellschaft, welche mit knapper Not ohne fremde Hilfe die Herausforderung meistert, den Speichel nicht einfach aus dem Mund rinnen zu lassen, oder hat die Gesellschaft Stars herausgebracht, welche jeden Morgen dankbar sind, dass es Schuhe mit Klettverschluss gibt. Sehen wir uns nun mit dem Resultat unzähliger 90er-Jahre Talkshows konfrontiert?

Britt deckt auf!
Die Vaterschaft ist mit 99.999993 Prozent bestätigt.
Wow… ich dachte ja, dass ich der Vater bin, aber nicht mit so viel Prozent…

Gewiss, ich trage meinen Teil dazu bei. Bestimmt gibt es medizinische Fachbegriffe dafür, ertappe ich mich immer wieder dabei wie ich mir Unterschichten-Fernsehen gönne, um mich über die Protagonisten aufzuregen. Ja, ich könnte noch nicht einmal beschwichtigend anführen, beim Zappen hängengeblieben zu sein, nein, ich schaue es ganz gezielt.
Um „prominent“ zu sein, bedarf es heute nicht mehr viel. Wann immer „Promis“ in ein Sommerhaus der Stars ziehen oder sich einen Kampf der Reality-Stars liefern (tiefer geht es nicht mehr, glaubt mir), muss ich mir eingestehen, dass ich weder diesen Muskelprotz noch jene tätowierte Plattenbau-Prinzessin kenne. Die Teilnahme an einer Bums-Insel-Sendung (Love-Island, Bachelor in Paradies u.ä.) genügt bereits um bei der nächsten H&M-Eröffnung Autogramme zu unterzeichnen.

Schuld daran sind die sozialen Netzwerke. Die Teilnahme an einem solchen Format lässt die Follower-Zahlen in die Höhe schnellen und ab einer gewissen Marke wird man zu einem interessanten Werbeträger. Frau räkelt sich dann lasziv und leicht bekleidet zwischen Bettlaken und spricht von ihrer tollen Erfahrung mit einem Turnschuh der Marke Schlag-mich-tot. Auch sehr gern verwendet wird „Hey Freunde, ihr habt mich gefragt, was ich letzten Dienstag für einen tollen Lippenstift verwendet…“… Klar; du hast mit einem Adonis Szenen geliefert, welche so früher erst ab 23:45 in Lederhosenfilmen geboten wurden, aber die Zuschauer haben deinen Lippenstift bemerkt.

Das Tolle an sozialen Netzwerken ist, jeder kann sie nutzen. Und so träumen immer mehr Menschen aus dem unmittelbaren Umfeld vom Geld ohne Arbeit. Man beginnt das Profil aufzubauen mit aufreizenden Fotos. Stets untermalt mit einer geheuchelten Naivität. Frau setzt ihre Auslegeware ein, um Heerscharen von geifernden Followern anzuhäufen und in jedem zehnten Post wird darauf hingewiesen, dass es falsch ist, Frau als Objekt der sexuellen Begierde zu sehen. Dies sind dann die Schwarz-weiss-Fotos im hochgeschlossenen Rolli, in Denkerpose und einer Hashtag-Verlinkung auf irgendeinen dramatischen Vorfall in der Welt der Sternchen.
Und irgendwann sieht man die Menschen, Po raus, Bauch rein, Brust gestreckt, als Werbeträger für einen Bilderrahmen. Also mal ehrlich; so weit hergeholt ist der Vergleich zur Bordsteinschwalbe nicht. Im Gegensatz zu einer Charlize Theron kennt die Hilde aus Beggingen kein Mensch, man folgt ihr einfach, weil sie straffe Brüste hat und mit selbigen versucht uns ein Knuspermüsli schmackhaft zu machen.

So erlebt auch das Network-Marketing ein Revival. Wobei, vielleicht war es immer da, ich habe es nur nicht mitgekriegt, weil das Ganze ja einen gewissen Kollegenkreis als Fundament erfordert.
Plötzlich erscheinen in den Stories wieder alleinerziehende Mamis, welche uns mitnehmen. Zum Lauftraining, zum Frühstück, zum Mittagessen, zum Team-Event mit anderen alleinerziehenden Mamis.
Und alle stehen verzaubert im Bann des Herrn Hugentobler aus Stuttgart, welcher im See-Restaurant Hecht nach dem üppigen Zwölf-Franken-Mittagsmahl den Damen erklärt, wie man ganz schnell, ganz einfach zu viel Geld kommen kann. Und er muss es ja wissen, ist er doch mit dem Porsche angereist. Man arbeitet wo man will, so viel man will und wann man will. Klingt schon toll, gebe ich zu. Er selber öffne eigentlich nur noch jeden Morgen den Briefkasten und nimmt Umschläge voller Geld raus. Und ihr könnt dies auch, weil es jeder kann!
Der Herr Hugentobler weiht einem also in das Geheimnis seines Erfolgs ein. Nicht, weil er Philanthrop ist, sondern weil es für seinen Erfolg elementar ist, dass die Menschen das Geheimnis kennen, wiederum andere in das Geheimnis einweihen, welche wiederum weitere in das Geheimnis… mein Gott, so funktioniert Network-Marketing mal eben, ist ja nichts dabei.
Und die Damen hängen an seinen Lippen.
Das Produkt geht dabei beinahe unter. Es könnten rostige Schürhaken sein. Denn das Geheimnis ist nicht, dass die Damen rostige Schürhaken verkaufen. Sie sollen nur Menschen gewinnen, welche rostige Schürhaken in Lizenz verkaufen. Klar, irgendwann muss eine arme Seele einen rostigen Schürhaken kaufen, aber nicht ihr, die ihr hier sitzt. Aber ihr streicht von jedem verkauften rostigen Schürhaken einen Gewinn ein, deswegen wäre es phantastisch, wenn jede von euch fünf weitere Personen findet, welche rostige Schürhaken verkauft.
Dass das Produkt ein Selbstläufer ist, stellen wir mit einem weiteren Geheimnis sicher. Nicht, dass man die Menschheit von rostigen Schürhaken überzeugen müsste, aber wir wollen doch vermeiden, dass im heimischen Badezimmer plötzlich ein Unterbedarf an rostigen Schürhaken… ok, Zeit von dieser Analogie abzukommen. Aber gesteht es, ihr zieht beinahe los, euch einen rostigen Schürhaken zu kaufen.
Nehmen wir doch an dieser Stelle eine Nahrungsergänzung und nennen sie Deppenpille. Wir wollen vermeiden, dass plötzlich keine Deppenpillen mehr im Schrank sind, auch wollen wir die Kunden vom Stress befreien, immer an die Einkäufe zu denken. Wir bieten die Pillen im Abonnement an, aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit verlängert sich dieses Abo automatisch um drei Jahre, sofern man nicht 95 Tage im Voraus eine Kündigung absetzt. Qualifiziert schriftlich, auf handgeschöpftem Pergament mit einem Federkiel geschrieben.
Wer jetzt Deppenpillen verkaufen will, hat die Idee nicht verstanden.
Ihr braucht keine Marktanalyse, vergisst den Marketing-Mix, ihr verkauft nicht das Produkt, ihr verkauft den Lebensstil! Präsentiert eure straffen Brüste und knackigen Po’s. Zeigt eure Wangen, gerötet nach dem Herumtoben mit eurem Kind. Das Kind, welches so glücklich ist, weil Mami nun immer zuhause ist und nie mehr arbeiten muss. Zeigt verdammt nochmal das glückliche Kind! Hashtag Quality-Time! Den Followern soll das Wasser im Mund zusammenlaufen, wenn sie euer Chia-Samen-Knusperfrühstück und den Tofu-Steakersatz im Haferflockenmantel sehen. Beschreibt wie wohl euch ist und eine Knabber-Baby-Karotte den Fernsehabend mit den lieben Freundinnen doch erst so richtig gemütlich macht.
Und so nebenbei präsentiert immer wieder die Deppenpille, welche ihr zu euren Mahlzeiten einnehmt. Macht keine grosse Sache daraus, erwähnt einfach nebenbei, dass 15 Deppenpillen euch jeden Tag alles geben, was ein Körper so braucht.
Ihr braucht keine Ernährungsberater zu sein, von Sport braucht ihr nicht mehr zu wissen, als dass man sich dabei irgendwie bewegt, denn ihr seid weder Personaltrainer noch Wissenschaftler. Das ist ja das Tolle! Die Deppenpille ist quasi nur die Kirsche auf dem Eisbecher eures tollen Lifestyle.
Also eigentlich wollen wir diese gar nicht verkaufen, aber was soll ich sagen, der Porsche da draussen musste ja irgendwie bezahlt werden.

Umsätze?
Ja dies ist nun wirklich schwierig zu sagen. Denn die Individualität ist ja das Tolle dabei, jeder arbeitet so viel wie er möchte. Frau Huber ist an diesem Punkt glücklich und Frau Tobler an jenem. Daher kann man wirklich schlecht sagen, ihr habt am 25. des Monats diese oder jene Summe. Nein, es ist unmöglich zu sagen, weil ihr bestimmt selber, wieviel ihr haben wollt! Aber der Return on Investment ist ratzfatz erreicht. Ich will keine Zahlen nennen, aber mehr als in ein Deppenpillen-Abo braucht ihr nicht zu investieren und auch hier möchte ich nicht von einer Investition sprechen, denn diese hättet ihr ja so oder so gekauft. Mit der Entscheidung an unserem Deppenpillen-Meet & Greet teilzunehmen habt ihr bereits Gewinn verbucht.

Und somit beschliesse ich, bevor ich mich noch selber überzeuge und ich diese Deppenpillen kaufe. Respektive ein Abo abschliesse. Sprich, in den Deppenpillen-Wiederverkäufer-Club eintrete, um die Deppenpille überhaupt kaufen zu können.
Schneeballsysteme gibt es seit Achtzehnhundert-Apfelschnitz, also irgendwie scheint die Frage nach dem Huhn oder Ei beinahe geklärt.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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