Sich in die Tasche lügen

Dass es eine glückliche Fügung war will ich noch nicht herausschreien, wird sich dies erst noch finden. Doch, dass in einem Moment, in welchem mir mein Vorgesetzter wieder einmal so richtig auf den Senkel ging auf dem internen Stellenportal ein Bürojob ausgeschrieben war, erschien mir wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Ein energischer Wink, mit nachflatterndem Zaun. Mein Curriculum Vitae, mal ehrlich, diesem bescheuerten Wort kann man lediglich zu Gute halten, dass die Abkürzung leicht von den Lippen geht, der Rest klingt wie ein medizinischer Fachbegriff für eine Darmverknotung, spricht, dass ich in einem 5-6 Jahresrhythmus die Stelle wechsle.
Ob nach dieser Zeit nun jeweils die Geduld ausgereizt ist, ich ein Metier komplett beherrsche und die Langeweile mich überkommt, oder einfach eine periodische Unzufriedenheit sich meiner bemächtigt bedürfe einer genaueren Analyse. Was wir ausschliessen können ist der Drang, neue Menschen kennenzulernen.
Nun befand ich mich eben wieder in diesem Zeitfenster und ich war gewillt eine neue Herausforderung anzutreten.
Was so schon einmal falsch ist. Denn um eine neue Herausforderung in Angriff zu nehmen, muss man gemäss dem Wortlaut in nicht allzu weit zurückliegender Zeit eine alte gemeistert haben. Meine letzte berufliche Herausforderung, was war das noch gleich… Ach ja, das war diese Sache mit der Evakuationsanlage in einem Schulhaus. Ich würde sagen, rund 8-10 Jahre her. Schöne Erinnerungen. Nach diesem Zeitpunkt kam beruflich nichts mehr, was mich über mehr als 24 Stunden gefordert, oder meine geistigen Fähigkeiten im vollen Umfang beansprucht oder eine nennenswerte Erweiterung derselben gefordert hätte.
Eine traurige Bilanz und in gewisser Weise ein kleines Armutszeugnis für mich. Obwohl ich, und der Mensch kann das gut, einen selbstbewusst ausgereckten Zeigefinger auf die jeweiligen Herrschaften an der gegenüberliegenden Seite des Tisches richte. Der da hat…
Naiv wie ich bin, gehe ich noch immer davon aus, bei einem Vorstellungsgespräch lügt nur der Kandidat. Wobei lügen ein klein wenig grob ist. Sagen wir, die Menge Schlagsahne auf dem Eisbecher lässt auf grössere Eiskugeln schliessen, als tatsächlich vorhanden sind.
Bei meinen letzten Vorstellungsgesprächen waren die Rollen irgendwie vertauscht.
Es wurde ein noch jungfräulicher Siebentausender-Gipfel geschildert, welchen es unbedingt zu erklimmen gilt, bisher aber noch jeder daran gescheitert ist.
Hat man erst seine Unterschrift geleistet und wird, mit etwas flauem Magen ob der Angst man nicht zu hoch gepokert hätte, an den Fuss dieses Berges geführt, stellt sich heraus, dass die Rede von einem kleinen Maulwurfshügel war. Die grösste Herausforderung besteht in der Entscheidung, nimmt man nun die Rolltreppe, oder wartet man auf den Fahrstuhl.
Es ist nachvollziehbar, dass gerade in öffentlichen Bereichen gelogen wird, dass sich die Balken biegen.
MAN. HAT. NICHTS. ZU. TUN.
Ja, man kann sich winden und drehen, im Endeffekt ist es ein Fakt. Natürlich gibt es einmal hektische Zeiten. Stunden, Tage, meinetwegen auch Monate. Aber wir wollen es relativieren; Ein Bundesangestellter hat einen hektischen Tag, wenn die Neun-Uhr-Kaffeepause entfällt. Einen richtigen Saustress, wenn die 15-Uhr-Pause ebenfalls flöten geht. Abends eine Stunde länger und der Tag zieht in die Hall-of-Fame der grauenhaftesten Arbeitstage überhaupt. Es grenzt an ein Wunder, dass er darin noch Platz findet. Die Halle ist gestossen voll, denn die Messlatte für den Übergang von einem halbwegs normalen Tag zu einem entsetzlich grauenhaften Tag wird durch den Stress nicht etwa höher gelegt.
Denn auf jede arbeitsintensive Periode folgt eine, ich benutze den Fachjargon, „etwas ruhigere, aber nicht weniger arbeitsreiche Zeit“. Eine Phase, in welcher der Mitarbeiter seine Aktivität soweit herunterfährt, dass nur die Kaffeepause verhindert, dass sich ein Organismus komplett abschaltet. Daher ist es nicht ganz verkehrt, dass dieser Pause ein immenses Gewicht beigemessen wird. Es ist absolut nachvollziehbar, dass die bereits an eine Reanimation grenzende Aufforderung, sich einer Tätigkeit zu widmen einen enormen Anstieg des Stresslevels bewirkt und der Mitarbeiter daraufhin den, mit Abstand, grauenhaftesten Tag seines arbeitsreichen Lebens begeht.
Soweit so gut, alles in Ordnung. Jeder seines Glückes Schmid und wenn die Herren damit glücklich sind, Friede ihrer Asche.
Was mich daran ärgert, zu Recht denn ich bin ja Leidtragender, ist das Lügenkonstrukt, welches um diese Geschichte herum errichtet wird.
Man muss schon sehr, sehr dümmlich sein, mit Absicht ein Komma um den Verdacht auszuschliessen die zwei „sehr“ entspringen einem Tippfehler, wenn man tatsächlich glaubt, man behaupte sich in einer Arbeitswelt, geprägt von Stress und Dauerbelastung. Oder, man hat vom obligatorischen Schulbesuch direkt in einen Bundesbetrieb gewechselt und kennt die Bedeutung von „Im Schweisse Deines Angesichts“ (1 Buch Mose) schlichtweg nicht.
Gehen wir der Einfachheit halber von einem normalen, gesunden Menschen im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte, urteilsfähig und bodenständig aus.
Er weiss, dass er hier eine unglaublich ruhige Kugel schiebt. Und ja, ich behaupte, wenn sich jemand wirklich an diesem Umstand stört, so findet man ihn in dieser Schicht der braven, anständigen und engagierten Mitarbeiter ohne jegliche Führungsfunktion oder Aufgaben. Er könnte, wenn man ihn nur liesse.
Und hier stossen wir an die Grundmauern dieses Lügengebäudes und die sind solide. Verdammt solide.
Versetzen wir uns nun in die Lage seines Vorgesetzten. Je mehr Mitarbeiter seine Leitungsspanne beherbergt, desto gerechtfertigter ist seine Lohnklasse, desto grösser sein Ansehen. Ich spreche bewusst von Leitungsspanne, denn die Tatsache, dass ihm Menschen unterstellt sind bedeutet ja noch lange nicht, dass er auch führt. Davon sind sieben der oben beschriebenen Tagediebe und einer, der eigentlich gerne würde, wenn man ihn nur liesse. Der erwähnte brave Mitarbeiter. Wie nun, wenn der aufmuckt. Wenn der glaubhaft versichert und den Beweis antritt, dass die Arbeitslast auch in der Hälfte der Zeit gepackt werden könnte, oder nur die Hälfte der Belegschaft erforderlich wäre. Und dies gerade in einem Betrieb, dessen Abläufe im Jahrzehnterhythmus leicht angepasst werden, die solide Basis jedoch seit Anbeginn der Zeit besteht. Man hat es ja schon immer so gemacht, also muss es gut sein. Wie soll nun dieser Vorgesetzte rechtfertigen, dass er seit Jahren in seinem Laden eine horrende Überkapazität beherbergt.
Auch hier kommt mein unglaublich generöses Wesen zum Zuge, ich attestiere dem Vorgesetzten durchaus einige Synapsen mehr und gehe davon aus, dass er genau weiss, wie es um die Auslastung steht. Aber aus oben genannten Gründen, Sparbemühungen werden nicht honoriert, hält er den Ball schön flach. Vielleicht ist er in der komfortablen Situation, dass er sich seit Jahrzehnten so nachhaltig in die Tasche gelogen hat, dass er davon überzeugt ist, seine Abteilung stehe nur eine Überstunde vor dem Kollaps und eigentlich wären 200 Stellenprozente mehr angesagt. So kann er zumindest noch in den Spiegel schauen und sein schweres Haupt auf ein Kissen des ruhigen Gewissens legen.
Eine Stufe überspringen wir. Diese ähnelt in ihrer Funktion diesen etwas unästhetischen Kisten, welche in einen Wasserkreislauf gehängt werden, so kein Boiler zur Verfügung steht. Mit dem Unterschied, dass diese hier sehr wohl in Serie mit einem Heisswasserspeicher hängen.
Bei der nächsten Stufe sind meine Erwartungen jedoch bereits ein wenig höher. Denn hier finden sich bereits die MBA, die Bachelors, die HFW-Absolventen; sprich, alles Menschen welche zumindest in der Theorie anhand der Firma Bühler gelernt haben, wie es eigentlich funktionieren sollte. Und auch wenn man ihnen nun eine zu grosse Distanz zum Tagesgeschäft entschuldigend hinwerfen möchte; nein. Ein Blick aus dem Fenster genügt. Doch was wollen die armen Kerle denn machen? Ja, diese sind eigentlich gebeutelten. Der Wissenstransfer Schule-Betrieb ist nicht möglich, weil im Vergleich dazu der Planet Mars nur einen Stolperer von der der Erde entfernt liegt. Jede Änderung müsste in Abstimmung der jahrzehntelangen Prozesse, gedruckt mit einer Gutenbergpresse und ich meine DIE Gutenbergpresse, und vervielfältigt im Schnapskopierer, einhergehen. Eine Stimme der Innovation steht gegen zwanzig „Ja aber halt, das haben wir doch schon immer so gemacht, ja wie stellst du dir dies dann vor…“-Stimmen.
Es würde ihnen keine andere Möglichkeit bleiben, als sämtliche Untergebenen zu ersetzen und einen neuen Betrieb zu erschaffen. Aber wie soll man jemanden ersetzen, welcher STETS TADELLOSE Arbeit geliefert hat. Wie sollte denn hier die Begründung lauten, wenn die jährliche Qualifikation ein „Sehr gut“ bis „Anforderungen übertroffen“ zum Resultat hatte. Alles was darunter liegt Bedarf der Schreibarbeit und Erklärung, deswegen übertreffen Bundesangestellte noch öfters die Erwartungen. Also reibt man sich auf, oder fügt sich der Tatsache, dass die einzige Änderung, das einzige Novum, das eigen geschaffene Denkmal darin besteht, dass die Isopropanol-Flasche einen neuen Gefahrengutaufkleber erhält und die Abteilungen damit über Monate ausgelastet sind. An der Grenze zur Überlast.

An diesem Lügenkonstrukt wird nicht gerüttelt, kann nicht gerüttelt werden. Ein Linienflugzeug würde an dessen Fassade die Nase stossen und wie ein nasser Sack zu Boden fallen. Die Innovation eines Mitarbeiters gleichen dem Versuch, die Pyramiden von Gizeh mit einem Zahnstocher abzutragen. Und deswegen wird der externe Mitarbeiter am Vorstellungsgespräch so derbste angelogen, dass die Linienvorgesetzten und HR-Menschen mit einem nahezu blasphemischen Gottvertrauen in die Blitzableiter über dem Besprechungszimmer setzen.
Ihr einzig Heil liegt darin, dass der so vorgeführte Kandidat am Besprechungstisch solange geblendet von den Anstellungsbedingungen bleibt, bis die Resignation einsetzt oder er sich in dem behaglichen Kokon des süssen Nichtstun einnistet.

Und nun ist dieser Beitrag völlig aus dem Ruder gelaufen, denn eigentlich wollte ich über das Messi-Gebaren der Büroangestellten referieren.
Kommt noch.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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