Vom Fitnesscenter zum veganorientierten Laufsteg für Toy-Boys

Um meinen selbst verordneten beruflich bedingten Bewegungsmangel zu kompensieren habe ich mich wieder in einem Fitnesscenter angemeldet. Und ich darf sagen, die letzten 5 Jahr habe ich nichts vermisst.
Es ist schwierig zu sagen, ob sich die Klientel gewandelt hat, oder ich einfach in eine andere Kategorie gewechselt habe.

Jene in meinem Alter trainierten früher mit Apothekergewichten und sehr sorgfältigen Bewegungsabläufen. Sie verzogen das Gesicht vor dem Spiegel und waren sehr darauf bedacht, sich nichts einzuklemmen und keine hektischen Bewegungen zu machen.
In den hechelnden Atempausen erklärten sie dem Jungspund nebenan, welcher gerade ein Drittel seines Körpergewichts in Form einer Kurzhantel hochriss, den Oberkörper weit nach hinten gelehnt und mit viel Schwung arbeitend, wie man richtig trainiert. Und, dass das Gewicht nicht ausschlaggebend sei. Und dass… und dass…

Dies mit den Apothekergewichten stimmt.
Mittlerweile finde ich meine Gewichte im oberen linken Drittel des Regals, in welchem die Hanteln aufbewahrt werden. Das Regal, welches in der hinteren Ecke des Dehn-Bereichs steht. Die Hanteln, welche Mamis für die leichte Regenerationsübung nach ihrem Spinning-Workout verwenden. Diese Hanteln, welche man für den Heimgebrauch auch online bestellen kann, weil sie mit der Briefpost versendet werden. Beim Bankdrücken schwanke ich so gefährlich hin und her, dass ich mit der leeren Stange trainieren sollte. Geführt an Schienen. Unterstützt vom Instruktor.

Das „Mis isch länger als dis“ der Fitnesscenter scheint sowieso die Gewichtsspannweite der Kurzhanteln zu sein. In meinem neu gewählten Center erinnert die grösste „Kurzhantel“ an das Gegengewicht eines Traktors, wenn er einen ganz üblen Pflug ziehen muss. Und so muss wohl auch das Tier aussehen, welches dieses Ding einarmig hochstemmt. Eine Hantel welche vielleicht einmal im Jahr bewegt wird. Denn das Tier wird noch vier Unterstützer benötigen.
„Nur bis ich sie oben habe… dann einfach etwas an den Armen halten und begleiten… sichern… und dann wieder beim Absenken… Sonst geht es schon, danke. BOAH ich habe 74 kg gestemmt!“.

Um oben wieder anzuknüpfen; ich benutze Apothekergewichte, mache ganz langsame Bewegungen und schneide vielleicht komische Grimassen. Weiss ich nicht. Habe ja die Augen krampfhaft geschlossen, während der Atem gepresst zwischen den verkniffenen Lippen pfeifend entweicht.
Was ich nicht mache, ich instruiere keine Jungspunde.
Zum einen weil sie, nach rein optischen Gesichtspunkten zu urteilen, unter Umständen meine Sprache nicht verstehen, zum anderen, weil es einfach nichts zu korrigieren gibt.
Der Körperkult ist definitiv nicht mehr zu leugnen und ich muss gestehen, die scheinen tatsächlich was dafür zu machen.
Die gesamte Fülle an Bachelor-Kandidaten, Love-Island-Popper und sonstige Fitness-Influencer scheinen in Frauenfeld ein Abonnement gelöst zu machen und trainieren um mich herum. Man darf sich dies etwa so vorstellen.
20 Typen mit gezupften Augenbrauen, rasierten Beinen und akkurat frisiertem Haupthaar, bekleidet in Gorilla-Wear und Gold-Gym-Spaghettiträger-Shirts. Die Beine in einer Skinny-Hose, oder kurze Shorts im Magnum-Stil und den Stoff dabei noch so hochgekrempelt, dass man sagen will „Mädchen, zieh dir doch was an“. Und so modellieren sie ihre haarlosen, tättowierten Körper, dass Adonis sich vor Scham unterm Sockel verkriechen würde.
Und dazwischen der alte Sack. In der an sich ausgeleierten Trainingshose, welche doch im Bauchbereich ein wenig einengend zwickt. Sein altes Adidas-Shirt aus dem Jahr 2010 passt ihm nur noch, weil die Schultern an Breite eingebüsst und das Kleidungsstück durch 30158 Waschgänge jegliche Form verloren hat. Stehend in Turnschuhen, welche beim Billy-Schuhdiscount im Eingangsbereich am Aktionsständer gehangen haben und weil sie schon viermal dem Regen ausgesetzt wurden, waren sie nochmals um 75% reduziert.

Irgendwie steche ich aus der Masse heraus, dies jedoch nicht nur negativ. Denn wenn man diese Jungspunde so betrachtet, hat man eher das Gefühl, die Toy-Boys irgendwelcher römischen Senatoren oder griechischen Göttern vor sich zu sehen und nicht direkt Vertreter des männlichen Geschlechts.

Als ich noch jung war, sahen Fitnesscenter anders aus. Da waren die alten Bodybuilder, welche seitwärts durch die Tür gingen. Sie tranken gewiss keine Magermilch-Proteindrinks in fliederfarbenen Shakern mit fein abgestimmten Aminosäuren und L-Carnitin-Zusätzen, sondern warfen einfach alles ein, was ein polnischer Pferdestimulanzien-Lieferant in seiner Küche zusammengerührt hatte.
Sie hatten Haltungsschäden, morsche Gelenke, eine ungesunde Haut und ihre Kleider klauten sie der Berghilfe aus dem Sammelschrank neben dem Altglas. Sie mieden Kraftmaschinen wie der Teufel das Weihwasser, konstruierten sich dafür aus Hantelbänken, der Safttheke, einem Fahrrad und einer Langhantel irgendwelche eigene Foltermaschinen um den Glutaeus Latissimus zu plagen. Vielleicht waren sie nicht die hellsten Kerzen auf der Torte, aber, um dieses mittlerweile inflationär verwendete Wort zu gebrauchen, authentisch.
Man wollte nicht zwingend so enden wie sie, aber schaute respektvoll zu ihnen hoch, wenn sie einen Kleinwagen stemmten.
Neulich traf ich tatsächlich einen dieser Herren in Frauenfeld, ein Schaffhauser Urgestein. Wie alt er ist kann ich nicht sagen, weil er seit 20 Jahren gleich ausschaut, und er erklärte mir, dass er den alten Geist vermisste.

Ich glaube, Zeugnis meines Alters legt die Tatsache, dass ich ihm beipflichte. Es ist die Entwicklung der Fitness-Center, welche mir die Lust am Trainieren vergällt. Diese übermotivierten Instruktoren. Man kann kaum spucken ohne einen zu treffen. Erst geschlüpft, die ersten Strümpfe noch nicht durchgelaufen, aber ein SAFS-Diplom und nun ständig mit guten Ratschlägen zur Hand, um welche kein Schwein gebeten hat. Es sind die Flatscreens an der Wand mit schönen Menschen, welchen mit Sprechblasen irgendwelche sinnentleerten Motivationssprüchen in den Mund gelegt werden. Es ist der Kleidershop im Eingangsbereich. Es ist die hippe Motivations-Musik. Es sind die bunten Farben. Es sind die blank geputzten Geräte mit funkelnden Stangen. Es sind die Hygienesprays und Tücher, welche dafür sorgen, dass ich mehr Zeit für Reinigungsarbeiten aufbringe, als dem Training an sich. Es sind die Menschen. Mit ihren schweineteuren Kleidern und noch kostspieligeren Kopfhörern. Natürlich, auch wir waren selbstverliebt und hypnotisierten den Spiegel, aber wir hatten dabei keine Kamera in der Hand.
Ganz besonders hasse ich diese Cross-Fit-Umgebung, welche auch in den Fitnesscentern ihre Nische findet. Nichts gegen Training mit alten Ölfässern an der Reckstange, aber das Ganze ist so Hippster-mässig aufgebaut, mit einem Wir-sind-eine-Familie-Charakter, dass es eigentlich gegen alles spricht, was das Fitness für mich erstrebenswert machte. Es war einmal ein verdammter Einzelsport.

Es ist die Tatsache, dass die Ernährung und Diäten vom Nischendasein zu einem übermächtigen Trend geworden sind und sich alles und jeder diesem unterordnen muss. Ob man nun will oder nicht. Ich möchte einen richtig schweren Proteindrink, welcher weder vegan noch glutenfrei ist und auf dessen Etikett nicht prominent ein Zuckerersatzstoff aufgeführt ist. Nicht, weil ich ihn mir durch das Training verdient habe, sondern einfach, weil er lecker ist und die Zigarette ergänzt, welche man vor dem Fitnesscenter raucht.
Ich glaube, ich bin einer dieser alten Bodybuilder geworden. Versteckt im Körper eines Buchhalters mit Bauchansatz.

Über RAB

Ein Schreiberling mit nüchternem Blick auf das Leben, beim Versuch, selbiges aus satirischer Sicht etwas angenehmer zu bewältigen.
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