Heute schon gelaufen?

Praktiziert ihr eine Form der körperlichen Ertüchtigung, geschätzte Leser? Selbstverständlich, eine Frage rein rhetorischer Natur. Das Ausüben einer Sportart zählt heute zum guten Ton.
Auch wer den ganzen Tag schaufelt, mauert und zimmert, sollte zumindest im Besitz eines Fitnessabonnements sein. Die sportliche Leidenschaft gehört zum Menschen wie eine moderne Form der Essstörung. Lebt man nun vegan, glutenabstinent oder ist im mindesten Vegetarier. Mit einer Laktoseintoleranz beeindruckt man niemanden mehr, wer diese nicht drei Tage nach dem Abstillen entwickelt hat, sollte pfleglichst einen Arzt aufsuchen.

Die Krankenkassen unterstützen die Selbstkasteiung auf Technogym-Tretmühlen neben Hammer Heavy-Weight-Hantelscheiben mit Beiträgen an das Abonnement. Mit dem Abschluss einer Zusatzversicherung für lächerliche fünfhundert Franken pro Quartal, stecken sie dir verschwörerisch zweihundert Franken für Begleichung der Jahresrechnung des Foltertempels zu. Dafür erhält man auch zwei Scheffel Globoly und eine Beratung bei der traditionellen chinesischen Medizin vergütet.

Kürzlich, zumindest hinsichtlich meiner Blogbeiträge, kreiste der Pleitegeier über meinem Fitnesscenter. Im Sturzflug stiess er hernieder, aus grosser Höhe. So hoch, dass noch nicht einmal der Besitzer ihn kommen sah und mir prompt drei Wochen vor dem Tag X noch ein neues Jahresabonnement verkaufte. Mit so viel Rabatt in Form von geschenkten Zusatzmonaten, dass ich gewiss noch fünf Nächte schlecht schlief und meine Knausrigkeit im Verdacht hatte, dem guten Herr das Genick gebrochen zu haben.
Nun, von einem Tag auf den anderen stand ich vor geschlossenen Türen.

Natürlich musste der Schock erst überwunden werden. Einen guten Monat, bis zwei, frönte ich dem Vernichten von Chips und Bier. Ich hätte es ja abtrainiert, wenn ich nur gekonnt hätte. Es war nun wirklich nicht meine Schuld und die regionalen Brauereien wie den Kartoffelröster in Spreitenbach mit in die Misere zu reissen, schien mir auch nicht in Ordnung.

Da ich ungern Hosen kaufe, begann ich wieder mit dem Laufen. Das Laufen ist an sich eine dankbare Sportart. In erster Linie ist es eine Sofortbekämpfung des schlechten Gewissen. Natürlich kann man nach einer Familienpackung M&Ms auch auf die Yogamatte und Sit-Ups machen. Aber bei jedem hochziehen rollt die Fettschürze übers Gemächt und präsentiert unbarmherzig, dass diese Butter auf dem Brötchen mit drei-einhalb Sit-Ups nicht davon schmilzt. Zudem beinhaltet die anleitende App noch abenteurliche Aufgaben wie Korkenzieher, bei welcher man die Beine in die Luft reckt, was mir den Blick auf den Fernseher verwehrt. Ebenso wie der Russische-Twist. Klingt wie Wodka trinken und klatschend im Kreis hüpfen, ist letztendlich jedoch nur eine in halbsitzender Stellung ausgeführt Rotationsübung. Geht auf den Steiss und will man Augenkontakt zum Fernseher halten in die Wirbelsäule.
Mit derselben Problematik kämpft man bei Liegestützen, hier knallt es einem einfach in den Nacken.

Nein, das Laufen ist gut, man ist an der frischen Luft und fern von visuellen Unterhaltungsgeräten. Eine gewisse Zeit versuchte ich es mit Kopfhörern und einem Musikabspielgerät in der Tasche, bis mich der 90’s Eurodance-Mix nahe an einen Herzstillstand trieb, als meine Füsse mit DJ Bobo’s einhundertvierzig Beats pro Minute mitzuhalten versuchten.

Nun lausche ich wieder der Natur und den lauten Rufen „Er will nur spielen!“.
Vielleicht wollen auch Spei-Kobras nur spielen und Haie würden sagen „Du bist!“ wenn sie unter Wasser sprechen könnten und nicht die Hälfte eurer Hüfte im Mund hätten, die Krux ist, Hunde und Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen von spielen. Oder zumindest Jogger und Hunde. Dies beweist spätestens der zehn-Zentimeter-Durchmesser-Ast, welchen Fifi soeben vor seinem Herrchen spielerisch durchbeisst, bevor er angestachtelt seinen Blick auf meine Waden richtet.
Wölfe soll man anschreien und beherzt einen Schritt auf sie zu gehen. Diese könnte man gewiss bei Rex trainieren, welcher vor Spielfreude mit Schaum vor dem Mund und triefenden Lefzen auf mich zustürmt. Bin jedesmal ein wenig gehemmt. Zudem, schreie einmal, wenn der Körper jedes Quentchen Luft braucht, welches die Raucherlunge einzusaugen vermag.

Bevor man aber überhaupt soweit ist, steht einiges an Vorbereitung an.
Schon einige Zeit renne ich mit einer App. Heute geht nichts mehr ohne App. Natürlich um über meine persönlichen Leistungen akribisch Buch zu führen. Gerade, weil mich alle Welt als den Sportenthusiasten kennt. Bazinga. In erster Linie jedoch, um in allen sozialen Netzwerken dieser Welt Lorbeeren zu sammeln.
Seht her, ich bin drei Kilometer gelaufen. Ich lebe noch und habe nur einen Vormittag dazu aufgewendet. Huldigt dem göttlichen Athleten!
Um das Smartphone überhaupt mitnehmen zu können, galt es erst eine Oberarm-Tasche zu besorgen. Welche sich nun an den Bizeps schmiegt, diesen jedoch auch unvorteilhaft versteckt. Diese Lösung ist einfach nicht durchdacht.
Hat man denn nicht extra dieses spezielle Laufshirt mit Lendenstütze und Kompressionnähten gekauft? Für die optimale Blutzirkulation und Unterstützung der Rumpfstabilität. Dass es die Speckwürste zur Wespentaille zwängt, dafür den Trizeps unnatürlich aus dem Ärmel quetscht und aufstaut nimmt man als Nebeneffekt halt so hin. War keine Absicht, aber was will man machen. Dafür hat man auch eine halbe Stunde zum anziehen und benötigt zwei helfende Hände oder zieht beherzt einen Türgriff mit ein, um sich aus diesem Korsett wieder zu befreien.

Die nächste Wissenschaft ist die Schnürung der Laufschuhe. Habe ich heute erst gelesen. Dass die Senkel durch die zweite Öse zu einer Schlaufe gezogen werden, diese über die andere, den Nippel durch die Lasche, einmal gezurrt und man hat einen Flaschenzug, womit agyptische Sklaven Steinquader beweget hätten. Damit schnüren sich die Hobbyathleten die Schuhe an die Füsse, dass jedes Hufeisen vor Scham erblassen würde. Unisono wird von entzündeten Achillessehnen, einschlafenden Zehen und wundgescheuertem Rist berichtet, aber wenn die Profis so laufen, muss man da eben durch.
Kann man in einer Gruppe namens Runtastic verfolgen.

Die Hobbyläufer der Welt sammeln sich virtuell bei Runtastic um sich gegenseitig zu befeuern. Springt ein Jogger vor euch überraschend ins Maisfeld oder stolpert den Bahnsteig hoch um spontan über die Gleise zu torkeln, dann benutzt er wahrscheinlich Runtastic.
Sieht nämlich ein Freund im virtuellen Netzwerk, dass ihr gerade läuft, kann er Motivation senden. Diese manifestiert sich durch ein lautes Tröten aus dem Smartphone an eurem Arm. Oder auch ein lautes Hurra oder euphorisches Come-On! Vielleicht bin ich gar schreckhaft, absolviere ich doch jedesmal einen sehr unschönen Hüpfer zur Seite, wenn die Hupe losträllert. Könnte ja auch Hubert auf dem Trekker sein, dessen Blicke aus der Fendt-Frontscheibe eine nur allzu deutliche Sprache sprechen; Arbetslose Truubehüeter, Ziit zum seckle, wenn anderi schaffed.
Die Motivation muss übrigens nicht unbedingt von einem Freund sein, jeder kann euch anfeueren, dem globalen Netzwerk sei Dank. So kann auch Panzerknacker Ede ein zur Zusatzschlaufe motivierendes Go-Go senden, wenn er an eurer Wohnungstür zugange ist und Runtastic ihm mitteilt, dass ihr gedenkt, eure Laufrunde zu kürzen.

Irgendwann kehrt man dann doch nach Hause zurück. Halb geritten, halb zu Fuss, wie die Schildbürger. Diesen Rundumblick, ob man nun ein paar Meter gehen könne, oder die nette Joggerin in der knappen Spandexhose noch in Sichtweite wäre. Nur so lange gehen, dass der Puls wieder unter 240 fällt und man dynamisch federnden Schrittes durch das Dorf rennen kann. Dass die Nachbarn sehen mögen, dass war noch gar nichts. Ja, beinahe winkt ihr und springt des Effektes wegen über Bauabsperrungen. Auch wenn ihr, kaum den Schlüssel aus der atmungsaktiven Unterhose gefischt, euren isotonischen Pre-Booster-Riegel in den Hausflur reihert.

Kaum der Dusche entstiegen, kommt die Meldung von runtastic, dies wäre nun ganz gut gewesen, jetzt wäre jedoch Zeit für eine ausserordentliche Leistung.
Und ja nicht die Sit-Ups vergessen, welche nach einer Laufeinheit um den Faktor 0.749 effizienter wären, wie Dr. Dünnli der renommierten runtastic-Academy mit einer komplizierten Formel beweist. Spätestens jedoch morgen, beim Einloggen in das soziale Netzwerk, ermuntert euch die App, wieder loszulegen.
Nach dem Lauf ist vor dem Lauf. Dreissig Kilometer sind der erste Schritt. Es gibt kein Wetter, nur Ausreden. Welche Laufschuhe nehmt ihr in den Urlaub mit?

runtastic

Also manchmal wäre ich ganz gerne ein Bauer auf einem Fendt…

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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